Eine Frage Des Stils Neues vom Abstandswauwau

Menschen brauchen persönlichen Freiraum um sich - wenn es geht, auch im vollen Bus, im Aufzug und im Restaurant. Natürlich muss oder kann es nicht immer eine Armlänge sein. Rücksicht ist aber trotzdem angebracht.

Neulich in der Straßenbahn folgende Szene beobachtet: Ein zugestiegener Fahrgast blickt sich suchend im halbleeren Waggon um, nimmt dann neben einer auf einem Viererplatz sitzenden Seniorin Platz. Und zwar reichlich Platz, so dass die Dame zuerst überrascht die Arme in die Seiten presst, näher ans Fenster rückt und schließlich kopfschüttelnd aufsteht und sich einige Reihen weiter setzt. Auf eine bis dato leere Bank. Hätten viele sicher genauso gemacht.

Die berühmte Armlänge Abstand ist nicht immer das Maß aller Dinge. Trotzdem ist der persönliche Freiraum wichtig. Nicht im großen, lebensplanerischen Sinne (da auch, aber da brauchen wir eine längere Kolumne!), sondern schlicht physisch. Wie viel Platz jeder um sich will, ist dem persönlichen Gefühl geschuldet, unterliegt aber auch allgemeinen Regeln. Im Gespräch mit einigermaßen vertrauten Menschen ist oft die Rede von mindestens einem halben Meter. Wer's stilvoll angeht, achtet auf die Signale des Gegenüber: Wenn der dezent einen Schritt nach hinten macht, ist man zu nah. Wenn er sich mühsam vorbeugt, um dem Gespräch zu folgen, darf man einen Schritt ran.

In Bussen und Bahnen sollte gelten: Gibt es freie Doppelplätze, besetzt man sie, ehe man sich neben jemand anderen platziert. Die meisten machen das eh, weil sie selbst gern Raum um sich haben. Wenn die Bahn so voll ist, dass sich solche Fragen erübrigen, setzt man Rucksäcke und sperrige Taschen ab, weil man sonst die Lage unnötig verschärft. Das gilt auch in vollen Aufzügen, bei deren Betreten man übrigens - ein Service-Hinweis übers Thema hinaus - die bereits Aufzugfahrenden gerne grüßen darf. Das macht die Enge auch gleich viel persönlicher.

Die meisten finden es völlig in Ordnung, sich in Lokalen an einen Tisch zu anderen zu setzen. Allerdings nur dann, wenn a) dort genug Platz für alle nötigen Teller und Gläser bleibt, b) kein sehr, sehr verliebtes Pärchen sich über jenen Tisch hinweg ansieht und c) nicht noch mehrere andere Tische im Raum frei sind. Sonst könnte sich ein Dialog ereignen, wie er seit Jahren in einem alten Witz überliefert wird. Auf die Frage eines Herren, ob am Tisch einer hübschen Dame noch ein Platz frei ist, antwortete die bekanntlich: "Ja, aber nebenan auch."

Haben Sie eine Stilfrage? Dann gerne per Mail an stilfrage@rheinische-post.de

(RP)
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