Joan Baez wird 80 We Shall Overcome

Sie ist die Heilige des Folk: Joan Baez lieferte den Soundtrack zum politischen Aufruhr der 1960er Jahre. Und sie beeindruckt weiterhin durch Haltung und Aufrichtigkeit.

 Die Folksängerin Joan Baez.

Die Folksängerin Joan Baez.

Foto: imago images / ZUMA Press

Woodstock fand sie doof, das war ihr zu wenig Politik und zu viel Spaß. Sie stand auf der Bühne, 28 Jahre alt und im sechsten Monat schwanger von einem Mann, der wegen zivilen Ungehorsams im Gefängnis brummte. Sie begann mit „Oh! Happy Days“, und als die Zuschauer wie Kleinkinder im Schlamm zu rangeln begannen, ermahnte sie sie streng: „Setzt euch bitte hin!“ Sie sollten ruhig wissen, dass es hier ums Ganze ging, um eine neue Gesellschaft und eine bessere Welt. Spätestens bei der Zugabe hatte sie die Menge dann im Griff: „We Shall Overcome“.

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Joan Baez feiert am Samstag, den 9. Januar, ihren 80. Geburtstag, „St. Joan“, wie sie genannt wird, die Heilige des Folk, die gute Frau aus Kalifornien. Seit 1960 veröffentlicht sie Platten, und wenige andere Künstler haben Musik so konsequent zur Vermittlung einer Haltung, einer Aussage und des Engagements eingesetzt wie sie. Baez bringt stets mehr auf die Bühne als ein paar Lieder. Sie beglaubigt ihre Kunst mit ihrem Leben, das kann man ruhig so pathetisch sagen.

Pathos passt ohnehin zu ihr, die so gern mit einem Beben in der Stimme ans soziale Bewusstsein appellierte und auch noch „Kinder (Sind so kleine Hände)“ von Bettina Wegner coverte. Erst in den vergangenen Jahren wirkt sie gelassener. „Wenn ich auf die Bühne gehe, mache ich nicht mehr Geschichte“, sagte sie kürzlich, „ich bin Geschichte.“

Im Rückblick auf ihre Karriere wirkt diese bescheidene Person wie der gute Geist der Popkultur. Sie war eine der wenigen Frauen in dieser von Männern dominierten Szene. Sie war ein bisschen älter als die meisten Folk-Lümmel jener Jahre, und bis auf eine irre Phase in den 70ern (siehe das Plattencover von „Blowin’ Away“ 1977!) verzichtete sie auf Drogen und Alkohol. Sie stand da mit erhobener Faust und sang gegen Vietnamkrieg, Rassentrennung und Ungleichheit. Sie engagierte sich für Bürgerrechte, gegen den Irakkrieg und für totale Gewaltlosigkeit. Nur gelegentlich konnte sie die Sache mit Humor nehmen. Etwa auf dem Poster, mit dem sie Kriegsdienstverweigerer unterstützte: „Mädchen sagen ja zu Jungs, die nein sagen“, stand darauf.

Als Schülerin weigerte sie sich einmal, bei einer Luftschutzübung in den Sicherheitsraum zu gehen. Die Raketen der Russen wären ohnehin schneller da, als sie diesen Weg zurücklegen könnte, argumentierte sie. Sie stellte Autoritäten schon als Kind in Frage und entwickelte früh ein politisches Bewusstsein. Ihre Mutter stammte aus Schottland, der Vater aus Mexiko, und wegen ihrer dunkleren Hautfarbe wurde sie als „Nigger“ beschimpft.

Sie verehrte Pete Seeger und war bereits beim Folkfestival in Newport aufgetreten, als sie 1961 ein junges Talent namens Bob Dylan kennenlernte. Sie stellte ihn bei ihren Konzerten als Überraschungsgast vor, sie sang seine Lieder, und die beiden waren fünf Jahre lange ein Paar. Vielen seiner Hymnen lieh sie die Stimme, „I Shall Be Released“ etwa, und besonders toll: „Forever Young“.

Joan Baez ist vor allem Interpretin, sie schrieb nur wenige Lieder selbst, und die besten davon erschienen in den frühen 1970er-Jahren. Das allerherrlichste ist „Diamonds And Rust“, darin erzählt sie von Dylan, der zehn Jahre nach der Trennung unverhofft noch einmal anruft. Sie beschreibt ihn als „ungewaschenes Phänomen“, und dann kommt diese wunderbare Zeile, und sie singt sie mit ihrer unglaublichen Stimme: „We both know what Memories can bring / They bring Diamonds and Rust“. Man könnte Doktorarbeiten über die Live-Versionen schreiben, für die Baez den Text gelegentlich abändert, etwa in „You brought Troubles“. Dylan hat sie übrigens seit zehn Jahren nicht mehr gesprochen, sie traf ihn vor einiger Zeit im Weißen Haus bei einer Bürgerrechts-Veranstaltung, erzählte sie jüngst, aber sie sprach ihn nicht an, weil sie Sorge hatte, er könne sie einfach stehen lassen.

Anfang der 80er-Jahre hatte sie eine kurze Liaison mit dem 14 Jahre jüngeren Apple-Gründer Steve Jobs. Die beiden hielten den Kontakt nach dem Ende der Liebesbeziehung, und als sie ein neues Telefon brauchte, bat sie den Freund um ein Smartphone. Direkt danach starb Jobs. Zwei Tage nach seinem Tod stand ein Bote vor der Tür von Baez und lieferte das neue iPhone 5.

Jüngere Künstler wie Taylor Swift, Lana Del Rey und Mumford & Sons verneigen sich öffentlich vor ihr. Sie dürfte die Aufrichtigkeit faszinieren, mit der Baez auftritt. Die Unverbrüchlichkeit. Ihr Mut. Sie lebt in Kalifornien in einem Anwesen, das wie ein Schiff gestaltet ist. Wie eine Arche Noah vielleicht, Hühner laufen vor den Türen herum, und in der Nähe gibt es ein Baumhaus ohne Dach, in dem Baez meditiert und arbeitet. Sie hat ihr Geld weise angelegt, heißt es, sie tritt nur noch auf, weil sie weiß, wie sehr die Welt Protestsänger braucht. „Nasty Man“ hat sie ein Lied gegen Donald Trump genannt.

Sie ist nie nostalgisch, sie mag keine Wehmut, sondern singt lieber Songs von jüngeren Kollegen wie Antony & The Johnsons. Sie hat die Flamme getragen, nun gibt sie die Fackel weiter. „Lieder können eine Menge verändern“, sagt sie. „Musik hebt den Geist, überwindet Grenzen und kann Menschen dazu bringen, Dinge zu tun, die sie sonst nicht gemacht hätten.“

Joan Baez. Tolle Frau. May you stay forever young.

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