New York New York lobt Zero für Neuheit und Frische

New York · Die Schau "Countdown To Tomorrow, 1950s-60s" im Guggenheim-Museum zeigt Werke der drei Deutschen Piene, Mack und Uecker.

Zero ist in New York seit 9/11 ein unheilschwangeres Wort. So hatte man gezögert, ein Banner mit dem gleichlautenden Namen der deutschen Künstlergruppe vor dem Guggenheim-Museum aufzuhängen. Jetzt aber flattert eine schwarze Fahne vor der Architektur-Ikone am Central Parc. Flankiert wird "Zero" von einer aufsteigenden Rakete, die einst Heinz Mack als Cover für die umtriebigen Kunstaktionen entwarf. Parallel zum Menschheits-Traum, endlich den Mond zu betreten, plante die Zero-Gruppe den künstlerischen Countdown in eine neue Zukunft. Man wollte alles bis dahin Gültige in der Kunst verwerfen und das Museum als institutionalisierten Raum verlassen. Die Zero-Pioniere, die als junge Männer im Umfeld der Düsseldorfer Kunstakademie zusammengefunden hatten, gingen mit einer Wucht ans Werk, die keine Grenzen kannte bei der Wahl der Mittel und der Entwicklung von Ideen.

Rund 50 Jahre später ist die Zero-Rakete in einem der strahlkräftigsten internationalen Museen gelandet und steht gleichzeitig in einem Land zur Diskussion, das sich nie zuvor für die Kunst dieser wenn auch kurzen, so doch wegweisenden deutschen Epoche interessiert hatte. So war die Spannung groß, wie Kunstkritik und Besucher reagieren würden. Gleich am Tag nach der Eröffnung fällte die "New York Times" ihr Urteil, sprach von Pioniertaten und von avantgardistischem Potential. Im Titel der Ausstellungskritik schwingt Wertschätzung mit: "3 Men and a Posse, Chasing Newness" heißt es da, eine Drei-Männer-Bande auf der Jagd nach Erneuerung. Die zwei in New York angereisten Künstler, Heinz Mack (83) und Günther Uecker (84), dürfte das freuen; das Bedauern über den Tod ihres Mitstreiters Otto Piene vor drei Monaten ist gleichzeitig groß.

Freuen durften sich die Künstler auch über den Besucheransturm der ersten Tage. Die Rotunde des eigenwilligen Museumsbaus von Frank Lloyd Wright, der übrigens in der gleichen Zeit entstand wie Zero, füllt sich frühmorgens mit Menschen. Das Erste, was diese sehen, ist ein Film aus den 1960er Jahren über eine Performance in Düsseldorf. Vor der Galerie Schmela waren damals Menschen versammelt: Der junge Günther Uecker malt des Nachts einen weißen Farbkreis, eine Null, aufs Pflaster. Unter den Zuschauern ist der noch unbekannte Joseph Beuys. Die Damen tragen hoch toupiertes Haar und schwarze Umhänge, auf denen Zero steht.

In den Fenstern hängen ältere Herrschaften, die neugierig und kopfschüttelnd das Treiben der Künstler in der Öffentlichkeit beobachten. Dieser Zero-Film stimmt ein auf jene unruhig-produktive Zeit, die man sich heute nur noch schwer vorstellen kann - am wenigsten als Amerikaner. Mehrere Werkstatt-Filme, die im Verlauf der Ausstellung auftauchen, sind es, die helfen, das Zero-Werk in seine Zeit einzuordnen, die Techniken des Nagelns, Schlitzens und Flämmens kennenzulernen.

Für diese Filme interessieren sich die Besucher, die sich Runde um Runde in dem spiralförmig angeordneten Ausstellungsparcours über sechs Ränge nach oben schrauben müssen. Wie an Waren in Schaufenstern flaniert man an der Kunst vorbei, die an die Wände gehängt, sowie in Kojen und abgedunkelten Räumen aufgebaut wurde. Abwechslung ist garantiert. Minimalistische Arbeiten stehen neben großen Formaten, leise neben lauten. Eingangs treten in einem historisch nachgebauten Kabinett Werke in den Dialog zueinander, die schon einmal so aufgereiht vor rund 50 Jahren in einer Ausstellung zusammen standen: Spoerris aus einer Maschine flutende Kunstpamphlete auf Papier neben Ueckers Nagelbild, dann Arbeiten von Tinguely, Mack und Piene. Auch Yves Klein war mit seinen Freunden zu der legendären Kunstausstellung nach Antwerpen aufgebrochen, hatte aber kein Bild dabei. Improvisation war ein Gebot der Stunde. Also stellte er sich dort frechweg im Raum neben die Werke seiner Freunde - heute erinnert daran sein Namensschild.

Unter den rund 180 Werken von 30 Künstlern aus zehn verschiedenen Ländern ragen die heraus, die einen großen Namen tragen: Yves Kleins monochrome Farborgien fangen sich in einem blauen blumenförmigen Schwamm. Neben nur wenigen eindringlichen, mit Feuer gemalten Bildern von Zero-Gründer Otto Piene erregt sein "Lichtballett" die Sinne, das einen Raum durchflutet und zum Tanzen bringt.

Immer noch packend ist Günther Ueckers Installation "Sandmühle" - an einem rotierenden Rechen befestigte Kordeln ziehen Kreise als Sinnbild der geschundenen Kreatur. Berührend auch sein Bild vom "Herzloch". Mit Pfeilen hat Uecker eine Leinwand beschossen - trotz des aggressiven Aktes eine poetisch kalkulierte Aktion.

Heinz Mack ist fast in der ganzen Breite seines frühen Werkes vertreten. Neben verschiedenen Licht-Stelen sind Rasterbilder und Reliefs aus jenen Jahren zu sehen, dynamische Strukturen und Illustrationen des Zero-Druckwerks. Ins Auge sticht das erhabene Aluminiumbild "New York, New York", das besonders gut an diesen Ort passt. Hohe Aufmerksamkeit bei den Besuchern erregen seine Fotos aus der Wüste wie auch der Film "Tele-Mack", der von seinen verwegenen Aktionen in der Natur, Ende der Sechziger Jahre, berichtet.

Anders als in einer Ausstellung von Rubens oder auch Matisse, in der das Verharren vor dem Bild, das Eintauchen und Versenken in Farbe, Motiv und Schönheit ein rein sinnliches Erlebnis beschert, werden auf der Zero-Zeitreise Störfeuer gezündet - es ist eine Ausstellung, die Abenteuer im Kopf anzettelt. Die Künstler erlaubten sich, zu träumen, sie waren Existentialisten, Revoluzzer.

Die furchtbarsten Kriegserlebnisse mussten sie als Angehörige ihrer traumatisierten Generation verwinden: helle Blitze in Bombennächten, das Scheppern der zerberstenden Synagogenfenster in der Kristallnacht, den schwarzen Rauch über ausgebombten Häusern, Tod und Verlust von geliebten Menschen. Alles hatten sie verloren, nur die Hoffnung nicht und ihre Fantasie. Da fuhr so eine ungeheure Kraft in diese Männer, eine Unbeirrtheit, eine Extravaganz und gesunde Anarchie, eine Besessenheit und gleichzeitig eine Leichtigkeit. Sie erlaubten sich, einfach das zu tun, was niemand für möglich hielt.

Davon berichtet diese Ausstellung. Ausführlich, augenfällig und anregend.

(RP)
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