Köln Sido als Prediger und Proll

Köln · Der Rapper zeigte beim Tour-Abschluss in Köln zwei Gesichter.

Im Ruhrgebiet gibt es einen Rapper, der sich 2Seiten nennt wegen seiner bipolaren Persönlichkeit. Eigentlich wäre das auch ein guter Name für Sido – nicht unbedingt, weil er bei seinem Konzert in der Kölner Arena Anzeichen einer bipolaren Störung zeigt. Aber er versucht beim Abschluss seiner „Tausend Tattoos“-Tour sehr offensichtlich, zwei grundverschiedene Ansichten zusammenzubringen: Die harte, schmutzige und Ellenbogen ausfahrende des Jungen von der Straße und die weiche, liebevolle, nachdenkliche des gereiften Erwachsenen.

Die Bühne betritt er, wie er wahrscheinlich früher seine Wohnung im Berliner Märkischen Viertel mal kurz zum Zigarettenholen verlassen hat: in bequemen Joggingklamotten und mit roter Kappe. Dazu gibt es mit den Goldketten noch ein
astreines Gangsterrapper-Accessoire. Passend zum schluffigen Outfit rappt er die ersten Zeilen seines aktuellen Albums „Ich & keine Maske“: „Raus aus den Pantoffeln / Rein in diese Schuhe, die nur mir passen / Ich weiß, ihr lasst mich ungerne gehen / Aber ihr müsst auch verstehen: Euer Papa muss Musik machen“.

Der Song „Wie Papa“ ist eine Bestandsaufnahme und Rückschau auf ein Leben, das aus dem Drecksviertel in den Speckgürtel geführt hat. Es hat ihn von Titeln wie „Mein Block“, in dem er die Nutten, Zuhälter und Dealer seines früheren Viertels beschreibt – und das er gleich als zweites rappt –, bis zum aktuellen „Leben vor dem Tod“ gebracht, eins von vielen Stücken, die nach dem Sinn unserer endlichen Existenz fragen.

Dass Sidos erstaunliche Wandlung nicht erst gestern stattgefunden hat, wird deutlich, wenn er ein Stück wie „Augen auf“ aus dem Jahr 2014 rappt. Darin thematisiert er mit harten Schilderungen, was mit Kindern geschehen kann, die zu wenig Hinwendung und Liebe bekommen. In der dritten Strophe nimmt er fast schon die Rolle des Sozialarbeiters ein, der vielleicht früher mit Typen wie ihm selbst zu tun hatte: „Du musst zuhören, in guten und in miesen Zeiten / Du musst da sein, und du musst Liebe zeigen!“

So steht Sido genauso als Prediger der Liebe und Verantwortung auf der Bühne wie als kiffender Rumhänger und Rumtreiber. Sein Publikum scheint diesen Wiederspruch auszuhalten, ist textsicher bei altem und neuem Material. Zwischen Ende 30-Jährigen, die sich reihenweise Zigaretten oder – man riecht es – Joints anstecken, stehen 14-jährige Jungen und Mädchen mit einer Limo in der Hand. „Ich weiß, ich kann meine Hände nicht in Unschuld waschen, und es ist nicht immer leicht, ein guter Mensch zu sein“, ruft Sido ihnen entgegen, „aber Köln, lasst es uns versuchen!“

In der Arena ist er bei seinem Versuch, sich als besserer Mensch darzustellen, der sich auch gegen Fremdenhass ausspricht, über weite Strecken alleine mit DJ Desue, der die Beats auf einer Bühne mitten im Publikums kreiert. Aber manchmal bekommt er auch Hilfe von Gästen wie Johannes Oerding.

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