Nam June Paik in Dortmund Weltberühmt als schlechter Pianist, bahnbrechend als Videokünstler
Nam June Paik wird oft als Vater der Videokunst bezeichnet. Dass der Fluxus-Artist auch ein Wegbereiter der experimentellen Musik war, unterstreicht das Museum Ostwall mit seiner Schau „I Expose the Music“.
Er wirkte wie die Personifikation der Sanftmut. Doch auf der Performance-Bühne konnte sich Nam June Paik in das glatte Gegenteil verwandeln. Ohne mit der Wimper zu zucken zerschmetterte der aus Korea stammende US-Künstler (1932–2006) eine Violine, malträtierte diverse andere Musikinstrumente oder zog sich aus, während er Beethovens „Mondscheinsonate“ auf dem Klavier spielte. Notgedrungen teils einarmig. In den frühen 1960er-Jahren, als Paik bei Karlheinz Stockhausen in Köln studierte, kam er in Kontakt mit der dortigen Fluxus-Szene. Rasch zählte der Musiker, Komponist, Performer und Videopionier zu den Galionsfiguren der Bewegung, die gern schockierte.
Schockieren, um die Kunst aus den Angeln zu heben, das wollte auch Nam June Paik. Doch war der Medienkünstler, der von 1979 bis 1996 an der Kunstakademie Düsseldorf lehrte, weit mehr als ein Provokateur. Dies verdeutlicht jetzt eine Werkübersicht im Museum Ostwall – Fluxus ist einer der Schwerpunkte des städtischen Museums. Obwohl sich Paik, ein Schelm, einmal als „the world‘s most famous bad pianist“ bezeichnet hat, war er ein gestandener Musiker, komponierte mehrere Symphonien und gehört zu den Wegbereitern der experimentellen Musik. „I Expose the Music“, lautet folgerichtig der Titel der Dortmunder Ausstellung, die besonders die Live-Momente des Kunst-Revoluzzers in den Blickpunkt rückt.
Rund 100 Exponate sind im sechsten Geschoss des Dortmunder U versammelt. Hier findet man Partituren und fotografische Dokumentationen seiner musikalischen Darbietungen, außerdem Live-TV-Sendungen, Installationen, Medienskulpturen, Videos, Handlungsanweisungen und Plakate. Highlight der Schau ist die „Sistine Chapel“– ein Vorläufer der immersiven Welten, die inzwischen auf breiter Front in den Kunstbetrieb Einzug gehalten haben. Bei der Venedig-Biennale von 1993 hatte Paik seine ‚Sixtinische Kapelle‘ im deutschen Pavillon eingebaut. Mit einer bis dahin nicht dagewesenen Fülle von Projektoren bespielte der Künstler Wände und Decken des Pavillons. Eine multimediale, flirrend bunte Collage, die in Dortmund in einer Rekonstruktion von 2019 zu erleben ist.
Neben Nam June Paik gibt es eine zweite Hauptdarstellerin in der Ausstellung: Charlotte Moorman. Die US-Cellistin (1933–1991) war Paiks wichtigste künstlerische Gefährtin und stand beinahe drei Jahrzehnte im Rampenlicht seiner Aktionsmusik. Mal spielte sie auf einem Elektro-Cello, das er aus drei Fernsehgeräten zusammengebaut hatte. Mal befestigte sie zwei Mini-Fernsehgeräte an ihren Brüsten – als „TV Bra for Living Sculpture“ ging die Aktion in die Kunstgeschichte ein. Weil das Fluxus-Duo der Meinung war, Nacktheit würde im 20. Jahrhundert immer noch zu Unrecht aus der klassischen Musik verbannt, zog auch Moorman bei den gemeinsamen Performances regelmäßig blank.
Rund 200 Mal, erfährt man im Katalog, trat Paik mit künstlerischen Aktionen vor Publikum auf. Ein Vollblut-Performer. Und einer, der gerne Allianzen schmiedete – mit Joseph Beuys, John Cage oder Dieter Roth hat er zusammengearbeitet. Musik jenseits der traditionellen Aufführungspraxis bildete dabei stets den Ausgangspunkt. Das Prinzip Partizipation erweiterte Paik aufs Publikum: In der Ausstellung repräsentieren „Random Access“ und „Schallplatten-Schaschlik“ jene Arbeiten, die erst durch Eingriffe der Besucher zu Leben erwachen. Mit diesem interaktiven Ansatz trifft Nam June Paik ins Schwarze des zeitgenössischen Kunstwollens. So macht es Sinn, dass vier Gegenwartskünstler in die Paik-Hommage eingebunden sind: Aki Onda, Autumn Knight, Annika Kahrs und Samson Young präsentieren vor der Kulisse von Paiks nie aufgeführter „Sinfonie for 20 Rooms“ wechselnde Installationen und Performances.
Info „Nam June Paik: I Expose the Music“, Museum Ostwall im Dortmunder U, bis 27. August 2023