Herausforderndes Album Och Menno, Enno!

Der Indie-Poet Enno Bunger vermischt auf "Flüssiges Glück" Peter Licht und Peter Fox, Hamburg-Hymnen und Protestsongs, Elektro und Rap sowie Wortspiele aller Gütegrade. Eine Zumutung voller Glücksmomente.

 Ist das Regen? Sind es Tränen? Angstschweiß wäre vielleicht angemessen, wenn man so viel Neues probiert wie Enno Bunger auf "Flüssiges Glück".

Ist das Regen? Sind es Tränen? Angstschweiß wäre vielleicht angemessen, wenn man so viel Neues probiert wie Enno Bunger auf "Flüssiges Glück".

Foto: Pias

Was neu ist, nervt. Deshalb ist ja Facebook so beliebt: Weil es der perfekte Verstärker für das eigene Weltbild ist, ohne störende andere Meinungen und Themen. Wer Katzenbilder und Selfies will, bekommt sie geliefert, und zwar ausschließlich. So gesehen ist das dritte Album "Flüssiges Glück" des Ostfriesen Enno Bunger ein kolossales Ärgernis, weil er fast alles anders macht. Anstatt auf jene Art, die man von ihm erwartet, weil er sie beherrscht und in seiner Nische Erfolg damit hatte.

2010 hatte Bunger auf seinem Debütalbum "Ein bisschen mehr Herz" gefordert, mit "Wir sind vorbei" folgte 2012 ein Konzeptalbum über eine Trennung, Herzstück: "Regen", das die Zuschauer des Indie-YouTube-Kanals "TV noir" zum besten je dort gespielten Stück wählten und später auch von Klaas Heufer-Umlaufs Band Gloria gecovert wurde. Die helle und die dunkle Seite der ewigen Themen also, originell arrangiert vom Kirchenorganisten und Barpianisten, und vor allem außergewöhnlich behände betextet.

Und jetzt? Zerrt Bunger, neuerdings solo, die Zuhörer nach dem gewohnt melancholischen Opener "Scheitern" auf eine Achterbahnfahrt, die schwer zu ertragen ist — mal auf die beste und mal auf die schlechteste Art.

Wunderbare Worte und Zeilen überall

Gelungen: "Neonlicht" ist ein elektronischer, absolut tanzbarer Abgesang auf durchfeierte Nächte, der garantiert als Feier desselben missverstanden wird, oder andersherum. Spürbar eingeplant als Ohrwurm, als potenzielles Viral-Material, aber sei's drum. Auch Künstler brauchen Klicks.

"Hamburg" hat das Zeug zur Stadthymne wie "Schwarz zu Blau" für Berlin: "So flach und doch so tiefsinnig / Manchmal bremst, meistens schiebst du mich" — gutes Ding. Wer mit den plötzlichen housigen letzten sechs Minuten des Stücks nichts anzufangen weiß, kann sie ja einfach skippen.

"Nichts Immer Alles Jetzt" verbreitet versponnen Aufbruchstimmung wie Peter Licht in seinen besten Zeiten, das pumpende "Renn" könnte auch von Thomas D. oder einem alt und ruhig gewordenen Casper stammen. Und überall finden sich wunderbare Worte und Zeilen, kreirt vom selbsternannten "Flausenleger" und "Kummerjäger".

Dazwischen aber geht vieles kräftig daneben. Das himmelhoch jauchzende "Zwei Streifen" etwa findet man wohl nur in zwei Augenblicken nicht vollkommen drüber, nämlich wenn man eine gewollte Schwangerschaft realisiert und bei der Geburt selbst. Besonders schade ist es um die Ballade "Heimlich". Ein Refrain wie "Heimlich fühl' ich mich bei dir zuhause" kann vieles retten, aber nicht textliche Rohrkrepierer zum Über-beide-Ohren-Verliebtsein als Diskriminierung von Dumbo und Prince Charles oder "Bei deinem Augenaufschlag muss selbst Boris Becker stöhnen". So etwas könnte man getrost Bodo Wartke überlassen. Dass aber auch Bunger selbst es besser kann, beweist er wenig später, wenn er zum Schluss kommt "Ich glaub', das Licht am Ende des Tunnels ist kaputt". Da passt der Ton zum Inhalt, das funktioniert.

Ganz besonders gilt das für "Wo bleiben die Beschwerden?", den wütenden Protestsong gegen Ausländerfeindlichkeit und die Sprachlosigkeit der Masse, in dem Bunger nicht nur klagt, sondern auch angemessen zynisch wird:

"Oury Jalloh war ein Zauberer, laut Polizeibericht /
Vollführte im Verborgenen sein größtes Meisterstück /
Hat mit Händen und mit Füßen, fixiert an Grund und Wand /
Sich auf feuerfester Matte in Schutzhaft selbst verbrannt"

"Wir können was dafür, wenn wir uns nicht dagegen wehren", insistiert Bunger zu Recht zu rechter Gewalt und dem Schreddern sensibler Akten:

"Nein, es sind nicht die paar Nazis, es ist unsere Ignoranz /
Lieber Bild, GNTM und Dschungelcamp am Bratwurststand..."

Mit seiner ungezügelten Experimentierwut verdirbt sich Enno Bunger manches selbst, aber vielleicht betrachtet man dieses Album am Besten weniger als Album und mehr als Signal: Die Merkelisierung des Indie ist vorbei. Endlich.

(tojo)
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