Referenzaufnahme Mein Bach, mein Cello und ich

Düsseldorf · Der amerikanische Cellist Yo-Yo Ma verneigt sich auf seinem neuen Album vor dem Barockgenie.

 Der Cellist Yo-Yo Ma nimmt sich auf seinen neuer Platte erneut der sechs Solo-Suiten von Bach an..

Der Cellist Yo-Yo Ma nimmt sich auf seinen neuer Platte erneut der sechs Solo-Suiten von Bach an..

Foto: Michael O'Neill

Die Einsamkeit des Cellisten hat einen Namen: Bachs Solo-Suiten. Das sind sechs Wunderwerke mit variablen Temperamenten, Stilen, Ausdrucksebenen, Anforderungen. Es gibt keinen Assistenten, keinen Dirigenten, keine Ablenkung. Es gibt nur die eine pure Situation: mein Bach, mein Cello und ich.

Natürlich haben alle Könner vom Fach dieses Neue Testament der Cello-Literatur drauf, aber die neueste Aufnahme stammt von einem Musiker, der unendlich viel Erfahrung mit dem Zyklus besitzt: Yo-Yo Ma hat ihn bereits zwei Mal zuvor aufgenommen. Das erinnert einen an Alfred Brendels lebenslange Beschäftigung mit den Klaviersonaten Ludwig van Beethovens.

Ma, der 1955 in Paris geborene Amerikaner mit chinesischem Elternhaus, empfindet seinen Bach ebenfalls als Generationenauftrag, als musikalisches Elternhaus, in das man immer gern zurückkehrt (sofern man keinen bleibenden Schäden davongetragen hat). Nun, Mas Kindheit war schon früh infiziert gewesen, die Mutter war Sängerin, der Vater Geiger, mit vier Jahren bekam das Kind ein Cello, mit acht Jahren trat es mit Leonard Bernstein auf, und dann bekam es Unterricht bei dem großen Leonard Rose.

Yo-Yo Ma hat in seinem Leben unendlich viel geleistet und viele Menschen bewegt, er besitzt ja auch einen sonnigen Charme und eine überrumpelnde Art, sein Publikum für sich einzunehmen. Zugleich genießt er es, mit spektakulären Aktionen viele Menschen für das Cello zu begeistern. Unvergesslich ist sein Auftritt mit Condoleezza Rice, der exzellenten Pianistin, die einige Zeit US-Außenministerin war. Oder seine hinreißende Platte (mit Filmprojekt) über Musik von der Seidenstraße, bei der sich Künstler aus aller Welt trafen, um ihre Sicht der Dinge (aus Galizien, aus der Mongolei, aus Syrien) in eine universell friedliche und bewegende Schwingung zu bringen.

Was das mit Bach zu tun hat? Alles. In den sechs Suiten hat Yo-Yo Ma ebenfalls eine Reise entdeckt, eine Entwicklung, Bach befand sich, glaubt Ma, mit sich selbst im Austausch, in steter Reflexion, und hat den Zyklus als Prozess angelegt, den die einzelnen Suiten wie Etappen gliedern. Das Ganze nennt er „six evolutions“.

Die erste Suite (G-Dur) beispielsweise nennt Ma „die Natur im Spiel“, die zweite (d-Moll) „Reise zum Licht“, die fünfte (c-Moll) „Kampf um Hoffnung“ oder die sechste „Epiphanie“. Die Werke stehen also nicht austauschbar nebeneinander, sie haben, glaubt Ma, vielmehr eine sehr bewusste, fast wissenschaftlich kalkulierte Position in der Gesamtanlage. Das erinnert an Meister Bachs Selbstverständnis  vom Komponieren als arithmetisch-geometrischer Kunst

Akademisch ist Mas Spiel natürlich keine Sekunde, im Gegenteil. Sein Spiel hat an Kraft zur Versenkung noch gewonnen; rührselig verschleppt oder eiskalt heruntergebürstet wird da nichts; die Grundhaltung bleibt positiv, tänzerisch, gelassen. Der Hörer ist es am Ende auch. Und glücklich.

Info Yo-Yo Ma: „Six evolutions“ – Bachs Cellosuiten (Sony, zwei CDs)

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