Alain Bieber verlässt NRW-Forum Museumschef bricht mit Düsseldorf - das ist der Grund

Düsseldorf · Der Direktor des Düsseldorfer NRW-Forums beklagt mangelnde Rückendeckung für seine Arbeit und kündigt seinen Abschied an. Er vermisst Mut in der Landeshauptstadt - und verteidigt Bürgermeister Thomas Geisel.

 Alain Bieber im Foyer des NRW-Forums. Dort ist gerade die Ausstellung „Bauhaus und die Fotografie“ zu Ende gegangen.

Alain Bieber im Foyer des NRW-Forums. Dort ist gerade die Ausstellung „Bauhaus und die Fotografie“ zu Ende gegangen.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Seit Alain Bieber (40) vor vier Jahren das NRW-Forum übernommen hat, sorgt er für Gesprächsstoff. Seine Ausstellungen zu digitalen Zeitgeist-Themen wie Selfies oder Pizza haben für viel Aufsehen gesorgt, die Kulturszene aber auch gespalten. In den nächsten Wochen müsste der Aufsichtsrat über eine Vertragsverlängerung entscheiden. Jetzt meldet sich Bieber selbst zu Wort.

Herr Bieber, es gibt aller Voraussicht nach eine politische Mehrheit dafür, dass Sie Direktor des NRW-Forums bleiben. Werden Sie also über 2020 hinaus weitermachen?

Alain Bieber Nein.

Warum nicht?

Bieber Ich liebe meine Arbeit, das NRW-Forum und Düsseldorf. Es war eine großartige Zeit. Aber ich sehe einfach nicht genügend politische Rückendeckung.

Was fehlt Ihnen?

Bieber Ich vermisse in Düsseldorf den Mut zur Erneuerung, die Aufgeschlossenheit gegenüber ungewöhnlichen Experimenten, zeitgenössischen Kulturdiskursen und der Digitalisierung. Ich vermisse den Mut, auch mal Wege abseits des Mainstreams auszuprobieren, und eine Kulturpolitik, die neue Ideen und die Macher unterstützt, anstatt sich selbst zu inszenieren. Ich nehme da übrigens ausdrücklich Oberbürgermeister Thomas Geisel aus, der uns immer unterstützt hat.

Was hat Sie am meisten gestört?

Bieber Mit welcher Wucht man persönlich angegriffen wird, wie plötzlich die Presse gegen einen agitiert, in wie vielen Hinterzimmern irgendwelche Deals vereinbart werden und wie ständig über einen anstatt mit einem geredet wird.

Bitte ein Beispiel.

Bieber Da war zum Beispiel der Konflikt um die Obdachlosen, die neben dem NRW-Forum campieren.

Sie wurden im Januar scharf für einen Aushang kritisiert, in dem das NRW-Forum die Obdachlosen aufgefordert hat, den Platz zu räumen.

Bieber Ja. Der Kulturdezernent hatte uns darum gebeten, das Campieren von Obdachlosen an Kultureinrichtungen nicht zu dulden. Der Sozialdezernent sah das anders und forderte die Duldung. Das NRW-Forum wurde in der Öffentlichkeit zum Buhmann gemacht und am Ende von der Stadt alleine gelassen. Ich habe mich sogar mit den Verantwortlichen von FiftyFifty getroffen und eine Benefizauktion in unserem Haus vorgeschlagen.

Für viel Ärger hat auch der Konflikt rund um das Photo Weekend gesorgt. Sie sollten das Festival vor zwei Jahren als Kurator übernehmen. Am Ende gab es eine Spaltung in zwei Veranstaltungen. Waren Sie überfordert mit der Aufgabe?

Bieber Das war sicher ein Wendepunkt. Ich wollte mithelfen, ein tolles Festival für Düsseldorf zu organisieren. Und dann stand ich plötzlich mitten in diesem Konflikt, der auf höherer politischer Ebene entstanden war. Ich will keine Kulturpolitik machen, das interessiert mich nicht. Mit der Leiterin des Photo Weekends, Clara Sels, habe ich mich längst ausgesprochen.

Sie sind mit einem radikal neuen Programm angetreten und haben Ausstellungen zu Selfies, Pizza oder Verschwörungstheorien gezeigt. Das war für Düsseldorf schon eine Provokation.

