„Normal People“ Die beste Serie des Jahres

Romeo und Julia mit Smartphones: „Normal People“ erzählt, wie die irischen Schüler Connell und Marianne ineinander versinken.

 Spätestens nach drei Folgen fühlt man es als echten Schmerz, wenn die beiden leiden müssen: Paul Mescal und Daisy Edgar-Jones als Connell und Marianne.

Spätestens nach drei Folgen fühlt man es als echten Schmerz, wenn die beiden leiden müssen: Paul Mescal und Daisy Edgar-Jones als Connell und Marianne.

Foto: imago images

Das ist die Geschichte von zwei Menschen, deren Herzen magnetisch sind. Sie wollen immer zueinander, sie möchten eins werden, aber die Umstände, die sind nicht so. Connell und Marianne, die nicht zufällig so heißt wie die Frau in dem schönen und traurigen Lied von Leonard Cohen, sind Klassenkameraden in einer Schule in Irland. Dort weht der Wind so scharf, dass die Augen tränen, und die Luft ist so feucht, dass das Fühlen klamm wird. Marianne ist eigensinnig und einsam, ständig steht eine Wolke von Schwermut über ihrem Kopf. Connell ist eine Sportskanone mit großem Freundeskreis. Aber in ihren Köpfen sind sie gleich, passende Puzzleteile, und sie sehnen sich nach etwas, von dem sie nicht wissen, was es ist.

„Normal People“ heißt diese Serie, die „Romeo und Julia“ mit Jane Austens „Emma“ mischt und in die Gegenwart überträgt. Ihr gelingt es, dass man da sitzt und erst einen Kloß im Hals spürt und dann eine Faust auf der Brust, und dass man sich so sehr wünscht, dass die beiden zusammenbleiben und miteinander durchs Leben gehen. Ja, man wünscht sich sogar, dass die Serie jetzt sofort zu Ende ist, aber nicht, weil sie doof wäre, sondern weil man es nicht mehr aushält und Marianne und Connell schützen, sie von den Widrigkeiten des Lebens fernhalten und sie das Glück der idealen Verbindung genießen lassen möchte. Die Macher der Sendung gönnen einem diese Erfüllung indes nicht, natürlich nicht: Es sind zwölf Folgen zu je 30 Minuten.

Das Buch, das der Produktion zugrunde liegt, stammt von Sally Rooney. Die 29-jährige Irin ist der Shooting-Star der europäischen Literatur, sie wurde als „J. D. Salinger der Snapchat-Generation“ bezeichnet, was einerseits ein blödes Label ist, andererseits aber so gut klingt, dass es auch hier zitiert wird. Rooney hat zwei Romane veröffentlicht, die man beide getrost zum „Fänger im Roggen“ ins Regal stellen kann, außer „Normal People“ noch „Gespräche mit Freunden“. Wer sie zu lesen beginnt, wird nicht aufhören wollen, denn er begegnet darin nicht bloß melancholischen Studenten, sondern sich selbst. Klingt pathetisch? So wird man halt, wenn man diese Bücher liest, und es fühlt sich gut an.

Bei Marianne und Connell ist es so, dass Connells Mutter in Mariannes Elternhaus putzt, und dass Connells Freunde Marianne nicht leiden können, deshalb halten die beiden ihre Beziehung geheim. Wenn sie zusammen sind, sprengen sie die imaginären Ketten, sie unterhalten sich über das Leben, philosophisch und klar, sie schlafen miteinander, lange und intensiv, und als Zuschauer hat man das Gefühl, da gehen zwei buchstäblich ineinander auf. Aber in den Schulfluren, auf dem Pausenhof und im Pub kennen sie einander nicht, und wie hier alle Demütigungen, Verletzungen, Euphorien und Himmelsstürme der Jugend in Bilder gefasst werden, ist großartig. Die Serie will dem Roman gar nicht erst Konkurrenz machen, sie will nicht erzählen, sie zeigt einfach.

