Exklusiv-Interview mit Herbert Grönemeyer "Was ich tu, ist Rock 'n' Roll"

Düsseldorf · Herbert Grönemeyer (55) setzt seine "Schiffsverkehr"-Tournee fort – unter anderem in Mönchengladbach. Er spricht über Lieblingsbücher, literarische Ambitionen und sein englischsprachiges Album. Und verrät, ob er "Kinder an die Macht" 1986 auch geschrieben hätte, wenn er damals bereits Vater gewesen wäre.

Herbert Grönemeyer – Stationen seines Lebens
14 Bilder

Herbert Grönemeyer – Stationen seines Lebens

14 Bilder
Foto: dpa/Rolf Vennenbernd

Herbert Grönemeyer (55) setzt seine "Schiffsverkehr"-Tournee fort — unter anderem in Mönchengladbach. Er spricht über Lieblingsbücher, literarische Ambitionen und sein englischsprachiges Album. Und verrät, ob er "Kinder an die Macht" 1986 auch geschrieben hätte, wenn er damals bereits Vater gewesen wäre.

Herbert Grönemeyer sitzt in seiner Londoner Wohnung. Ein Bein hat er hochgelegt, daran wurde er gerade operiert. Zwei Monate kann er sich Zeit nehmen zum Genesen: Im Mai setzt er seine "Schiffsverkehr"-Tournee in Deutschland fort, am 29. Mai tritt er im Hockeypark Mönchengladbach auf. Der 55-Jährige ist guter Dinge. Im Hintergrund ruft eine Frauenstimme. Grönemeyer erwidert: "Ich telefoniere!"

Was treiben Sie so? Sie haben gerade nichts zu tun, oder?

Herbert Grönemeyer Von wegen! Ich bereite eine englische Platte vor. Aber nicht für Deutschland, sondern für den englischen Markt.

Mit alten Titeln in Übersetzung?

Grönemeyer Nur zum Teil. "Mensch" und "Flugzeuge im Bauch" sind dabei. Zudem aber vier, fünf Lieder, die es nicht auf Deutsch gibt. Das Album kommt im Herbst.

Im Mai setzen Sie Ihre Tournee fort. Mir fiel auf, dass Sie auf den letzten Konzerten sehr viel erzählten. Wäre das ein Konzept: Grönemeyer als Erzähler, ganz ohne Musik?

Grönemeyer Das wäre kein Konzept. Ich bin Musiker.

Schreiben Sie doch mal ein Buch.

Grönemeyer Hm. Tatsächlich habe ich gestern eine Anfrage bekommen von der Klassik-Stiftung in Weimar. Es wird ein Buch geben mit Essays, und ich soll einen Text über Liebe schreiben.

Das klingt gut.

Grönemeyer Ich weiß nicht. Bücher schreiben? Ich rede gerne, das stimmt. Das kommt durch meine Zeit in England. Da ist alles sehr leichtfüßig, da redet man halt. Aber vor dem Schreiben habe ich Respekt. Ich war im Deutsch-Leistungskurs und habe gern Aufsätze geschrieben. Aber Bücher? Nein. Lyrik hingegen könnte ich mir eher vorstellen. Gedichte lese ich viel.

Welche Autoren denn?

Grönemeyer Mascha Kaleko und Gertrud Kolmar. Ich schaffe mich langsam rein in diesen Bereich. Der Schriftsteller Michael Lentz unterstützt mich, er ist ein Freund.

Ach, ja? Sein Roman "Liebeserklärung" ist toll.

Grönemeyer Ja, sehr toll. Und wissen Sie, was ihm die Idee zu diesem Buch geliefert hat?

Nein.

Grönemeyer Die Platte "Mensch".

Im Ernst?

Grönemeyer Ja, Michael Lentz musste dafür Schelte einstecken. Wie man sich als ernstzunehmender Autor von einem Sänger inspirieren lassen könne, hieß es. Aber er hörte damals das Album, legte sein aktuelles Buchprojekt beiseite und schrieb "Liebeserklärung" in einem Rutsch. Durch ihn habe ich viele Dichter kennengelernt.

