Interview mit Sven van Thom „Nichts macht mich so fertig wie Zukunftsangst“

Sven van Thom war einst Frontmann der Band Sofaplanet, der ein Top-10-Hit gelang. Inzwischen macht er auch Comedy, Kinderlieder – und sensibilisiert für Depressionen. Ein Gespräch über gar nicht so Gegensätzliches.

 Sven van Thom.

Sven van Thom.

Foto: Anna Witzel

Herr van Thom, Ihr neues Album heißt „Liebe & Depression“. Was hat es damit auf sich?

Sven van Thom: Der Idee zu diesem Album beschäftigt mich bereits seit mindestens fünf Jahren, weil diese zwei scheinbar gegensätzlichen Themen mich immer wieder dazu anstacheln, neue Lieder zu schreiben. Jetzt habe ich endlich die Zeit gefunden, ihnen einmal auf Albumlänge gebührend Raum zu geben. Mit viel Ernsthaftigkeit und nahezu ohne Klamauk - das gab's bei mir bisher noch nie. Oder zumindest sehr, sehr lange nicht.

Warum haben diese beiden Gefühlszustände für Sie in ihrer Kombination etwas Reizvolles?

Sven van Thom: mag man bei dieser Zusammenstellung denken: Die passen ja überhaupt nicht zusammen! Aber vielleicht haben sie doch viel mehr gemeinsam, als man denken mag? Beide Gefühlszustände können einen Menschen komplett vereinnahmen und aus der Bahn werfen. Und auch, wenn man der Liebe anfangs nur Positives andichten möchte, so kann sie, im unerfüllten Fall, doch höchst unglücklich machen, bis hin zur Depression. Und genau das reizt mich an dieser Kombination: Dass man erst einmal die Gegensätze wahrnimmt, aber, je länger man darüber nachdenkt, umso mehr stellt man fest, dass Liebe und Depression doch viel mehr miteinander zu tun haben können als man auf den ersten Blick ahnt.

Sind Sie gerade verliebt oder wegen Corona eher depressiv?

Sven van Thom: Ob mit Corona oder ohne: Ich bin wahrscheinlich immer ein bisschen von beidem - mal mehr, mal weniger. Tatsächlich kam mir die Pandemie im vergangenen Jahr sehr gelegen, weil ich durch all die abgesagten Auftritte plötzlich viel mehr Zeit für meine Familie hatte als geplant. Einen Monat vorm ersten Lockdown bin ich Vater geworden, und ich habe den Luxus genossen, einfach zu Hause bleiben zu können, anstatt nach ein paar Wochen schon wieder auf Tour zu gehen. Ich bin mir aber sehr sicher, dass mich die Pandemie unter anderen Umständen auch wirklich hart hätte treffen können. Mir sind mehr als die Hälfte meiner Einnahmen abhanden gekommen, wegen des Auftrittverbots. Dass es mir trotzdem noch ganz gut geht, ist einfach Glück: Durch mein Kinderliederalbum, das ich 2018 veröffentlicht habe, habe ich über die GEMA noch so viel verdient, dass ich bisher ganz gut über die Runden komme. Gott sei Dank! Finanzielle Not kenne ich noch aus meinen Zwanzigern - nichts sonst macht mich so fertig wie Zukunftsangst, die bei uns Freiberuflern ja oft im Hintergrund lauert und nur darauf wartet, endlich ihren großen Auftritt haben zu dürfen.

Finden Sie nicht auch, dass das Wort Depression oft zu schnell verwendet wird? Man hört oft von Leuten, dass sie eine Depression haben, nur weil sie mal schlecht drauf sind. Dabei ist eine Depression eine heimtückische Krankheit.

Sven van Thom: Ich weiß, dass das ein gängiges Klischee sein soll, dass die Selbstdiagnose „Depression" inflationär häufig verwendet wird. Mir persönlich ist das jedoch noch nirgends begegnet. Jeder Person, die mir bisher ihre Depri-Geschichte offenbart hat, habe ich diese auch abgenommen. Ich vermute, viele Menschen, die meinen, dass die Depressionskarte zu schnell gezückt wird, haben nicht wirklich viel Ahnung von diesem Zustand, bzw. der Krankheit. Die sollen einfach mal die Klappe halten und zuhören!

Sind Sie privat schon mit Depressionen oder Suizid in Berührung gekommen? Das Video erscheint ja in Kooperation mit dem Verein "Freunde fürs Leben", der sich den Themen Depression und Suizid widmet.

