Mojca Erdmann Rasanter Aufstieg in den Sängerhimmel

Düsseldorf (RP). Die 35-jährige Hamburgerin Mojca Erdmann begeistert mit Musik aus dem 20. und 21. Jahrhundert, als sänge sie Mozart. Seit den vergangenen Salzburger Festspielen zählt sie zu den gefragtesten Sängerinnen ihres Fachs. Jetzt hat sie tatsächlich ein Album mit Mozart-Arien vorgelegt – und übertrifft alle Erwartungen.

Mojca Erdmann - Stern am Sopranistinnen-Himmel
8 Bilder

Mojca Erdmann - Stern am Sopranistinnen-Himmel

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Düsseldorf (RP). Die 35-jährige Hamburgerin Mojca Erdmann begeistert mit Musik aus dem 20. und 21. Jahrhundert, als sänge sie Mozart. Seit den vergangenen Salzburger Festspielen zählt sie zu den gefragtesten Sängerinnen ihres Fachs. Jetzt hat sie tatsächlich ein Album mit Mozart-Arien vorgelegt — und übertrifft alle Erwartungen.

Am Sängerhimmel ist es jenseits der vertrauten Flugrouten einsam. Die meisten Flüge gehen von Händel nach Puccini, von Strauss nach Wagner und wieder zurück. Wer aber seine Partie nicht mit einer Referenzaufnahme aus dem CD-Regal trainieren kann, weil er auf die Noten vom Komponisten wartet, während der Uraufführungstermin näher rückt, der ist in dünner Luft allein unterwegs.

Einen solchen Sensationsflug in einsamer Höhe hat vor einiger Zeit Mojca Erdmann unternommen, als sie bei den Salzburger Festspielen die weibliche Hauptrolle in Wolfgang Rihms Nietzsche-Oper "Dionysos" sang. Seitdem hat sich Erdmann als eine der kostbarsten Sopranstimmen eingeprägt.

Ihre Befürchtung, sie werde nach dem Salzburger Erfolg nur noch als Expertin für Zeitgenössisches gebucht, ist allerdings unbegründet. Ihre Karriere, das kann jeder buchungswillige Intendant nachlesen, favorisiert mitnichten die Moderne. Ein kleiner Auszug aus dem sängerischen Aktionsradius von Mojca Erdmann liest sich so: Sie singt Zelmira in Glucks "Armida" und Blondchen in Mozarts "Entführung aus dem Serail".

Wie mit Samt ausgeschlagen

Sie gibt den Waldvogel in Wagners "Siegfried", die Sophie im "Rosenkavalier" von Richard Strauss und das Ännchen in Webers "Freischütz". Kent Nagano, Simon Rattle und Nikolaus Harnoncourt zählen zu ihren Anhängern; James Levine hat sie an die Metropolitan Opera eingeladen, wo sie demnächst als Sophie und Susanna gastieren wird.

Niemand in Salzburg hörte an jenem Uraufführungsabend die Plage, die jedem anderen die Ortung der schwindelerregend hohen und wie wild über die Notenlinien gewürfelten Töne bereitet hätte; keiner vernahm die Mühe, die das Lernen und Memorieren solcher Partien bereitet.

In Rihms Partitur, in der die Sängerin den umnachteten Philosophen Nietzsche als plappernde Nymphe anlockt, ihn als laszive Hure umschmeichelt und als sphinxhafte Ariadne verlässt, gibt es Momente eines vokalen Zickzacks, einer ungesicherten Kletterei, dass man eigentlich den Alpenverein einschalten möchte.

Unbegreiflich, dass die Stimme der 35-jährigen Hamburgerin auch in dreigestrichenen Problemzonen nie an Wärme und Wohllaut verlor. Wo andere Sopranistinnen weiß, eng, piepsig-soubrettenhaft oder gar nach Akupunktur klingen, tönte Mojca Erdmanns Sopran lyrisch und wie mit Samt ausgeschlagen. Wie eine moderne Zerbinetta zwitscherte sie, treffsicher, steil und lerchenhaft aufsteigend und alles in wunderschönem Legato gebunden. Wie war das möglich?

