Interview mit Toten-Hosen-Sänger Campino "Wir dachten, wir sind die Revolution"

Düsseldorf (RP). Campino, 48-jähriger Sänger der Düsseldorfer Punk-Band Die Toten Hosen, spricht im Interview mit unserer Redaktion über die Nöte seines kleinen Sohnes mit dem berühmten Vater. Er verrät, warum er das Angebot ablehnte, einen Musiklehrer im "Tatort" zu spielen, und was er und seine Musiker-Kollegen derzeit im Studio vorbereiten.

Erklärt: Die Alben der Toten Hosen
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Foto: Hersteller

Campino sieht müde aus. Der 48-jährige Sänger der Toten Hosen ist erkältet, lag tags zuvor mit Fieber im Bett. "Hab mir wohl was bei meinem Sohn eingefangen", sagt er. Sein Sohn Lenny ist sechseinhalb, er lebt in Berlin und geht seit dem Sommer zur Schule.

Campino ist vor wenigen Tagen aus der Hauptstadt angereist, wo er eine Wohnung hat. In Berlin lebt auch die Mutter seines Sohnes, von der er sich vor Jahren getrennt hat. Der Flug nach Düsseldorf hatte wegen der Wetterverhältnisse mehrere Stunden Verspätung.

Nun sitzt er im Café "Miss Moneypenny" am Bilker Bahnhof und trinkt Cappuccino. Er wirkt trainiert, trägt einen engen schwarzen Pullover, dessen lange Ärmel er über die Hände zieht. Campino spricht mit belegter Stimme, wirkt aber zufrieden.

Bleiben Sie über Weihnachten in Düsseldorf?

Campino: Ja. Ich fahre zurzeit viel zwischen Düsseldorf und Berlin hin und her, und jetzt bin ich dankbar, die Feiertage in Ruhe hier verbringen zu können. Silvester bin ich in Berlin und zünde mit meinem Sohn jede Menge Feuerwerk an.

Wie begehen Sie den Heiligen Abend?

Campino: Ich habe mir vorgenommen, zu arbeiten und Texte zu schreiben. Aber ich fahre auch mit dem Mountainbike in den Wald. Ich genieße dort die Stille und die Atmosphäre. Und wenn ich mit dem Fahrrad aus dem Wald komme und die Leute gehen zur Kirche, ist das ein schöner Moment. Ich entscheide dann spontan, ob ich mich ihnen anschließe.

Sie gehen in die Kirche?

Campino: Manchmal. Ich mag die Stimmung an diesen Tagen. Früher bin ich öfter in die Andreaskirche in Düsseldorf gegangen, um Pater Emmanuel Renz zuzuhören, der vor vier Jahren gestorben ist. Das war immer bewegend.

Der Geistliche als Instanz.

Campino: Durchaus. Ich habe ja auch eine lange Beziehung zu den Benediktinern der Abtei Königsmünster.

Sie haben dort sogar schon gepredigt.

Campino: Ein Freundschaftsdienst. Als Dank dafür, dass ich mich dorthin zum Nachdenken und Texten zurückziehen durfte.

Sie lasen vor den Benediktinern aus der Feldpost ihres Vaters.

Campino: Ja. Ich hatte in dieser Zeit den Briefwechsel zwischen meinem Vater und meinem Großvater gefunden, der mich sehr beschäftigt hat. Die Stimmung in diesen Briefen war oft gleich: Man versicherte einander, dass man noch lebte und wo man sich zur Zeit aufhielt. Am Ende kam der Satz: So Gott will. Der Glaube hat meinen Vater durch den Krieg getragen.

Seit sechs Jahren sind Sie selbst Vater. Hat sich Ihre Beziehung zu Weihnachten dadurch verändert?

Campino: Es hat sich alles verändert, seit ich Vater bin. Aber die letzte einschneidende Veränderung in Sachen Weihnachten war eher der Tod meiner Eltern. Das Elternhaus war mein Fixpunkt. Seitdem mein Vater und meine Mutter nicht mehr da sind, ist dieses Fest nicht mehr dasselbe. Aber ich halte es im Herzen in Erinnerung. Und selbstverständlich möchte man seinen Kindern auch das schönste Weihnachtsfest ermöglichen.

Glaubt Ihr Sohn an das Christkind?

Campino: Das Stadium der Ironie, das die Roten Rosen gepflegt haben, hat er noch nicht erreicht. Er hat mich tatsächlich letztens gefragt, wie der Weihnachtsmann das macht, so ganz alleine und nur mit einem Sack.

Was haben Sie geantwortet?

Campino: Dass er jede Menge Helfer hat. Ich möchte ungern derjenige sein, der die schlechte Nachricht überbringt, was es mit dem Weihnachtsmann wirklich auf sich hat.

Sie sagten, alles habe sich verändert, seit Sie Vater sind. Inwiefern?

Campino: Elternschaft ist wie die Mitgliedschaft in einem großen Geheimclub. Diese Form bedingungsloser Liebe, dass man also jemanden liebt, ohne dafür etwas zurückhaben zu wollen; dass man alles dafür tun möchte, vom anderen Menschen Unglück abzuwenden: Das ist eine unglaubliche Erfahrung. Und ein großes Geschenk. Dafür bin ich dankbar. Mich hat das abgerundet und vollständig gemacht. Mein Sohn hat mich aus der Reserve geholt.

Ein Tipp, wie man die Zubettbring-Prozedur abends abkürzen kann?