Sven van Thom: Es gab Zeiten in meinem Leben, in denen ich allerhöchstens noch funktioniert habe. Von Lebensfreude war da nicht mehr viel übrig. Eine Psychotherapie habe ich allerdings erst begonnen, als es mir wieder relativ gut ging - vorher hätte ich dazu einfach nicht die Kraft gehabt, mich um einen Therapieplatz zu kümmern. Die Therapie hat nun auch keine Wunder bewirkt - das darf man natürlich auch nicht erwarten. Aber sie hat mir gezeigt, dass und wie ich mit meinen depressiven Phasen umgehen kann. Das ist schon viel wert. Suizid habe ich in meinem engeren Umfeld zum Glück bisher nicht erleben müssen. Im weiteren Bekanntenkreis allerdings schon - und das waren noch sehr junge Menschen. Jedenfalls ist mir in den letzten zwei Jahren doch aufgefallen, wie viele Leute in meinem Freundes- und Bekanntenkreis sich mit Depressionen herumschlagen müssen. Da bin ich noch ein halbwegs harmloser Fall. Deswegen war es mir auch wichtig, am Ende des Videos zu meiner Depri-Hymne „Danke, gut" auf „Freunde fürs Leben" aufmerksam zu machen. Die Aufklärung über diese Themen liegt mir einfach am Herzen, und dieser Verein macht meines Erachtens eine gute und wichtige Arbeit.

Sie hatten früher die Band Sofaplanet, mit der Sie vor 20 Jahren einen Top-10-Hit hatten, und die 60s-Hommage-Kapelle Beatplanet, mit der Sie ins Vorprogramm der Ärzte und von Stefan Raab zum Bundesvision Song Contest eingeladen wurdest. Warum hat es dennoch nicht zu mehr gereicht?

Sven van Thom: Unser damaliges Management hat uns nach jahrelanger Zusammenarbeit einmal als „beratungsresistent" betitelt, haha! Da war sicherlich was dran. Wir wollten als Band, zumindest mit Sofaplanet, gerne die coolen Indie-Typen sein, waren aber in einem Musikindustrie-Umfeld, das für uns viel zu kommerziell war. Ich sag mal: Wir kamen mit der Plattenfirma geschmacklich einfach nicht auf einen Nenner - so kann das mit dem andauernden Erfolg nichts werden. Das reichte dann gerade mal zum One-Hit-Wonder. Und was unsere Retro-Kapelle Beatplanet anbelangt, so war das von Anfang an ein tolles, schrulliges Lo-Fi-Projekt, eine Nischenband, für die es schon ein riesiges Kompliment war, mit „Die Ärzte" auf Tour gehen oder zur Prime-Time ein- oder zweimal im Fernsehen aufzutreten zu dürfen. Nach zwei Alben ging uns allerdings der Stoff aus, und jeder ging seiner eigenen Wege. Trotzdem war das eine Zeit, die ich nicht missen möchte.

Sie sind zudem auch Teil des Duos "Tiere streicheln Menschen". Das klingt lustig. Erklären Sie uns dieses Projekt mal bitte.

Sven van Thom: Mein Bühnenkollege und Freund Martin „Gotti" Gottschild, der in meinen früheren Bands übrigens den Bass gespielt hat, schreibt wahnsinnig lustige Kurzgeschichten - mit Humor, gern auch mal unter der Gürtellinie. Zu zweit ziehen wir seit vielen Jahren durchs Land und spielen kurzweilige Bühnenprogramme, bei denen "Gotti" liest und ich meine Lieder zum besten gebe - vorrangig die von der albernen Sorte. „Tiere streicheln Menschen" war in den letzten Jahren mein Hauptprojekt, mit dem ich viel mehr unterwegs war als als Solokünstler. Zudem haben wir eine wöchentliche Kolumne bei dem RBB-Sender RadioEins, was ein wunderbares Privileg ist. In Berlin versammeln sich jeden Sommer 2000 Zuschauer für unser Open-Air-Spezial. Im Osten kennt man uns mittlerweile. Im Westen der Republik gibt's noch Nachholbedarf - wobei Hamburg und Nürnberg schon mal erfreuliche Ausnahmen sind.

Was macht Sie als Künstler aus?

Sven van Thom: Ich glaube, ich bin sehr vielseitig und hoffentlich unterhaltsam – das muss natürlich das Publikum entscheiden. Zwar ist die Gitarre das Instrument, auf dem ich zu Hause bin, aber ich tanze musikalisch gern auf vielen Hochzeiten: Ob Singer-Songwriter-Ballade, Rockhymne, Hip Hop oder Schlagerparodie. Zudem ist da diese Diskrepanz zwischen Albernheit und Ernsthaftigkeit: Ich hoffe, dass meine Zuhörer sowohl mit mir lachen als auch weinen können.

