Düster-Mann stellt in der Philipshalle seine neuen Platten vor Nick Cave tanzt und lacht

Düsseldorf (rpo) Nick Cave hat den Trübsal hinter sich gelassen: Der Melancholiker hat auf seinem aktuellen Album "Abattoir Blues/The Lyor Of Orpheus" zum ersten Mal in seinem Leben Lieder geschrieben, die zum Tanzen einladen. Nun ist der Kopf der legendären australischen Düster-Band The Birthday Party unterwegs, um mit den Bad Seeds (ohne Blixa Bargeld) den neuen Tonträger vorzustellen: Am Donnerstag tritt er in der Phlilipshalle auf. Ob ihm da im Rausche des optimistischeren Sounds sogar ein zartes Lächeln über die Lippen huschen wird?

Dank eines Arbeitseifers, der auf Fleiß, Tatendrang, unermüdlicher Kreativität sowie einem Album pro Jahr basiert und von Nick Cave And The Bad Seeds 2003 mit der Veröffentlichung von Nocturama eingeläutet wurde, ist etwas entstanden, das wohl kaum jemand erwartet hat — zwei Alben, die beide als eigenständige Meisterwerke stehen; zwei stürmische, treibende, unerbittliche, hingebungsvolle, verführerische, sanfte, herzzerreißend schöne Alben, deren Texte zwischen Zynismus und Optimismus pendeln, zwischen Niedergeschlagenheit und Trotz, die von Liebe, Krieg, Schönheit, Kindern, Romanzen, Zurückweisung, Pethedin, Poesie, Höschen, Gott, Auden, Johnny Cash, kalten Kartoffeln, zu viel Geld, nicht genug Geld, Schreibblockade, Blumen, Tieren und noch mehr Blumen erzählen. Aber vielleicht projizieren wir hier ein wenig zu viel hinein ...

Rückkehr zum Gemeinschaftsgeist

Gehen wir zunächst einmal zurück zu Nocturama und ins Jahr 2003. Es sollte, so sagten die Bad Seeds, eine Rückkehr zum schleichenden, ungezähmten, mehrköpfigen Gemeinschaftsgeist dieser Band werden, jenem Geist, der 1983 aus der Asche der australischen Legende The Birthday Party entstand, wiedergeboren mit dem rohen, schonungslosen Debüt From Her To Eternitiy und seither stets spuckend und zähnefletschend präsent dank einer Serie erstaunlicher, unvergesslicher Alben, die im Laufe der Achtziger und Neunziger veröffentlicht wurden. Und während The Boatmanns Call (1997) und No More Shall We Part (2001) von vielen Fans als kreative Höhepunkte in Caves Schaffen als Songwriter und Arrangeur angesehen wurden, verspürte die Band nach wie vor das Bedürfnis, zu ihrem Groove zurückzufinden.

Und Groove hatte Nocturama reichlich. Binnen einer Woche geprobt und aufgenommen, produziert mit Unterstützung von Ex-Birthday Party-Producer Nick Launay, war dies ein Album, das sich von jeglichen Hemmungen befreit hatte, eine gloriose Sturmböe ungezähmter, wilder, gemeinschaftlicher Power, der Sound von acht erstklassigen Musikern — Cave selbst, Blixa Bargeld, Mick Harvey, Thomas Wydler, Martyn P Casey, Conway Savage, Jim Sclavunos und Warren Ellis —, die wie losgelassen wirkten und diesen Zustand in vollen Zügen genossen. Angesichts dieser wieder entdeckten Energie innerhalb seiner Band tauchte Nick Cave Anfang 2004 mit einem kleinen Team von Bad Seeds-Mitstreitern — namentlich Violinist Warren Ellis, Drummer Jim Sclavunos und Bassist Martyn P Casey — im winzigen Misere-Studio in Paris unter, wo er eine Art Songwriting-Event inszenierte.