Gipfel der Geschenke aus einer musischen Kindheit

Mojca Erdmann hat zur Musik von heute ein besonderes Verhältnis. Für sie ist das kein Schreckenskabinett, das man aus Imagegründen gelegentlich durchschreiten muss. Ihr Vater ist Kompositionsprofessor in Hamburg und Flötist, "und wenn Papa daheim übte, mussten wir Kinder leise sein". Lauschen und Lernen gingen von Kindesbeinen ineinander, im Kinderchor der Hamburgischen Staatsoper war die Bühne für Mojca Erdmann alsbald ein freundliches Terrain — und der Quintenzirkel von jeher nur eine Möglichkeit unter vielen.

Und da sie als Gipfel der Geschenke aus einer musischen Kindheit auch das absolute Gehör besitzt, war der Umgang mit Neuer Musik (unter dem Oberbegriff Neue Musik werden unterschiedliche Kompositionsrichtungen der 'ernsten' Musik des 20. und 21. Jahrhunderts zusammengefasst) für sie wesentlich einfacher als für andere. Ihre Lehrer Evelyn Herlitzius, Hans Sotin und Ingrid Figur mussten ihr die Notwendigkeit einer breiten, nicht bescheuklappten Musizierhaltung gar nicht nachdrücklich vermitteln, Schülerin Mojca wusste selbst, was zu tun war. Der Rest war Singen.

Hörte man Mojca Erdmann bei Rihm dabei zu, dachte man verblüfft: Von Mozart war das gar nicht weit entfernt. Mozart ist in der Tat ihr Schutzpatron. Von seinen Kantilenen und Koloraturen fühlt sie sich geleitet, von ihnen zehrt sie auch bei Rihm: "Man muss jede Partie beseelen", sagt sie, "bei Mozart lernt man das am besten."

Sensitives Gespür für Tonhöhe und Intonation

Wer ihre neue Mozart-Platte hört, findet das bestätigt. Sie singt dort auf der CD "Mostly Mozart" Arien aus "Don Giovanni", "Zauberflöte", "Idomeneo", "La Nozze di Figaro" und aus dem Fragment "Zaide" — und sie singt mit erfüllter, auch geistig beherrschter Meisterschaft. Schon jetzt ist sie auf CD mit apart-vielseitigen Offerten zu hören: Mahlers 4. Symphonie, Offenbachs Opéra comique "Coscoletto", Lieder von Aribert Reimann, Ravels "L'enfant et les sortilèges", Schumanns "Faust-Szenen". Diese Angebotspalette klingt nicht nach begrenzter Zuständigkeit. Und in der kommenden Woche erscheint ihre Neuaufnahme von Hugo Wolfs "Italienischem Liederbuch" mit dem Bariton Christian Gerhaher — eine Traumbesetzung.

Ihr superfeines absolutes Gehör ist übrigens manchmal auch eine Strafe, wenn Mojca Erdmann etwa eine neue barocke Partie in tiefer Stimmung singen muss. "Dann schreibe ich mir das einfach einen halben Ton tiefer, damit ich es aushalten kann."

Auch in normalen Opern- und Orchestersituationen nimmt sie haarfeine Nuancen wahr: "Für mich ist das ein erheblicher Unterschied, ob ein Orchester auf 441 oder auf 443 Hertz gestimmt ist." Solche Aussagen mögen nach professioneller Deformation klingen, nach einer seltsamen Form von Überempfindlichkeit, aber man muss wissen, dass Mojca Erdmann im Nebenberuf auch eine exzellente Geigerin ist. Und Geiger haben, anders als Pianisten, immer ein sensitives Gespür für Tonhöhe und Intonation.

Die Karriere hinauf in den Sängerhimmel ist also unaufhaltsam.

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