Neues Album „Zeit“ Rammstein sagen Adieu

Vor Beginn der Stadiontournee veröffentlicht die Berliner Band ihr neues Album. Sie wirkt darauf müde und kraftlos. Da passt es gut, dass der Liederzyklus von der Vergänglichkeit handelt.

Rammstein: Das sind die Musiker - Bilder von der Band
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Das sind die Rocker von Rammstein

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Foto: Handwerker Promotion

Die Band Rammstein ist neben den Toten Hosen die erfolgreichste Gruppe hierzulande, stets wird dazugesagt, sie sei international sogar die größte aus Deutschland, weil sie mit ihrem Pyrotechnik-Kabarett zum Beispiel den Madison Square Garden in New York ausverkaufe, und zwar mehrfach. Nun haben die Musiker, denen also seit einigen Jahren das Label „deutscher Kulturexport“ anhaftet, ihr achtes Album veröffentlicht. Es heißt „Zeit“, und darauf findet sich gegen Ende ein Lied mit dem Titel „Dicke Titten“. Es handelt von einem Mann, der sich eine Partnerin wünscht. „Ich bin auch gar nicht anspruchsvoll“, singt Till Lindemann, „doch große Brüste wären toll.“ Die betont lakonische Nennung des Titels wird mehrfach fachgerecht und reimbereit vorbereitet, etwa durch den Vers „Doch um eines möcht ich bitten“. Das erinnert an einen anderen deutschen Hit, „Polonäse Blankenese“ von Gottlieb Wendehals aus dem Jahr 1982, wobei es darin deutlich raffinierter zuging: „Wir ziehen los mit ganz großen Schritten / Und Erwin fasst der Heidi von hinten an die Schulter.“ Das hob die Stimmung, ja, da kam Freude auf.

Nun werden viele zur Verteidigung der enorm erfolgreichen Gruppe anmerken, dass Rammstein doch Rollenprosa sprechen würden, die Berliner seien schließlich eher Varieté-Künstler als Rockstars. So wurde bereits vor Jahren argumentiert, als die Band den Videoclip zu ihrer Coverversionen von Depeche Modes „Stripped“ in Leni-Riefenstahl-Ästhetik gestaltete. Der Philosoph Slavoj Zizek meldete sich und argumentierte, „Rammstein unterläuft die totalitäre Ideologie nicht durch ironische Distanz, sondern durch Konfrontation mit der obszönen Körperlichkeit der ihr zugehörigen Rituale und macht sie damit unschädlich“. Rammstein galten nun als Katharsis-Virtuosen, ihr Werk als große Oper, und selbst Katharina Wagner outete sich einst als Fan. Fortan wurde vieles schön geredet, misogyne Fantasien ebenso wie das Stück „Deutschland“, für das sich die Musiker in einem Video-Clip als KZ-Häftlinge verkleideten.

So gesehen wirkt das Album „Zeit“, als habe jemand vorzeitig das Bühnenlicht eingeschaltet: ernüchternd. Die Gruppe variiert kraftlos ihre bekannten Themen, sie verwechselt Zynismus mit Zotenhaftigkeit und bietet erwartbare Skandal-Koketterie. „Meine Tränen“ etwa bemüht abermals die Inzest-Thematik. Ein Mann lebt allein mit seiner Mutter: „Sie zwingt mich oft auf ihren Schoß“ und „Im Haus fehlt immer schon ein Mann / Ich helfe aus, wo ich kann“. Das Schlimmste sind allerdings die Schenkelklopfer für saufbereite Burschen, die Rammstein hier abliefern. „OK“ zum Beispiel, das für „Ohne Kondom“ steht und derart stumpfe Reime enthält („In deiner Haut will ich gern stecken / Was sich liebt, das will sich lecken“), dass man bestenfalls Mitleid mit der Band bekommt.

Bisher war es so, dass jeder, der sich auf das Geraune, den Kommandoton und das Männlichkeitsgetue dieser Kerle eingelassen hatte, mitunter tatsächlich belohnt wurde. Der Song „Ohne Dich“ vom Album „Reise, Reise“ aus dem Jahr 2004 etwa ist ein wunderbares Stück Liebeslyrik, ein Chanson. Ebenso „Stirb nicht vor mir“ von „Rosenrot“ (2005). Rammstein erkundeten in ihren besten Momenten die dunklen Höhlen des Lebens und leuchteten die besonders verkommenen Ecken mit der Stirnlampe aus. Sie kehrten an die Oberfläche zurück und erzählten vom Erlebten in Form von Moritaten, sie waren die Ledermantel-Bänkelsänger des Pop. Sie dichteten mit Lust am Untergang Schauerballaden zur Drehorgel, und je abseitiger ihre Perversionsromantik wurde, desto dringender ihr Bedürfnis, darin die individuelle Schönheit zu finden und für alle neu zu definieren.

„Wir sind keine politisch korrekte Band. Wir wollen provozieren, wir wollen Ärger, und wir haben Spaß daran“, sagte Gitarrist Paul Landers einst im Interview mit der „FAZ“. Aber es gibt hier keine Provokation mehr und auch keinen Spaß. Dafür wirken Texte und Arrangements zu müde und einfach. Auch die Gitarrenriffs, an die der im gewohnten Böse-Onkel-Stil vorgebrachte Sado-Maso-Kitsch gehängt wird, klingen unfassbar alt. Einzig mancher Synthie-Akzent sorgt für originelle Momente.

Rammstein sind so groß, dass alle zuhören, wenn sie Neues veröffentlichen. Warum verzichten sie also auf Neuigkeiten? Warum verlassen sie die Gegenwart durch den Hinterausgang? Der thematische rote Faden des Albums, so wurde vorab mehrfach betont, sei die Vergänglichkeit. Tatsächlich gehört das Titelstück zu den besseren Liedern der Platte: „Warmer Körper ist bald kalt / Zukunft kann man nicht beschwör’n“. Das letzte Lied heißt „Adieu“, seinetwegen rechnen viele bereits damit, dies könnte die letzte Platte der Band sein.

Man wünscht ihr, dass es anders kommt. Mit solch einem Album sollte sich niemand verabschieden.

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