An welchen deutschen Sängern orientieren Sie sich oder wer beeindruckt Sie und warum? Niels Frevert? Jan Plewka? Bernd Begemann?

Sven van Thom: Ich schätze alle drei. Jan Plewka hat mich gar zu einem Lied auf meinem aktuellen Album inspiriert: „Die ganze Zeit" – aber die Geschichte würde hier zu weit führen. Und mit Bernd Begemann stehe ich immer wieder mal gemeinsam bei Kinderkonzerten auf einer Bühne. Aber noch mehr sind es Die Sterne, SXTN oder Tocotronic, für die mein Herz schlägt. Und die Ärzte natürlich!

In der Corona-Pandemie ein Album zu veröffentlichen als Sänger, der den Durchbruch noch schaffen will, ist mehr als mutig. Oder?

Sven van Thom: Was an dieser Situation tatsächlich sehr ätzend ist, ist, dass ich diverse Einladungen in TV- oder Radiosendungen nicht annehmen kann und möchte – zumindest nicht mit persönlicher Präsenz. Eine renommierte Interviewsendung, auf die ich mich wahnsinnig gefreut hatte, wurde auf unbestimmte Zeit verschoben, weil es von deren Seite hieß, sie könne nur stattfinden, wenn ich vor Ort wäre, mit Augenkontakt uns so. Das hätte man auch locker digital lösen können - wollten sie aber nicht. Da muss ich mich allerdings fragen, warum alle Welt sich an Corona-Maßnahmen halten soll, aber die Medienwelt sich in diesem Fall einfach ausklinkt? Ich würde ja gern guten Gewissens behaupten können, dass mein Album absolut systemrelevant ist und ich unbedingt persönlich zum Radiointerview antanzen muss, haha! Schön wär's!

In mehr als 80 Folgen Ihrer wöchentlichen Radiokolumne „Pudding mit Frisur“ für radioeins (RBB) kommentieren Sie aktuelle Ereignisse in Songform. Auch hier ein überaus einfallsreicher Titel. Wie kam es dazu und stehen Sie auf lustige Wortspiele?

Sven van Thom: „Pudding mit Frisur" lief von 2016 an, über zwei Jahre auf radioeins, bis ich dringend mal wieder Zeit für andere Dinge benötigte und die Reißleine zog. Der Titel der Kolumne kam tatsächlich erst, nachdem diese bereits seit sechs Wochen im Radio lief, weil ich mich in einem Lied über Bud Spencers und Götz Georges Ableben selber als „Pudding mit Frisur" bezeichnete. Das Bild gefiel mir so sehr, dass ich es sowohl für die Kolumne, als auch für einige Bühnenprogramme beibehielt. Und, natürlich bin ich ein Freund des albernen Wortspiels! Was bleibt mir als Teilzeit-Comedian auch anderes übrig? Daher weht der Hase!

Sie leben in der hessischen Provinz. Da kommen jetzt nicht unbedingt Popstars her. Badesalz vielleicht...

Sven van Thom: Nich’ so schlimm! Ich bin ja jetzt da! Mit „Popstar" habe ich so viel zu tun wie Donald Trump mit der Wahrheit. Ich habe ja noch meine Wohnung in Berlin, die ich als Basislager für meine Auftritte in Ostdeutschland nicht aufgeben wollte. Aufgrund der Pandemie war ich 2020 für gerade mal drei Stunden dort, um noch ein paar Gitarren einzupacken, meine Schallplatten zu bewundern und mal wieder Staub zu saugen. Ich kann jetzt also behaupten, ich bin mittlerweile mehr Hesse als Berliner.

Sie haben auch Kinderlieder gemacht. Woher haben Sie da die Motivation genommen? Haben Sie selber Kinder?

Sven van Thom: Mit dem Schreiben von Kinderliedern habe ich begonnen, als von meinem eigenen Nachwuchs noch nicht einmal die Rede war. Eine Freundin von mir war bei ihrem Kinderbetreuungsjob so sehr vom musikalischen Angebot abgestoßen, dass die Idee entstand, es einfach mal besser zu machen: Popmusik für Kinder, die nicht doof und niedlich ist, sondern auch von den Eltern gern auf der Urlaubsreise im Auto gehört wird. Das war mein Antrieb. Es gibt diese tolle Kinderlieder-CD-Reihe „Unter meinem Bett", für die ich vor ein paar Jahren ein erstes Lied beisteuern durfte. Daraufhin wurde ich von dem Verlag „Oetinger" gefragt, ob ich nicht ein komplettes Album für Kinder machen möchte. Das Angebot habe ich natürlich dankend angenommen. Mittlerweile ist bereits das zweite Album im Entstehen. Es soll im September erscheinen.

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