Campino: Kinder spüren, ob Eltern entschlossen sind. Da helfen klare Ansagen. Mein Junge macht da nicht sehr viele Probleme.

Sagt er Papa oder Andreas zu Ihnen?

Campino: Papa. Ich fand das am Anfang komisch, aber ihm kommt's gut über die Lippen. Manchmal rutscht er auch ab. Das ist ein komischer Moment, wenn er mal Campino sagt. So etwas passiert, wenn andere Kids aus der Schule mir hinterherrufen: Campino oder Campi.

Sprechen ihn in der Schule ältere Kinder auf den berühmten Papa an?

Campino: Leider ja. Ältere Schüler fragen, dein Papa ist doch der Campino. Das hat ihn anfangs irritiert, aber irgendwie muss er damit ja klarkommen.

Bedrückt Sie das?

Campino: Ich wünschte, ich könnte ihn davon befreien. Er wundert sich nicht, wenn ich ihm am Flughafen vorlese und jemand kommt und möchte ein Autogramm. Er sagt dann: Komm, lies weiter, Papa. Aber die Vorstellung, dass er vielleicht wegen mir irgendwann mal Ärger kriegt, mit dem er nichts zu tun hat, ist nicht schön.

Ich habe ein Geschenk für Sie. Mein Buch des Jahres: "Tschick" von Wolfgang Herrndorf. Kennen Sie das?

Campino: Vielen Dank, ich kenne es nicht. Worum geht's?

Zwei 14-Jährige fahren im geklauten Lada eine Woche durch Brandenburg. Unter der Fußmatte finden sie eine Cassette von Richard Clayderman. Es wird der Sommer ihres Lebens.

Campino: Das klingt schön — nach "Fänger im Roggen". Ich lese viel. Meist Biografien und Sachbücher. Zuletzt "Menschenrauch" von Nicholson Baker. Es geht um den Zweiten Weltkrieg und um die Frage, ob Churchill und Roosevelt wirklich die Lichtgestalten waren, die die abendländische Zivilisation retteten. Es besteht ausschließlich aus Zeitungsartikeln, Tagebucheinträgen und anderen Dokumenten.

Ich würde gern einen Roman von Campino lesen.

Campino: So etwas steht immer mal wieder im Raum. Ich hätte Lust, das zu versuchen. Ich würde gern ein Buch über Liverpool schreiben. Aber das braucht Zeit. Ich träume davon, will aber nichts Oberflächliches hinknallen.

Und so ein Thema wie in "Tschick"? Sie machen Rockmusik, und Rockmusik macht genau genommen nichts anderes, als vom Sommer zu erzählen, als man jung war.

Campino: Einerseits ja. Andererseits gucke ich nicht mit Wehmut zurück. Man muss bereit sein loszulassen, sonst qualifiziert man sich nicht für das Hier und Jetzt.

Die Toten Hosen sind erwachsen?

Campino: Wir werden übernächstes Jahr 30. Das muss nicht heißen, dass man keine Flausen mehr im Kopf hat. Aber wir sind nicht mehr die Opel-Gang von früher. Ich war Teil einer Bewegung, die dachte, sie sei die Revolution. Wir hatten ein paar Nächte lang das Gefühl, wir könnten die Welt aus den Angeln heben. Ich bin dankbar für die Zeit. Aber ich werde den Teufel tun und sie künstlich festhalten. Ich bin hier und jetzt. Und das möchte ich in meine Texte einbringen.

Gibt es Kollegen, die Sie bewundern?

Campino: Nick Cave, vielleicht Bob Dylan. Leute, die älter werden, cool sind und das Alter nicht verleugnen. Johnny Cash hat die schönsten Platten im Alter gemacht. Unser bestes Lied muss noch nicht geschrieben sein, das ist meine Hoffnung.

Sie werden in zwei Jahren 50.

Campino: Ja, und ich fühle mich in gewissen Lebensbereichen nicht mehr wohl.

In welchen?

Campino: Ich gehe nicht mehr so gern in Diskotheken. Das wird mir fremd. Hier herrscht so ein eigenartiger Begriff von Coolness. Das finde ich arm. Ist nicht mehr meins. Aber ich habe damit kein Problem.

Sie haben mit Wenders gearbeitet und mit Brandauer. Werden wir Sie wieder als Schauspieler erleben?

Campino: Ich war manchmal wehmütig, wenn ich Angebote nicht wahrnehmen konnte. Beim "Struwwelpeter" am Wiener Burgtheater mit Birgit Minichmayr hätte ich mich gerne eingebracht. Oft klappen solche Dinge aus Termingründen nicht. Ich stehe meiner Band gegenüber in der Verantwortung. Wir planen gerade unseren 30. Geburtstag. Und wir proben zurzeit viel.

Aber noch einmal: Es muss doch massenhaft Rollenangebote geben.

Campino: Es gibt welche, aber die meisten bringen es nicht. Es kann nicht sein, dass ich als Musiklehrer im "Tatort" auftauche und die erste Leiche bin, die gefunden wird.

Ehrlich wahr?

Campino: Ja, so oder so ähnlich. Es gab aber auch Interessanteres: Ich sollte den Lebenspartner einer Frau spielen, bei der Krebs diagnostiziert wird. Sie möchte sich das Leben nehmen und fragt den Mann, ob er ihr dabei hilft. Eine spannende Geschichte, leider brach die Finanzierung des Projektes zusammen.

Sie sagten, Sie proben mit der Band. Kommt 2011 eine neue Platte?

Campino: Sicherlich nicht. Aber wir basteln an Ideen für 2012.

(RP)
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