Ein Bündel Akkorde

"Nick reiste in Paris mit einem Stapel Texte und einem Bündel Akkorde an", erinnert sich Warren Ellis. "Ich hatte gerade eine Mandoline und eine Bazouki gekauft und meine Frau damit in den Wahnsinn getrieben, und wir spielten vier oder fünf Tage lang ohne Unterbrechung. Mit Nocturama hatten wir uns einiges von der Seele geschafft und waren zu dem zurückgekehrt, was die Bad Seeds früher ausgemacht hat. Nick legte damals einen Schwung und eine Kraft an den Tag, wie er sie in seinem Büro einfach nicht generieren konnte. Es hat Spaß gemacht, ihm dabei zuzusehen, wie er plötzlich wieder Texte aus dem Nichts zauberte und diese Songs entstehen ließ."

Innerhalb von vier Tagen hatten Cave, Ellis, Casey und Sclavunos genügend Material für zehn CDs im Kasten. "Diese Arbeitsweise bot der Gruppe die Möglichkeit, in den Entstehungsprozess der Stücke involviert zu sein, und das hat dieser Platte gut getan", findet Cave. Die Bad Seeds 2004 unterscheiden sich von der Band, die Nocturama aufnahm, denn Blixa Bargeld hat ihnen inzwischen den Rücken gekehrt, und der ehemalige Gallon Drunk-Frontman James Johnston ist dazugestoßen.

"Blixa liebe ich aus tiefstem Herzen"

"Sein Abschied war ein starker Einfluss", sagt Cave. "Blixa, den ich aus tiefstem Herzen liebe, war ein essenzieller Bestandteil der Bad Seeds. Die alles entscheidende Frage war, ob wir aus seinem Abgang etwas Positives herausziehen konnten oder ob wir die nächsten zehn Jahre als trauernde Witwen durchs Leben gehen würden. Die Veränderung im Line-up gab Mick Harvey mehr Raum für seine Gitarre und Warren Ellis die Möglichkeit, mehr Rhythmus einzubringen. Er spielt eine irische Bazouki über einen Verstärker, was einen einzigartigen Sound produziert. James war ganz versessen auf Arbeit, als er zu uns kam, und auf dem Album ist eine brandheiße Orgel zu hören."

Während Nocturama absichtlich in rasantem Tempo geschrieben wurde, schloss sich Cave nun über "lange Zeit" ein und schrieb die Songs, aus denen schließlich Abbatoir Blues/The Lyre Of Orpheus entstehen sollte. Dieses Mal arbeitete die Band auch bei den Proben enger zusammen und entwickelte den definitiven Bad Seeds-Sound. An dieser Front erwies sich Produzent Launay übrigens als besonders hilfreich, denn er schlug vor, im Frühling in Paris auf dem herrlich heruntergekommenen Analog-Equipment der Studios Ferber aufzunehmen. "Ich schlug Paris vor, weil es aus romantischer Sicht Sinn machte", erklärt Launay. "Und dann entdeckte ich dieses Studio, in dem normalerweise Jazz-Alben eingespielt werden und Sachen von Serge Gainsbourg und Johnny Halliday. Dort gab es diese sehr alten, riesigen Mirkos, einfaches Equipment aus den Sechzigern und Siebzigern, bei dem nicht viel schief gehen kann. Nick sah das Studio und sagte sofort: 'Das ist toll. Alt und abgehalftert, genau wie wir.'"

Eine rohe, pulsierende Musik

"Das Ergebnis war ein treibender Sound", sagt Cave, "mit genügend Freiraum, sodass nichts fixiert oder eingeschränkt wirkt. Die Rhythmus-Spur stand, alles andere klingt improvisiert." Dabei herausgekommen ist eine rohe, organische, pulsierende Musik, die eindeutig zum besten gehört, was die Bad Seeds je hervorgebracht haben, zusätzlich aufgepeppt von einer Truppe junger Sänger des London Community Gospel Choir. Die Songs um die Gospelsänger herum aufzubauen erforderte Proben — ein ungewohntes Konzept für eine so erfahrene Gruppe improvisationsfreudiger Musiker wie die Bad Seeds.

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