Sido im Autokino Goldketten-Rap auf 92,6

Düsseldorf · Sido, das ist der Typ, vor dem uns unsere Eltern immer gewarnt haben. Nun gibt er vor hupenden Autos ein Konzert auf einem Messeparkplatz in Düsseldorf. Fühlt sich so das Ende des Deutschraps an?

„Der Himmel soll warten“: Der Berliner Rapper Sido am Sonntagabend im Düsseldorfer Autokino.

„Der Himmel soll warten“: Der Berliner Rapper Sido am Sonntagabend im Düsseldorfer Autokino.

Foto: Anne Orthen (orth)

Sido ist wieder da, wo er hingehört, auf dem Parkplatz. Im Auto das Radio aufdrehen und die vom Bass vibrierenden Scheiben beobachten. Meine Stadt. Mein Bezirk. Meine Gegend. Mein Viertel. Bisschen mit dem Kopf nicken, nur nicht zu sehr. Nicht lächeln, nicht mitrappen, das ist hier keine Andy-Borg-Aufzeichnung. Meine Straße. Mein Zuhause. Mein Block. Der Corsa wird zum Königreich.

Es ist aber nicht mehr 2004. Kein Mensch stellt sich mehr mit dem abgerockten Corsa vor den Penny. Kein Mensch kurbelt mehr das Fenster runter und reicht den Energydrink ins Nachbarauto. Und kein Mensch rebelliert mehr mit ein paar fiesen Sido-Zeilen. Nicht einmal gegen die Eltern, die hören das Zeug schließlich selbst.

Sido, das ist der Typ, vor dem uns unsere Eltern immer gewarnt haben. Aufgewachsen im MV, dem Märkischen Viertel, seinem Block. Dieser Straßenjunge kehrt nun dorthin zurück, wo die Liebe seiner Fans begann, auf Parkplätzen. Das liegt nicht daran, dass Sido wieder subversive Texte liefert, sondern an diesem verfluchten Coronavirus.

An zwei Abenden hintereinander ist Sido im Autokino Düsseldorf aufgetreten. Er hat dort Konzerte vor hupenden Autos gespielt, als hätte es nie ausverkaufte Mehrzweckhallen gegeben. Geht so, auf einem riesigen Messeparkplatz, der Deutschrap zu Grunde?

Es ist schon gar nicht klar, wie man sich auf so etwas vorbereitet. Das ist der erste Termin seit Monaten, für den es einer Anreise bedarf. Wäre ein Hemd angemessen, saubere Schuhe, eine gut sitzende Jeans? Vielleicht ein bisschen Eau de Toilette? Naja, irgendwie sitzt man ja doch nur im Auto.

In den Jutebeutel kommen eine Tüte Linsenchips, Sorte: Sour Cream, ein paar Kinderriegel, eine Decke (wird es da kalt?) und eine Flasche stilles Wasser, als liefe auf der Leinwand eine neue Episode der Eiskönigin. Es ist ein bisschen aufregend, wie immer, wenn man etwas Neues probiert.

Es ist dann gar nicht kalt, sondern ziemlich warm. Ein Einweiser, der seine Maske trägt wie der frühe Armin Laschet, gibt auf. Er versucht, den Leuten klarzumachen, wie sie zu parken haben, und er scheitert. Der Mann, der ein bisschen aussieht wie Bane aus Batman, nur freundlich, winkt ab, schüttelt den Kopf. Nur hoffnungslose Autofahrer heute. Er bringt die Leute zum Lachen, vielleicht ist das seine Rolle.

Zwischen einigen hochgewachsenen SUV taucht in einiger Ferne dann ein weißer Punkt auf, nicht größer als eine Raupe. Das ist Sido, der wieder Maske trägt. Ist inzwischen nur keine Rebellion mehr, sondern Pflicht, geregelt in Paragraf 12a der Corona-Schutzverordnung des Landes NRW. Irgendwie tragisch.

Und dann hämmert er los. Das Radio aufdrehen bis 63, lauter geht nicht. Die Scheiben vibrieren, der Kopf nickt sanft, aber nicht mitzurappen geht nicht. Meine Gedanken. Mein Herz. Mein Leben. Meine Welt reicht vom ersten bis zum sechzehnten Stock. Ist zwar kein Corsa, aber auch der Mazda wird zum Königreich. Immerhin dieser Pandemie kann man mit ein paar fiesen Sido-Zeilen trotzen.

Sido, der zwischen Hitler-Witzchen und karitativem Engagement gratwandelt, macht es einem schwer, ihn zu mögen. Seine Provokationen wirken unnötig, seine Pop-Ausflüge zu kommerziell. Aber an diesem Abend, wo er auf UKW-Frequenz 92,6 ballert und in weiter Ferne ein bisschen groovt, würde man Sido gern umarmen, wenn das nicht verboten wäre, und sagen: Danke, Mann.

Die Konzerte sind keine Wohlfahrtsattacken von Sido. 98 Euro kostet die Karte für ein Auto mit maximal zwei Personen, jaja, das Kontaktverbot. Und trotzdem tut Sido etwas für die pandemiegeschundene Seele. Wie er statt mit Menschen mit Autos spricht, ist sogar witzig. Er sieht ja auch nix, außer ein paar blinkenden Lichtern. Ihm gefällt’s auch irgendwie, das hat man auf Sido-Konzerten schon anders erlebt.

Der Gefahr, dass man sich mit seinen spießigen Linsenchips vor dem Radio langweilt, als hörte man ein experimentelles Hörspiel im Deutschlandfunk, begegnet Sido mit dem einfachsten Trick. Er kommuniziert mit seinem Publikum. Zweimal hupen heißt: Prost. Ein kurzes hupen: Ja. Ohooho: huphuuuuphup. Statt winkender Arme gibt es winkende Blinker, erst der linke, dann der rechte. Die Lichthupe zuckt im Takt.

Was für ein irrer Anachronismus. Autos stehen auf der roten Liste, Kinos stehen auf der roten Liste, Autokinos sowieso. Und nun stehen 500 Wagen vor einer riesigen Leinwand für aufkeimende Lebensfreude. Jeder Umweltschützer würde mit dem Kopf schütteln, dem Bundesimmissionsschutzgesetz stellen sich die Nackenhaare auf. Aber während einer Pandemie wird man nachsichtiger mit alten Sünden.

Geht man zwischen den Autos durch die Reihen – was dem Reporter erlaubt, allen anderen aber verboten ist, wenn sie nicht zur Toilette oder zur Snackbar müssen –, dann sieht man nicht viel. In vielen Wagen leuchtet es nicht, die Handys liegen mal für anderthalb Stunden auf der Seite. Aber in einem Auto hängt eine Diskokugel, angeschlossen am Zigarettenanzünder. Man macht halt das Beste draus. Und das Beste ist zurzeit nicht immer so wenig.

Sido spielt ein paar neue Pophits, von denen einige die Grenze des Erträglichen überschritten haben. Aber selbst das ist an diesem Abend egal. Ausgerechnet Sido, dessen Name eine Abkürzung für „Superintelligentes Drogenopfer“ ist, steht hier für die Hoffnung.

Einer dieser Pophits heißt „Der Himmel soll warten“, der Refrain gesungen von Adel Tawil. Gott möge uns noch ein bisschen Zeit gewähren, das ist die Bitte dieses kitschigen Liedes. Keine Ahnung, ob Sido das so wollte, aber es ist eine verdammt zeitgemäße Bitte. Gut, dass im Dunkeln hinterm Lenkrad niemand Tränen erkennen kann. Wir sind ja hier bei Sido.

(her)
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