Lenny Abrahamson hat die Serie erfunden, er teilt sich die Regie mit Hettie Macdonald. Von Abrahamson mag man den Kinofilm „Raum“ kennen; in dem oscarprämierten Werk spielt Brie Larson eine Frau, die in der Gefangenschaft eines Kidnappers ein Kind großzieht. Nach der Flucht muss sie sich mit dem Fünfjährigen in Freiheit zurechtfinden. Und um das Zurechtfinden geht es im Grunde auch in „Normal People“: Warum verletzt man den anderen, wo man ihn doch auch einfach in den Arm nehmen könnte? Warum läuft man nebeneinander her, obwohl man doch auch miteinander gehen könnte? Und warum sitzen zwei an unterschiedlichen Orten und denken aneinander, anstatt rüberzugehen und zusammen zu sein?

Die beiden Hauptdarsteller Daisy Edgar-Jones (22) und Paul Mescal (24) sind perfekt gecastet. Die Kamera geht nah an ihre Gesichter, die Farben sind gedimmt, im Hintergrund streichelt der Wind summend über Sträucher und Bäume, und wenn die Sonne durch die Wolken bricht, blendet sie. Es ist, als liege stets leichter Nebel über der Szenerie, als bewegten sich die Figuren in Zeitlupe, tastend und zögerlich, als würden ihre Bewegungen von Watte abgefedert. Die Hintergründe verschwimmen, es ist nur wichtig, was im Zentrum passiert, und das Zentrum ist Love. Es ist schwierig, diese Introvertiertheit abzubilden, das Abstrakte der Adoleszenzverheerungen. Aber „Normal People“ gelingt das, weil der Zuschauer in die Atmosphäre eintaucht, die die Figuren umgibt. Er kommt ihnen nahe, gerade weil sie ein bisschen vage bleiben, unscharf, bisweilen durchsichtig anmuten. Man füllt die Leerstellen unwillkürlich mit eigenen Erinnerungen, man reichert das Personal mit Persönlichem an, so werden die Figuren zu Verwandten, und das erhöht die Wirkung. Man sieht Marianne und Connell nicht einfach nur beim Denken zu. Ehrlich: Spätestens nach Folge drei fühlt man es als echten Schmerz, wenn den Handelnden Unglück geschieht.

Sally Ronney durchwirkt ihre Texte mit Hinweisen auf die Tendenz der Gegenwart, Seelen zu deformieren. Ihre Figuren reagieren aber nicht mit Wut oder Konsumkritik auf die Zumutungen des Kapitalismus, sie seufzen lieber und lesen „Kritik der postkolonialen Vernunft“ und das „Manifest der kommunistischen Partei“. Die Autorin schrieb selbst am Drehbuch zur Serie mit, sie hat die zeitkritische Ästhetik für die Produktion etwas zurückgenommen und die Kanten geschliffen: Der Film ist verträumter als das coole Buch, das macht aber nichts, es sind halt zwei eigenständige Kunstwerke, und man sollte das andere unbedingt kennenlernen, auch wenn man das eine schon kennt.

Wie Connell Marianne anblickt! Wie er sich im Gesicht kratzt, wenn sie fragt, ob sie sich jetzt ausziehen wollen! Wie sie schaut, wenn er eine andere fragt, was er sie hätte fragen sollen: Diese Choreografie der Gefühle ist grandios inszeniert. Marianne und Connell machen ihre Abschlüsse, sie gehen auf die Universität, sie schicken sich SMS, und manche beantworten sie und manche nicht, sie sprechen einander auf die Mailbox, und dann steht sie da, und er steht auch da, und sie schauen, und es wird alles nur noch intensiver. Hier soll gar nicht mehr verraten werden, als dass es so zart zugeht, so einfach, wenn die beiden zusammen sind. Aber dass es sich so beklommen anfühlt, so schmerzhaft, wenn andere dazukommen. Normale Menschen sind das, denkt man, alles ist so verflixt und wahr.

„Well, you know that I love to live with you“, heißt es bei Leonard Cohen, „but you make me forget so very much.“

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