Reif fürs Museum Mythos Kraftwerk

Die 1970 gegründete Band ist im Museum angekommen: Im Januar geben die Elektronik-Pioniere zehn Konzerte in der Kunstsammlung NRW. Zu erleben ist eine Künstlergruppe, die ihre Songs als Skulpturen begreift.

Spätestens jetzt sollte man aufhören, Kraftwerk als Band zu bezeichnen. Denn genau genommen besteht das Quartett nicht aus Musikern, sondern aus Industriedesignern. Nicht der perfekte Popsong ist das Ideal, das sie in ihrem Labor, dem legendären Kling-Klang-Studio nahe dem Düsseldorfer Hauptbahnhof, zu erreichen versuchen. Vielmehr interessiert sie größtmögliche Klarheit, maximale Reduktion und die vollkommene Form.

Logisch also, dass man sie neuerdings zumeist in Museen antrifft, im Lenbachhaus in München etwa, im Museum of Modern Art in New York und Mitte Januar 2013 auch in der Kunstsammlung NRW. Unter dem Titel "Der Katalog — 1 2 3 4 5 6 7 8" stellen sie dort in zehn Konzerten jeweils eines ihrer Alben ins Zentrum, garniert wird jeder Auftritt mit 3 D-Projektionen.

Eine einzigartige Erscheinung

Für das Konzept Kraftwerk finden sich kaum Entsprechungen in der Musikgeschichte. Fündig wird man hingegen im Film. Fritz Lang ist eine Portalsfigur dieser Klangwelt, vor allem sein "Metropolis" von 1927. Alle Wachträume, die den Menschen umtreiben, seit er modern wurde, sind darin enthalten und ebenso in den Kompositionen Kraftwerks: die technokratische Unterwerfung, die Herrschaft künstlicher Wesen, die rasant wachsende Mobilität in Raum und Zeit.

Noch heute wird "Metropolis" in Produktionen nachgeborener Regisseure zitiert: die futuristische Stadt in Godards "Alphaville", Zion in der "Matrix"-Trilogie, das verfremdete Los Angeles im "Blade Runner". Der Einfluss Kraftwerks ist ähnlich weitreichend, die minimalistisch dosierte Melodienmechanik, das Glitzernde und Bildtechnische ihrer Musik findet man auf den Platten von Depeche Mode ebenso wie im Techno und in den Samples, mit denen sich der HipHop schmückt. Zuletzt entkernte die Band Coldplay das Kraftwerk-Stück "Computerliebe" und baute daraus ihren Song "Talk".

Es gab auch eine Krautrock-Phase

Kraftwerk gibt es seit 1970. Florian Schneider und Ralf Hütter eröffneten das Unternehmen, und sie suchten sich für jede Werkphase die passenden Angestellten: am Anfang Klaus Dinger und Michael Rother, die sich bald selbständig machten und die Band Neu! gründeten. Dann Wolfgang Flür und Karl Bartos, die in der großen Zeit Ende der 70er und zu Beginn der 80er Jahre halfen, die Sounds für die Alben "Mensch-Maschine" und "Computerwelt" zu programmieren.

Dabei gönnte sich Kraftwerk durchaus eine Zeit des Probierens. Auf den ersten drei Alben produzierte die Gruppe zwischen 1970 und 1973 Krautrock, wie er damals in ähnlicher Art von Gruppen wie Can und Tangerine Dream aufgenommen wurde. Man hört Gitarre und Querflöte — Hippiemusik: Ein Akkord wird wieder und wieder angeschlagen, zu Girlanden geflochten und ins Rhythmusgerüst gehängt.

Mit "Autobahn" wurde die Band zur Marke

1974 erschien das Album "Autobahn", und erst von da an ist Kraftwerk eine Marke. Deshalb beginnt für Ralf Hütter, der seit dem Rückzug Florian Schneiders vor vier Jahren Prokurist der Gruppe ist, an diesem Punkt die Diskographie von Kraftwerk. Die frühen Platten wurden nie auf CD veröffentlicht, sie sind nicht Teil des Katalogs, der nun in Düsseldorf zur Aufführung kommt.

Erst auf "Autobahn" gewann die Idee Kraftwerk Form: Die Posen des Rock wurden mechanisiert, schockgefrostet und in tausend Stücke zerschlagen. Das Naturwüchsige und Traditionelle waren nicht länger Referenz, ebenso wenig das verschwitzte Muckertum und die Verausgabung, stattdessen das Geordnete und der kristallene Glanz. Die Mitglieder von Kraftwerk betrieben die Entpersönlichung, sie waren die Raumflugpioniere des Pop, und sie traten allmählich hinter ihre technisch-ästhetischen Erfindungen zurück. Schließlich schickten sie nur mehr die berühmten Roboter mit ihren Konterfeis auf die Bühne und ließen eine Maschinenstimme singen: "Wir sind die Roboter".