Grooven Sie sich mit Lyrik ein, bevor Sie Liedtexte schreiben?

Grönemeyer Ja. Ich lese Kurt Tucholsky, wenn ich selbst schreibe. Ich habe dann viele Lyrikbände da liegen, und meistens schieben mich einzelne Wörter an. Ich kopiere oder übernehme nichts, sondern stoße auf ein Wort, das eine Initialzündung auslöst. Von da aus beginne ich nachzudenken. Und die Rhythmik der Sprache ist wichtig.

Sprache verliert in Verbindung mit Musik mitunter an Kraft.

Grönemeyer Genau, und deshalb müssen die Worte besonders stark sein. Musik löst Sprache auf, sie verwässert sie. Ich lese in solchen Textphasen Bücher ganz anders. Mir fallen Formulierungen auf, die ich interessant finde.

Sie lesen dann wie ein Vampir?

Grönemeyer Ja, so ähnlich. Ich sauge Worte, die ich spannend finde, aus Texten heraus. Das meiste davon findet zwar keinen Eingang in den Song. Aber es bringt mich in eine Richtung.

Sobald Sie eine neue Single veröffentlichen, drucken die Zeitungen Interpretationen des Textes. Jedes Wort wird gedeutet.

Grönemeyer Ja, ja. Merkwürdig. Bei "Schiffsverkehr" war das schlimm.

Wobei: Da lieferte der Text wirklich einige Anlässe zu Fragen.

Grönemeyer Bei "Stück vom Himmel" war es noch schlimmer.

"Grönemeyer, das deutsche Orakel", konnte man über Sie lesen. Und: "Der Sänger deutscher Befindlichkeit".

Grönemeyer Jetzt wird es peinlich.

Erhöhen solche Zuschreibungen den Druck?

Grönemeyer. Nein. Das ist deutsches Ingenieurwesen. Da soll etwas seziert werden. Das ist mir nicht geheuer. Wenn ich schreibe, will ich Irritationen auslösen. Deshalb haben meine Texte etwas Absurdes. Das Texten ist Lust. Ich sehe das so: Meine Musik ist der Kinofilm, und der Text ist die Musik dazu.

Ah, ja?

Grönemeyer Die Musik transportiert das Gefühl. Und der Text muss das Gefühl unterstützen. Aber nicht als Analyse, sondern im Sinne einer Verdichtung.

Also doch: Sänger deutscher Befindlichkeit.

Grönemeyer Ich bin deutsch, aber nicht befindlich. Damit kann ich nichts anfangen. Ich bin froh, wenn ich einen Text geschrieben habe und der in sich schlüssig ist. Was ich tu, ist immer noch Rock 'n' Roll.

Ich bin vor drei Jahren Vater geworden, und seitdem denke ich oft an Sie.

Grönemeyer Oh.

Und ich wollte fragen, ob Sie das Lied "Kinder an die Macht" von 1986 geschrieben haben, bevor Sie selbst Kinder hatten?

Grönemeyer Ja, habe ich.

Dachte ich mir.

Grönemeyer Ich weiß, was jetzt kommt. Ich bin schon damals von Kinderpsychologen in die Mangel genommen worden. Jemand, der Kinder hat, hätte so einen Text nie geschrieben, meinten die. Der sei eine Frechheit. Kindern dürfe man nicht die Macht geben.

Kinder können diktatorisch sein.

Grönemeyer Ich wollte nur ein lustiges Lied schreiben.

Inzwischen haben Sie zwei Kinder.

Grönemeyer Kinder beleben den Geist, sie erfrischen. Natürlich sind sie nicht unanstrengend. Aber das bin ich auch nicht.

Sie würden das Lied wieder schreiben?

Grönemeyer Meine Meinung hat sich nicht geändert. Ich stelle mir immer vor, wie ich mit 80 neben ihnen sitze, in einer Eisdiele oder so, und dann erzählen sie mir von der Welt. Der Gedanke hat schon etwas sehr Schönes.

(RP/csr/pst/rm)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort