Künstler klagen über vorschnelle Entscheidung Ruhrtriennale-Chefin will Uraufführungen retten

Gelsenkirchen · Stefanie Carp setzt sich dafür ein, einige Uraufführungen des Festivals trotz der Absage zu realisieren. Sie könnten in anderen Zusammenhängen gezeigt werden. Künstler des Festivals klagen darüber, vor der Absage nicht gehört worden zu sein.

 Intendantin Stefanie Carp und Regisseur Christoph Marthaler

Intendantin Stefanie Carp und Regisseur Christoph Marthaler

Foto: Ruhrtriennale/D. Sadrowski

Nach der Absage der Ruhrtriennale aufgrund der Corona-Pandemie hat sich einer der wichtigsten Künstler des Festivals zu Wort gemeldet. In einem offenen Brief an NRW-Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen, schreibt Regisseur Christoph Marthaler, er sei erstaunt, dass vor der Absage die „Stimmen der eingeladenen Künstler und Künstlerinnen offensichtlich kein Gewicht“ bekommen hätten. Er selbst habe mit Pfeiffer-Poesgen noch kurz vor der Entscheidung gesprochen und eigentlich den Eindruck gehabt, sie stehe Überlegungen zur Anpassung des Programms an die Corona-Bedingungen positiv gegenüber. Dann sei aber ohne weitere Rücksprache gegen die Alternativvorschläge entschieden worden. „Es ist ein Problem, wenn Politik und Verwaltung in Krisenzeiten allein agieren“, schreibt Marthaler.

Das NRW-Kulturministerium erklärte auf Nachfrage zum Zeitpunkt der Absage und zum Vorwurf, die Künstler seien nicht einbezogen worden, die Entscheidung sei „nach einer umfassenden Diskussion getroffen worden, bei der alle denkbaren Optionen erörtert und abgewogen wurden“ und wiederholte anonsten die Begründung, die bereits zur Absage formuliert worden war. Da hatte Ministerin Pfeiffer-Poensgen den Gesundheitsschutz ins Feld geführt, auf die Vielzahl der beteiligten Künstler hingewiesen und die Entscheidung als „unumgänglich“ bezeichnet. Große Veranstaltungen wie die Ruhrtriennale müssten in Corona-Zeiten „einer besonderen Verantwortung gerecht werden“.

Die Intendantin des Festivals, Stefanie Carp, hatte die Absage daraufhin als „verfrüht“ kritisiert und von „unvergesslichen Kreationen“ gesprochen, die trotz Corona hätten produziert werden können. Auf Anfrage kann sie diese Pläne konkretisieren. So hätten etwa zwei zentrale Uraufführungen des Festivals, die von Christoph Marthaler und von den Künstlerinnen Brigitta Muntendorf und Stephanie Thiersch, an die Corona-Hygienebedingungen angepasst werden können. Die Vorbereitungen für ein „kleineres und konzentriertes Septemberprogramm“ seien auf einem guten Weg gewesen. Da es sich bei diesen beiden Produktionen um Eigenproduktionen gehandelt hätte, die in den Räumen der Ruhrtriennale entwickelt worden wären, wären Reisebeschränkungen nicht problematisch geworden. Alle beteiligten Künstlerinnen und Künstler seien bereit gewesen, sich auf Herausforderungen wie Abstandsregeln einzulassen und damit produktiv umzugehen. „Social Distancing ist etwa bei Marthaler immer schon ein Teil seiner Ästhetik gewesen. Ich hatte mit ihm besprochen, dass wir für das Publikum Stühle mit vielen Metern Abstand im Raum verteilen und er mit sehr viel weniger Musikern arbeitet“, sagt Carp. „Wir werden neue Ästhetiken finden müssen, neue Präsentationsformen, die auf die Corona-Bedingungen reagieren. Wer, wenn nicht die Ruhrtriennale, könnte da – allein auf Grund der Größe ihrer Räume – als Labor für die Zukunft vorangehen? Es tut uns so leid, dass wir das nun nicht mal probieren dürfen.“

 Auch über die Auslastung eines möglichen Ersatzprogramms hatten sich die Festivalmacher Gedanken gemacht. Die Ruhrtriennale kämpft seit ihrer Gründung 2002 gegen den Vorwurf, Hochkultur für ein elitäres Publikum zu präsentieren. Corona hätte diesen Vorwurf womöglich verschärft, weil durch die Auflagen noch weniger Menschen in den Genuss der Aufführungen gekommen wären. „Diese Vorbehalte nehme ich sehr ernst“, sagt Carp. „Wir hätten uns vorstellen können, Publikum in Loops, also in kleinen Gruppen nacheinander einzulassen, um die Zahl der Zuschauerinnen und Zuschauer zu erhöhen.“ Einige Künstler arbeiteten ohnehin eher mit installativen Formaten, die viele Menschen nacheinander erleben können. Man habe über vieles nachdenken können. „Ich finde es schade, dass das Vertrauen gegenüber den Künstlerinnen und Künstlern anscheinend nicht gereicht hat“, so Carp. „Bis Mitte Mai hätten wir ein seriös durchgerechnetes Konzept vorlegen können. Die Gesellschafter und der Aufsichtsrat haben nun leider vorher entschieden.“

 Durch die Absage hat Stefanie Carp kein weiteres Budget mehr zur Verfügung, tritt aber dafür ein, dass angefangene Produktionen zu Ende geführt werden. Etwa mit dem Tanz-Produktionshaus Pact Zollverein in Essen. „Ich werde mich dafür einsetzen, dass wir an die Partner, die von uns zugesagten Produktionsgelder zahlen“, sagt Carp, „dann kann man viele Arbeiten retten und später in anderen Zusammenhängen doch noch zeigen.“ Carp schwebt eine „migrierende Ruhrtriennale“ vor. Für solche Möglichkeiten sei es hoffentlich nicht zu spät, sagt die Intendantin.

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