US-Musiker Ryan Green Alles auf Fado

Lissabon · Ryan Green aus Cincinatti lebt fern seiner Heimat den amerikanischen Traum des „Yes, I can“: Er ist nach Lissabon gegangen, um dort Fado-Sänger zu werden. Die Musik, die die Seele der Portugiesen hörbar macht, sei sein Schicksal, sagt er.

 Fado als Passion: Der Amerikaner Ryan Green.

Fado als Passion: Der Amerikaner Ryan Green.

Foto: Ja/Foto: Lena Kern

Cincinnati ist die „Königin des Westens“. Die Stadt im US-Bundesstaat Ohio ist eine der bedeutenden Handels- und Fabrikmetropolen der USA und beherbergt das größte Oktoberfest des Landes. Nebenbei hat Cincinnati einige namhafte Kulturschaffende hervorgebracht. Den Filmregisseur Steven Spielberg zum Beispiel, die Schauspielerin Doris Day oder die Ballett-Tänzerin Suzanne Farrell. Ein Fado-Sänger findet sich nicht in der Liste der größten Persönlichkeiten der Stadt. Möglich, dass Ryan Green das irgendwann einmal ändert. Er dürfte zumindest der derzeit einzige Fado-Sänger aus Cincinatti in Portugals Hauptstadt Lissabon sein.

Green steht vor der „Mascote da Atalaia“, einem kleinen Fado-Lokal mitten im Barrio Alto von Lissabon, der oberen Altstadt. In der „Mascote“ gibt es jeden Abend Fado, die Musik, die seit 2011 in die Liste des immateriellen Weltkulturerbes der UNESCO aufgenommen wurde und der man nachsagt, sie mache die Seele der Portugiesen hörbar. Es gibt Menschen, die Fado als suizidalen Trauergesang abtun, zu Unrecht mithin, denn wer einmal einen echten Fado-Abend erlebt hat, der weiß: Ja, Fado kann traurig und schwermütig sein in seiner Moll-lastigen Tonalität. Aber trotzdem auch fröhlich und beschwingt. Vor allem ist er voller Emotionen. Manchmal ist sich der Fado auch selbst genug, dann handeln die Lieder von Sängern und Gitarristen, die schmachten und lieben. Vor allem ihre Musik.

Green ist 2018 nach Lissabon gegangen, weil er den Fado spüren will. Dort ist diese Musik an jeder Ecke, sie hängt in der Luft wie das Gerappel der alten Straßenbahnen, die sich durch Lissabon quälen. Green, der Amerikaner, hat die Musik der Portugiesen zu seinem Lebensinhalt gemacht. Tagsüber arbeitet er als Übersetzer, abends pilgert er durch die Fado-Szene der Stadt am Tejo, er hört und genießt, meist mit geschlossenen Augen und singt immer wieder auch mit. In der „Mascote“, im „Café Luso“, im „Fado ao Carmo“. Fado-Sänger heißen, egal ob Frau oder Mann, Fadista. Die Geschichte vom amerikanischen Fadista hat natürlich die Runde gemacht in Lissabon. Die Szene ist klein, man kennt sich. Der Mann aus dem fernen Cincinatti ist mittendrin.

„Fado ist mein Schicksal“, sagt Green (40). Er hat die Musik in New York, wo er als Schauspieler und Sänger arbeitete, gehört, hat sich in sie verliebt. „Ich habe in einem Restaurant gekellnert. Da habe ich einen Tisch voller Brasilianer gehabt und ich mochte den Klang der Sprache. Ich habe dann Portugiesisch gelernt“, erinnert er sich. „Dann habe ich angefangen, Bossa Nova zu hören und zu singen“, sagt er. „Dann bin ich zum Fado gekommen …“Jetzt ist da nur noch Fado. Im „Mascote“ singt an diesem Abend Ana Margarida. „Sie ist wunderbar, sie ist meine Favoritin“, sagt Green. Die Stimme der zierlichen Frau füllt den Raum bis in den letzten Winkel. Man muss nicht Portugiesisch können, um die Botschaft der Lieder zu verstehen. Die Worte und der Klang der Gitarren werden zu reinem Gefühl.

Die portugiesische Dichterin Florbela Espanca hat dem Fado ein Gedicht gewidmet, es erzählt von einer portugiesischen Nacht, die erfüllt ist von Musik, eine Nacht, in der eine seltsame Gitarre wimmert, es ist die Guitarra Portugesa, ein zwölfsaitiges Instrument, das dem Fado seinen besonderen Klang gibt. „Ich liebe den Sound der Portugesa“, sagt Green. „Sie ist voller Melancholie und Fröhlichkeit zugleich“. „Saudade“ ist das Urgefühl des Fado, „es ist ein Gefühl, das nur Portugiesen kennen“, schreibt Portugals großer Poet Fernando Pessoa. Für „Saudade“ gibt es keine Übersetzung, es bedeutet alles: Melancholie, Sehnsucht, Weltschmerz, Drama.

