Instrument zerstört Ein Kontrabass auf der Intensivstation

Das Instrument eines Düsseldorfer Symphonikers war vom Podium der Tonhalle gestürzt. Ein Kölner Geigenbauer hat es repariert.

 Daniel Kress repariert den kaputten Kontrabass von Wlodzimierz Gula, dem Solobassisten der Düsseldorfer Symphoniker.

Daniel Kress repariert den kaputten Kontrabass von Wlodzimierz Gula, dem Solobassisten der Düsseldorfer Symphoniker.

Foto: Tanya Davidow

Autsch! Allein bei der Vorstellung, dass so ein Kontrabass über den Rand der Tonhalle-Bühne ins Parkett kracht, sich dabei Hals und Wirbelkasten bricht und im Gestrüpp seiner fünf Saiten zum Entsetzen der Umstehenden in Stücken auf dem Boden liegt, krampft sich jedem halbwegs sensiblen Musiker das Herz zusammen. Ein Streichinstrument, und sei es auch ein vermeintlich grobschlächtiges wie das größte der Familie, hat doch eine Seele, die klingen und singen will. Wird dieser Haufen Holz und Draht, das Dienstinstrument des Solobassisten der Düsseldorfer Symphoniker Wlodzimierz Gula, jemals wieder spielen können?

Ein paar Wochen nach dem Unfall stehen wir in der Werkstatt des Geigenbauers Daniel Kress in Köln. Der Bass, der da mit dem Anschein der Unversehrtheit auf dem Hocker thront, ist, seinen Worten nach, der nämliche. Kann man dem Mann mit Zopf und Bart glauben, diesem freundlichen Blick aus braunen Augen? Daniel Kress gilt mit seinen 43 Jahren als so etwas als der „Bassflüsterer“ unter Deutschlands Geigenbauern. So viele Kontrabässe wie in seiner Altbau-Wohn-Werkstatt über einer alteingesessenen Metzgerei wird man so schnell nicht wieder zu sehen bekommen. Nach der Meisterschule in Mittenwald hat der junge Familienvater eher zufällig bei der deutschlandweit ersten Adresse für Kontrabassbau, Pöllmann, angeheuert. Als Restaurator. Heute stehen in seinem 2004 gegründeten Betrieb ein paar hundert Jahre alte Instrumente neben ziemlich neuen. Deutsche, englische, italienische, französische. Jedes mit typischer Form, Farbe, Klang. Eigener Seele.

Ein Orchesterbass lebt gefährlich. Gefährlicher jedenfalls als seine Verwandten. Denn so eine Geige kommt geborgen unter dem Arm seines Besitzers auf die Bühne, dann stehen die Kontrabässe schon an ihrem Ort. Wenn ein Cellist nach der Probe oder nach dem Konzert sein Instrument sorgsam vor Zusammenstößen geschützt zurück in seinen Kasten trägt, liegen die Bässe auf den Zargen oder lehnt ihr Hals an Hockern. Wehe, ein Notenständer kippt, ein Orchesterwart ist im Stress, ein Kollege in Eile. „Schäden an Kontrabässen sind relativ häufig“, sagt Kress. Aber Hals ab und Wirbelkastenbruch sind dann doch eine außergewöhnliche Herausforderung.

Die Dienst-Instrumente der Bassisten der Tonhalle sind sowieso regelmäßig in der Werkstatt Kress zu Gast, besser: zur Kur sind. Lackschäden sind auszubessern, kleine Risse zu leimen, Griffbretter abzuziehen, Wirbelmechaniken gangbar zu machen – Alltag eines Geigenbauers. Aber Daniel Kress wäre nicht einer der Anerkannten im Geschäft, wenn er und seine drei Mitarbeiter nicht auch ein Händchen für Klang und Spielbarkeit hätten. Und so verlässt so mancher Kontrabass die Werkstatt Kress volltönender und leichter zu handhaben. Der Meister zeigt dem Besucher einen Keil unterm Griffbrett, damit des Bassisten Spielhand leichter in die Höhe klettern kann, weist auf den vergrößerten Abstand des Griffbretts zum Korpus hin, fachsimpelt von Steghöhe, Saitendruck, Schwingungsverhalten von Decke, Boden und Zargen. Große Listen mit Messwerten fügen sich zu einem komplexen Zusammenhang von Faktoren, die den Klang des Instruments ausmachen. Und Erfahrung.

Der Kölner Geigenbauer kennt die Tonhallen-Bässe wie kein anderer. Bei vielen Klang-Vorspielen der in diesen Dingen äußerst ehrgeizigen Bassisten-Gruppe war er dabei, entwickelte seine Vorstellungen. Und die hohe Zufriedenheit seiner Düsseldorfer Kunden hat sich inzwischen etwa auch nach Leipzig zum Gewandhaus oder zu den Berliner Philharmonikern herumgesprochen, was den Meister und seine Mitarbeiter natürlich freut. Mit Gulas Bass allerdings war die Sache frickelig. Denn Gula wollte gern den alten Hals des Instruments behalten, dessen Ansatzstelle am Korpus in Splittern (nicht mal komplett) und dessen Wirbelkasten in unreparierbaren Fragmenten vorlag, die zu allem Überfluss von einer abenteuerlichen Reparaturgeschichte zeugten.

Dass Gulas Bass einmal als Viersaiter auf die Welt kam, ist nicht ungewöhnlich. Der (hier ziemlich dilettantische) Umbau auf fünf Saiten, also mit einer zusätzlichen tiefen H-Saite, ebenfalls nicht. Nach dem Podeststurz allerdings war daran nichts mehr zu retten. Ein neuer Wirbelkasten musste rekonstruiert, die schöne, alte Schnecke an der einen Seite angesetzt, der alte Hals neu „angeschäftet“ werden. „Ich sehe viele Hinweise, dass der Bass in England bei Hawks gefertigt wurde, mit etlichen Teilen, die aus Deutschland stammen. Dass in meiner Werkstatt mein britischer Mitarbeiter Charly dieses deutsche Instrument mit englischer DNA repariert hat, sehe ich als eine Art Pointe dieser komplizierten Arbeit“, sagt Kress. Jetzt finden sich also so viel wie möglich originale Teile an dem reparierten Bass. Vier alte, gegossene Wirbelmechaniken sitzen nun auf neuen, nach Hawks kopierten Messingblechen statt direkt im Holz. Die unbrauchbare fünfte Mechanik ließ Kress neu konstruieren und drehen in einer Werkstatt, die sonst Teile von Oldtimer-Motoren originalgetreu nachbaut.

 Die Risse an der Schnecke sind deutlich zu erkennen.

Die Risse an der Schnecke sind deutlich zu erkennen.

Foto: privat
 Die Einzelteile des ramponierten Instruments.

Die Einzelteile des ramponierten Instruments.

Foto: privat

Gula hat beim letzten Konzert der alten Spielzeit schon einmal auf seinem (provisorisch) reparierten Bass in der Tonhalle gespielt und zeigte sich begeistert vom Ergebnis. Wenn in wenigen Tagen alle Retuschen erledigt, die neue Mechanik eingebaut ist, steht einer „Wiedergeburt“ nichts im Weg. Man wird hören.

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