München Nazi-Raubkunst: 1500 Werke aufgetaucht

München · Sie wurden als "entartet" beschlagnahmt oder jüdischen Sammlern geraubt. Laut einem Magazin-Bericht wurde in einer Münchner Wohnung ein unbezahlbarer Kunstschatz gefunden, darunter Bilder von Picasso, Matisse und Nolde.

Es ist der größte Kunst-Krimi der deutschen Nachkriegsgeschichte, der mit den Umtrieben der Nazis offenbar direkt in Verbindung steht: Zollfahnder haben einem "Focus"-Bericht zufolge in der vermüllten Wohnung eines 80-jährigen Münchners, Spross einer berühmten Kunsthändler-Dynastie, etwa 1500 verschollen geglaubte Gemälde von Meistern der klassischen Moderne entdeckt und beschlagnahmt. Es sind neben Dutzenden anderen Meisterwerke von Pablo Picasso, Henri Matisse, Marc Chagall, Emil Nolde, Franz Marc, Max Beckmann und Max Liebermann. Der materielle Wert dieser seit mehr als 70 Jahren unauffindbaren Gemälde, Grafiken und Zeichnungen dürfte laut ersten Expertisen bei über einer Milliarde Euro liegen. Den Untersuchungen zufolge liegen für mindestens 200 der gefundenen Kunstwerke offizielle Suchmeldungen vor, 300 stehen auf der Liste mit Werken der "entarteten" Kunst

Wie das Nachrichtenmagazin weiter schreibt, sollen die Nationalsozialisten die aufgefundenen Arbeiten von jüdischen Sammlern geraubt oder als "entartete" Kunst konfisziert haben. Am 29. Juni 1937 hatte Adolf Hitler seinen Propagandaminister Joseph Goebbels damit beauftragt, eine Ausstellung über sogenannte "Verfallskunst" zu organisieren. Goebbels machte sich damals ans Werk, in allen Museen Kunst zu beschlagnahmen, die nach Auffassung der Nationalsozialisten die Sitte und den Geist des deutschen Volkes zu vergiften drohten.

In jenen Jahren, auch dies zeichnet der "Focus" nach, wurden etwa 20 000 Werke von 1400 als entartet gebrandmarkten Künstlern geraubt und nach Berlin geschafft. Als Hitler 1938 das "Gesetz über Einziehung von Erzeugnissen entarteter Kunst" erließ, konnte der Staat als neuer Eigentümer fungieren, die Werke ins Ausland verkaufen oder vernichten.

Gleichzeitig beraubten die Nazis auch die Juden. Viele Menschen, die ans Exil dachten, sahen sich gezwungen, ihre Kunst zu verkaufen, um die "Reichsfluchtsteuer" begleichen zu können. Die jüdischen Sammler, darunter bekannte Händler und Galeristen, mussten die Bilder verramschen, da sie nur an deutsche Händler verkaufen durften. Auch der Pariser Händler Paul Rosenberg, Großvater von Anne Sinclair, Ehefrau des Politikers Dominique Strauss-Kahn, musste seine Bilder in Deutschland zurücklassen. Ein in München aufgefundenes Matisse-Bild soll ihm gehört haben.

Der Vater des Mannes, in dessen Wohnung der Kunstschatz gesichert wurde, Hildebrand Gurlitt, zählte zur Elite der Kunstszene. Gurlitt, 1895 in Dresden geboren, Kunsthistoriker und Kunsthändler, galt in den 1920er Jahren als Freund der Moderne. Aus diesem Grund wurde er von den Nazis von seinem Posten als Museumsdirektor vertrieben, außerdem wegen seiner jüdischen Großmutter verfolgt. Dennoch wurde er als Hitlers Helfer erwählt: Im Auftrag von Goebbels, so der "Focus", sollte Gurlitt die beschlagnahmten Werke zu Geld machen. Außerdem soll er im großen Stil die Werke jüdischer Sammler aufgekauft haben.Er wurde zum Chefeinkäufer für Hitlers erträumtes "Führermuseum" in Linz. Aberhunderte Bilder gingen damals in seinen Besitz über, schreibt das Magazin.

Nach dem Krieg argumentierte Gurlitt, er habe etlichen Künstlern und Juden geholfen, er habe schließlich Kunst vor der Vernichtung und vor dem Verkauf ins Ausland bewahrt. Beim Untergang Dresdens, das soll laut "Focus"-Recherche Gurlitt erzählt haben, seien alle Bilder verbrannt. Nach dem Krieg nahm Gurlitt also sein Geschäft als Kunsthändler ohne Probleme wieder auf, er galt für die Besatzer als Verfolgter. 1956 starb er bei einem Verkehrsunfall.

Sohn Cornelius lebte allein in einem Apartmenthaus in München-Schwabing, wo die Fahnder 2011 die Kunst entdeckten. Auf die Spur waren sie dem älteren Herrn mit mehreren Wohnsitzen und offenbar zweitem österreichischen Ausweis durch eine Routinekontrolle in einem Schnellzug von Zürich nach München gekommen. Er hatte viel Geld bei sich und gab an, Kunstgeschäfte getätigt zu haben. Da nahmen die Fahnder die Fährte auf in diesem Fall, bei dem noch vieles im Dunkeln liegt.

Die beschlagnahmten Gemälde sollen sich nun in einem Sicherheitstrakt des bayerischen Zolls in Garching bei München befinden. Die Berliner Kunsthistorikerin Meike Hoffmann begutachtet den Kunstschatz nun, sie versucht, die Herkunft und den Wert der Werke zu ermitteln.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Mein Beuys
Ein unbeachtetes Kunstwerk Mein Beuys
Aus dem Ressort