Album der Woche The Libertines: "Anthems For Doomed Youth“

Düsseldorf · Zwölf Jahre nach ihrem letzten Album haben die Libertines wieder ein Album aufgenommen. Und es ist wirklich hörenswert.

 Das Cover der neuen "The Libertines"-Platte.

Das Cover der neuen "The Libertines"-Platte.

Foto: Verlag

Es ist nicht so leicht, über die Libertines zu schreiben. Das ist ja nicht bloß eine Band; das Duo steht vielmehr für eine Lebenseinstellung. Wer sie mag, hört nicht bloß die Musik gerne, er teilt die Haltung der Welt gegenüber, die Sicht auf die Dinge. Pete Doherty und Carl Barat sind die Gründer der Libertines, die 2002 mit dem fantastischen Album "Up The Bracket" debütierten (Jeder, der es noch nicht kennt, möge sich sofort den Titelsong anhören: Darin steckt alles, was man braucht.) und 2004 das gleichermaßen großartige "The Libertines" folgen ließen. Noch vor der Gründung der Gruppe, so will es der Mythos, schrieb Pete Doherty in seinen Journal, dass er gerne etwas machen würde, das ein Stück Unsterblichkeit in die Plastikblase der Popkultur pflanze. Er dachte sich eine ideale Geisteslandschaft aus, in der die Libertines fortan lebten, von der sie sangen.

Diese Landschaft hatte einen Namen, "Albion", und ihre Gestalt war so erhebend, dass ihr Doherty mit den Babyshambles, jener Band also, die er nach den Libertines gründete, ein Album widmete: "Down In Albion" (2005). Es geht um ein mythisches England, in dem man in angeschmutzen Sgt.-Pepper-Uniformen herumläuft. Die Hauptstadt sieht ein bisschen aus wie Camden Market, und Oliver Cromwell spukt dort herum. Die Jungs lesen ständig irgendwas, die Mädchen hören zu, wenn die Jungs von ihrer Lektüre erzählen, und alle trinken gern und spielen Gitarre.

Das also ist in etwa der Kosmos, den die Libertines geschaffen haben, er war gemütlich und wurde zum Zuhause für viele zumeist männliche Menschen, und dass die Libertines nun, zwölf Jahre nach dem letzten Album, nicht der Gefahr erliegen, die ganze Suppe wieder aufzuwärmen, ist ihr größter Verdienst. Albion jedenfalls ist geschlossen: "Anthems Für Doomed Youth" heißt die neue Platte. Sie ist nicht so verwegen wie die Vorgänger, nicht so rumpelig, krachig, poetisch, wütend und unbedingt. Aber dennoch gelungen.

Doherty/Barat sind geniale Songschreiber, und ihnen steht das Gereifte, das Desillusionierte und bisweilen auch Selbstirionische, das sie neuerdings in ihre Lyrics einfließen lassen, ziemlich gut. Die neuen Stücke sind geschliffener und dabei weicher, was sicher auch daran liegt, dass der neue Produzent den Pop-Appeal verstärkt hat: Jake Gosling betreut sonst Künstler wie One Direction und Ed Sheeran. Sicher hat er zu verantworten, dass "Barbarians", der erste und eigentlich tolle Song der Platte, im Refrain mit ganz üblen "Ohoho"-Rufen angedickt wird. Das machen sonst nur Stadionrocker wie Coldplay, um bei Open-Air-Konzerten mehr Dichte und Gäsnhautpotenzial zu erreichen.

Ansonsten muss man sagen: gute Arbeit. Die erste Single, "Gunga Din" ist ein angetäuscher Reggae mit Textzitaten von Rudyard-Kipling. "Fame And Fortune" ist die lustige Selbstbetrachtung zweier mittelalter Arbeiter im Bergwerk der Jugendkultur. Die Melodien sind sehr schön, mitunter wehmütig, dann wieder himmelstürmend, und das ganze Album wird von einer durchgängig angenehmen Stimmung getragen. Welche Klasse diese Songwriter haben, kann man übrigens schon daran sehen, wie sie Worte einbauen, wie sie auf deren Phonetik achten und die Art der Aussprache zum Tempomachen nutzen. Beispiel aus "Belly Of The Beast" (bitte laut lesen): "It was a smacked-up, cracked-up, bone shark smacked-down day”.

Höhepunkte sind die Ballade "You're My Waterloo”, das Doherty wohl bereits 1999 für Barat geschrieben hat, aber auch jeder andere gerne für seine persönliche Herzensperson gesungen hätte. Und: "Iceman", eine Akustiknummer, die mit Meeresrauschen anhebt. Es entwicklt sich sodann ein Song, eine Erzählung, eine Novelle, die bis ins Detail stark an die Kinks in ihrer besten Phase erinnert.

"Anthems For Doomed Youth" ist eine dieser Comeback-Platten, bei denen man nicht sicher sein kann, warum man sie gerne auflegt: Weil man der alten Zeit hintherhertrauert, weil man sich an sein altes Selbst erinnert und ein bisschen melancholisch ist, weil heute nicht mehr früher ist? Oder weil sie — vielleicht wider Erwarten - so gut geworden ist. Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort