Letzte Tournee von Genesis Bewegender Abend mit Phil Collins in Köln

Köln · Genesis traten auf ihrer Abschiedstournee in Köln auf. Im Mittelpunkt stand der gebrechliche Phil Collins. Fast 14.000 Menschen erlebten, wie der 71-Jährige das Konzert im Sitzen bestritt. Wladimir Putin bezeichnete er als „Idiot“.

Genesis-Konzert Köln 2022: Bilder vom Phil Collins Auftritt
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Die Bilder vom Genesis Konzert in Köln

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Foto: dpa/Henning Kaiser / dpa

Am Anfang: Mitleid. Phil Collins schleppt sich die Stufen zur Bühne hoch. Er geht am Stock, und als er seinen drehbaren Barhocker mit aufgeschraubtem Sesselchen erreicht hat, lässt er sich ins Lederpolster fallen. Ist das wirklich der Mann, der 1985 beim Live-Aid-Festival zunächst in London auftrat, die Concorde bestieg und in Philadelphia am selben Tag noch einmal spielte? Der 71-Jährige hat zwei Operationen an den Halswirbeln und am Rücken hinter sich. Er leidet an Diabetes. Im Sommer 2013 hätte er sich fast totgesoffen. Seine Stimme ist kaputt, Schlagzeug spielen kann er schon lange nicht mehr. „Not Dead Yet“ nannte Collins die Solotour, mit der er 2017 in die Arenen zurückkehrte. Der Titel ist natürlich Sarkasmus, exzentrischer britischer Humor. An diesem Abend kommt Collins nun zu einem Stück aus dem Soundtrack des Films „American Beauty“ in die Halle. Es heißt „Dead Already“.

 Genesis treten in der Lanxess Arena in Köln auf, sie werden drei Konzerte geben, und zu diesem ersten sind 13.900 Fans gekommen. Sie wollen Abschied nehmen. Denn das ist die letzte Tournee der Gruppe. Deren Agent versammelte die Journalisten vor dem Auftritt in einem Raum, um das noch einmal zu bekräftigen. Er bat auch, zu entschuldigen, falls Phil Collins Texte vergesse. Man habe nicht damit gerechnet, dass man die Konzerte tatsächlich würde geben können. Das Okay im Rahmen der Covid-Auflagen sei kurzfristig gekommen, und man habe nur fünf Tage zum Proben gehabt.

Genesis-Konzert Köln 2022: Diese Songs wurden gespeilt
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Diese Songs spielte Genesis beim Konzert in Köln

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Er hätte sich diesen Hinweis schenken können. Bald wird nämlich deutlich, dass es in diesen zweieinhalb Stunden nicht um Perfektion geht. Es ist das erste große Konzert an diesem Ort seit mehr als zwei Jahren. Was die Leute feiern, ist die Erfüllung einer Hoffnung. Es ist die Hoffnung auf Zusammensein in der Musik, auf das Verbindende des Pop, darauf, dass einen diese Drei-Minuten-Kunstwerke durch ein Leben tragen. Das Bild des gebrechlichen Collins steht für etwas Größeres. Dafür, dass man dank des Pop aufstehen und zurückkehren, ja: dass man dank des Pop überleben kann.

Über den Abend beim Konzert in Köln spricht der Autor auch in unserem NRW-Podcast Aufwacher. Den Podcast können Sie hier hören und kostenlos abonnieren.

 Genesis drücken ihre Kompositionen mit enormer Lautstärke in die Halle. Das Schlagzeug ist brutal weit nach vorne gemischt. Ein früher Höhepunkt ist das irre „Mama“. Es geht um einen jungen Mann, der sich in eine Prostituierte verliebt. Collins lacht das legendäre Lachen mit viel Lust am Sardonischen. Er lässt sich rot anstrahlen, und im Grunde ist das Theaterspielen. Collins war ja nie bloß Sänger, sondern eben auch: Überschall-Popstar, Drummer, Bandleader, Schauspieler, Solokünstler, Hitschreiber. An diesem Abend wird er zudem Aktivist. Er verurteilt den Einmarsch Russlands in die Ukraine. Ein „fucking idiot“ sei Putin. Und dann spielen sie „Land Of Confusion“, das Lied, das bereits Mitte der 1980er Jahre die Spannungen zwischen den USA und Russland zum Thema hatte.

 Das Publikum erhebt sich immer wieder für Szenenapplaus. Genesis spielen Stücke aus der Progrock-Frühphase bis Mitte der 1970er Jahre, als Peter Gabriel und Steve Hackett noch dazugehörten. Sie schweißen „The Lamb Lies Down On Broadway“ und „Firth Of Fifth“ zu Suiten mit Hits aus der Zwischenphase der frühen 80er und der folgenden Stadionrock-Phase zusammen. Phil Collins erreicht die Höhen manchmal nicht mehr, vor allem gegen Ende wirkt er müde. Die beiden Backgroundsänger übernehmen dann.

 Aber immer wieder gibt es wunderbare Augenblicke. In der Mitte des Sets kommen alle Musiker in der Bühnenmitte zusammen. Sie spielen Akustik-Versionen von „That’s All“ und „Follow You, Follow Me“. Und das ist so intim und schön, dass es allein das Kommen lohnt. Außerdem ist da der Schlagzeuger, der Phil Collins ersetzt. Es ist Nicholas, Collins’ 20 Jahre alter Sohn, der wie der Vater spielt, ihn stützt und seinen Alten immer wieder dazu bringt, in die Luft zu trommeln. Als „my Little boy“ stellt Phill Collins ihn vor. Es ist eine Staffelübergabe.

Phil Collins: Egal ob Genesis oder solo - Ein Leben für die Musik
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Das ist Phil Collins

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Foto: dpa/Kirsty O'connor

 Man merkt allmählich, dass das die ideale Band für das erste Konzert nach so langer Zeit ist. Weil Mike Rutherford, Tony Banks, Daryl Stuermer und allen voran Phil Collins zeigen, wie stark die Kraft der Musik ist. Der Kerl da vorne ist zwar nurmehr ein Schatten seiner selbst. Aber in der Musik blüht er auf. Er, dessen Körper schwach ist, reißt fast 14.000 Menschen von den Stühlen. Das ist die Macht des Pop. Er schafft eine Zuflucht im Sound. Pop war einst eine aus dem Moment geborene Kunstform für den Moment. Nun ahnt man, dass sie den Augenblick überwinden kann. Pop ist spätestens jetzt auch dieses: Vergänglichkeit, Ewigkeit, Tod. Die Zeit verharrt, der Raum wird gestaucht.

 Sie spielen „Tonight, Tonight, Tonight“, „Invisible Touch“ und „I Can’t Dance“. Man wünscht sich irgendwann, dass es enden möge, weil es den Sänger, der mehr liegt als sitzt, so anstrengt. Und da man aus der Nachrichtenwirklichkeit angereist ist, denkt man auch: Es gibt nichts Friedlicheres als Menschen, die einem vom Leben Versehrten zujubeln, während er singt. Insofern steht der Name dieser Band für die Entstehung einer besseren Welt: die Utopie vom friedlichen Miteinander. „All my fears are drifting by“ heißt es in „Follow You, Follow Me“.

 Phil Collins ist zurückgekehrt, und er ist nicht allein. Bei Konzerten reißen klassischerweise die Künstler die Leute mit, aber hier passiert Außergewöhnliches, das Verhältnis kehrt sich um. Das zu erleben ist schön und bei aller Tragik durchaus heiter.

 Am Ende: kein Mitleid mehr. Sondern Respekt. Und Dankbarkeit.

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