Nacht der Museen 2019 in Düsseldorf: Die schönsten Fotos
20 Bilder

So schön war die Nacht der Museen 2019 in Düsseldorf

20 Bilder
Foto: Landeshauptstadt Düsseldorf/Uwe Schaffmeister

Bieber Natürlich. Aber es ging nie darum, im Zeitgeist zu surfen, sondern ein Programm zu machen, das jünger, verrückter und innovativer ist als in anderen Ausstellungshäusern. Mir ging es stets darum, aktuelle Themen möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen. Und das kann mal Bauhaus sein und ein anderes Mal Katzenvideos. Museen sollten die Themen, die uns umgeben, behandeln und keine verschlossenen Biotope sein. Sonst gibt es in 100 Jahren keine Kultureinrichtungen mehr. Wir haben Instagram, Netflix, Virtual Reality und Gaming nicht als Konkurrenz begriffen, sondern als Medium und Materie, mit der sich Künstler und Kreative beschäftigen.

Was waren Ihre persönlichen Höhepunkte?

Bieber Die Ausstellung mit dem Satiriker Jan Böhmermann war schon ein Höhepunkt. So was gab es noch nie, und 30.000 Besucher waren ein Riesenerfolg. Ich fand alle unsere Ausstellungen und Veranstaltungen toll. Ich stehe voll hinter dem Programm. Wir wollten Dinge aufbrechen, Menschen inspirieren und kein Wellness-Tempel sein. Ich bin überzeugt, dass die Mischung aus Fotografie, Pop und digitaler Kultur funktioniert.

Kritiker werfen Ihnen vor, zu wenig den Kontakt zur Kunst- und Galerienszene oder zur Kunstakademie gesucht zu haben.

Bieber Ich liebe die Akademie, aber warum hätten wir das auch noch tun sollen? Kunstsammlung, Kunstpalast, Kunsthalle und KIT kümmern sich um die Akademie. Unser Ziel war es, andere Dinge zu machen und andere Leute zu erreichen.

Wann haben Sie Ihren Entschluss gefällt?

Bieber Anfang des Jahres. Ich habe hin und her überlegt. Und dann entschieden, dass ich lieber etwas anderes machen will.

Hat noch niemand mit Ihnen über die Vertragsverlängerung geredet? In der Politik war das doch schon Thema.

Bieber Nein, mit mir hat noch niemand das Gespräch gesucht.

Wie geht es für Sie im kommenden Jahr weiter?

Bieber Ich will in Düsseldorf bleiben. Ich werde mit großartigen Menschen eine Agentur gründen, und wir werden digitale Strategien, Konzepte und Projekte entwickeln – für Unternehmen, Institutionen, Verbände oder Behörden.

Und wie für das NRW-Forum?

Bieber Wir werden bis zum Ende meiner Amtszeit in einem Jahr weiter ein großartiges Programm machen. Wir haben da noch ein paar Blockbuster vorbereitet: die erste umfassende Retrospektive mit dem britischen Fotografen Martin Parr, die erste Ausstellung in Deutschland mit der Magnum-Fotografin Bieke Depoorter, eine Virtual-Reality-Ausstellung zum Thema Performance, die erste Retrospektive des Starfotografen Martin Schoeller. Außerdem arbeiteten wir gerade an einer digitalen Bildungsoffensive: Mit einem E-Bike-Fablab wollen wir Workshops in Schulen, Jugendhäusern und Altersheimen geben.

Was bleibt von ihrer Amtszeit?

Bieber Wir haben das NRW-Forum erfolgreich in die Zukunft geführt und neu positioniert, wir haben mit einem kleinen Team mehr als 30 Ausstellungen und 60 Veranstaltungen ausgerichtet, begeisterte Besucher und sehr gute Zahlen erreicht – und auch darauf bin ich sehr stolz: einen ausgeglichenen Haushalt. Zudem konnten wir sogar in die Zukunft investieren, wie zum Beispiel in eine rundum erneuerte Ausstellungs- und Veranstaltungstechnik, Virtual Reality und Glasfaser. Und wenn ich nur einem Kind eine schöne Zeit im NRW-Forum beschert habe und es sich dadurch auch in Zukunft für Kultur begeistert, dann habe ich schon sehr viel erreicht.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort
Eine Frage der Schuld
Düsseldorf: Elisabeth Berger wartet über 40 Jahre nach ihrer Vergewaltigung durch einen Mönch noch immer darauf, dass jemand für das Verbrechen Verantwortung übernimmt. Eine Frage der Schuld