Wer mit Ryan Green über Fado spricht, gleitet schnell ab ins Philosophieren. „Fado ist das Leben, das Leben ist sein Hauptthema: glücklich und traurig sein, leben und sterben, etwas oder jemanden vermissen, ängstlich und schüchtern sein, all diese Gefühle übersetzt er in Musik. Für mich ist es vielleicht eine der wenigen Kunstformen, die Verletzlichkeit zulässt und schätzt“, sagt Green. Sätze, die an sich wie Fado-Lyrics klingen.

 Amalia Rodrigues, die „Königin des Fado“, ist auch mehr als 20 Jahre nach ihrem Tod noch sehr präsent in Lissabon, hier in einem Fliesenmosaik im Stadtteil Alfama.

Amalia Rodrigues, die „Königin des Fado“, ist auch mehr als 20 Jahre nach ihrem Tod noch sehr präsent in Lissabon, hier in einem Fliesenmosaik im Stadtteil Alfama.

Foto: dpa-tmn/Foto: Manuel Meyer/dpa

Fado ist seine Passion geworden, das spürt man, er ist tief eingedrungen in diese Welt. Natürlich war Green schon im Fado-Museum. Und natürlich spricht er über Amalia Rodrigues, die „Königin des Fado“. Eine Frau aus einfachen Verhältnissen, die zum Superstar wurde und zur Botschafterin des Fado in der ganzen Welt. Sie hat den Fado verändert, hat ihm eine neue Beschwingtheit gegeben mit ihrer Art zu singen. Als sie 1999 starb, trauerte ein ganzes Volk. 100.000 Menschen kamen, als ihr Sarg zu letzten Ruhe gebracht wurde. Beigesetzt ist sie im Pantheon, wo auch die gekrönten Häupter, die großen Eroberer und Dichter oder der Fußballheld Eusebio begraben sind – als erste Frau. Es gibt ein kleines Museum in Lissabon im früheren Wohnhaus der Diva. Dort im Wohnzimmer stehen die Sessel noch so, als würde sie dort gleich mit ihren Musikern den nächsten Fado komponieren.

Es gibt zwei Richtungen im Fado. Den aus Coimbra, der nur von Männern gesungen wird, von Studenten, die schwarze Capes tragen. Er ist akademischer, weniger emotional, hat klare vorgegebene Strukturen. Der Fado aus Lissabon ist „der Klang der Straße“, sagt Mariza, die heute die große Dame des Fado ist. 2020 kommt sie zu drei Konzerten nach Deutschland, im März ist sie in München, im Oktober in Frankfurt und Karlsruhe.

Ryan Greens persönliche Geschichte ist unamerikanisch und zugleich sehr amerikanisch. Der Mann lebt den amerikanischen Traum im eigentlichen Sinn. Alles ist möglich: „Yes, I can!“ Doch Fado ist kein Hochglanzprodukt, er handelt nicht vom höher, schneller, weiter, den typisch amerikanischen Themen. Seine Geschichten spielen in der alten Welt, meist in einer Stadt, die einmal selbst Kapitale einer Weltmacht war und nun einen herrlichen morbid-vitalen Charme versprüht. In Lissabon ist kein Gigantismus wie in New York, wo Green lange lebte. Eng und verwinkelt sind die Straßen, in denen der Fado zu Hause ist. Im Stadtteil Mouaria, wo es die Straße des Fado gibt, auf der fast in jedem Haus Fado-Sängerinnen und -Sänger lebten, in Alfama, in deren Tavernen diese Musik einst entstand, und in Barrio Alto.

 Mariza ist die neue große Dame des Fado.

Mariza ist die neue große Dame des Fado.

Foto: Carlos Ramos/Foto: Carlos Ramos

Auch die Rua da Atalaia windet sich schmal und steil nach oben. Etwa auf halber Höhe steht Ryan Eliott Green vor der „Mascote“. Besitzer Luis Goncalves winkt, die Pause ist vorbei. Beim Fado ist Sprechverbot, ganz explizit, um der Kunst alle Aufmerksamkeit zu geben. Ana Margarida hat ihre Schwester und ihre Mutter mitgebracht, sie singen Duette. Dann ist Ryan Green dran. Zwei Fados singt er an diesem Abend. Voller Verve, voller Gefühl. Man spürt, dass er in dieser Welt angekommen ist, in der Welt des Fado. „Wenn du den Fado gesungen hast, ist deine Seele gereinigt und du lachst, du weinst nicht“, hat Mariza mal gesagt. Der amerikanische Fadista nickt. „Sie hat Recht.“

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