Kraftwerk ist fortschrittliche Nostalgie

Das Faszinierende am Werk der Klangingenieure ist nun, wie sie Sentiment und Zukunftsvision vereinen. Die Stücke handeln zwar von der Zukunft, die Melodien werden immer stärker heruntergekühlt, die Strukturen gestrafft. Aber sie werden doch nicht so lange durchs Kältebad der formalen Einfälle gezogen, dass sie nicht mehr atmen können. Da bleibt viel Platz für westdeutsche Gartenlauben-Romantik. Der VW-Käfer auf dem "Autobahn"-Cover; die 4711-Reklame, die bei Konzerten über die mächtige Leinwand läuft; der Videoclip zu "Das Model", der eine Modenschau aus den 50er Jahren dokumentiert.

Kraftwerk ist fortschrittliche Nostalgie, die Gruppe entdeckt eine Vergangenheit neu, die von Zukunftserwartungen getragen wurde, und sie destilliert daraus Gegenwart. So ist denn auch die größte Leistung Kraftwerks die Aufhebung der Zeit im Pop. Die zum Teil fast 40 Jahre alten Kompositionen sind erstaunlich langlebig, manche Rhythmusspur klingt wie just errechnet. Kraftwerks Musik schließt zur Sozialgeschichte der Industriegesellschaft auf, und seit die technischen Möglichkeiten da sind, sie entsprechend zu bebildern, wird sie abermals ausgewertet — dieses Mal gesamtkünstlerisch und mit hochkulturellem Anstrich.

Konsequent bis ins Letzte

Wer dem Werk Kraftwerks erneut begegnet, wird sich an die Thesen von Dieter Rams für gutes Design erinnert fühlen. Rams arbeitete zwischen 1961 und 1995 in der Abteilung Produktgestaltung der Firma Braun. Seine Entwürfe gelten als Vorbilder für das Aussehen der Apple-Produkte, für iPod und Co. Rams predigte dieses: "Gutes Design ist konsequent bis ins letzte Detail. Es ist langlebig, innovativ und ästhetisch." Es scheint, als hätte Kraftwerk diese Prinzipien auf das eigene akustische Konzept angewandt.

Man höre sich noch einmal die beiden aus heutiger Sicht wichtigsten Alben an: "Trans Europa Express" von 1977 und "Electric Café" von 1986, das für die Neuauflage in "Techno Pop" umbenannt wurde. Lakonische Raps, elegantes Stampfen. Die Töne werden in der puren Form dargereicht, man kann diese Stücke nicht weiter komprimieren, es ist die reine Effizienz, die Essenz des Sounds. Diese Kunstwerke haben bei aller Klarheit und Verständlichkeit Spannung, sie wirken entschlossen, das macht sie so anregend.

Keine Spuren

Kraftwerk achtete stets darauf, die Musik in eine Erzählung einzubetten. Sie handelt von seltsamen Ingenieuren aus Deutschland, die die 168-Stunden-Woche eingeführt haben und nicht mehr zwischen Arbeit und Freizeit unterscheiden. Sie werkeln an ihrer eigenen Abschaffung, der Urheber soll überflüssig werden, sein Werk erneuert sich von selbst: Er stößt bloß an, die daraus resultierende Bewegung dauert ewig. "Es wird immer weitergehen / Musik als Träger von Ideen", heißt es in "Musique Non Stop". So entstand die Kraftwerk-Mythologie, das Geraune, das längst Teil der Inszenierung ist.

Die Musikarbeiter geben keine Interviews, und wenn doch, schicken sie Roboter-Avatare vor. Sie gehen juristisch gegen Enthüllungsbücher früherer Angestellter vor und klagen gegen jedwede Verwendung von Tonfolgen aus ihrem Labor. Sie wurden zu Thomas Pynchons der populären Musik, und wie der große Gesichtslose der amerikanischen Literatur sind sie nicht aufzuspüren. Die englische Tageszeitung "Guardian" entsandte mal einen Reporter, um in Düsseldorf einen Tag lang nach Spuren Kraftwerks zu suchen. Er fand: nichts. Den ganzseitigen Artikel schloss er mit den Worten: "Den Pulitzerpreis werde ich dafür nicht bekommen."

Bowie ist ihr größter Fan

Der größte Fan dieser obskuren Teutonen-Clique war David Bowie. Er fragte Kraftwerk, ob sie das Vorprogramm auf seiner Amerika-Tournee bestreiten mögen, aber sie sagten ab, weil sie meinten, Kraftwerk sei keine Vorband. Bowie widmete Florian Schneider daraufhin das Stück "V2 Schneider" auf seinem Album "Heroes": Kraftwerk als Raketenwissenschaftler. Bowie hatte den oft unterschätzten humoristischen Aspekt im Werk Kraftwerks erkannt — ihre Ernsthaftigkeit grenzt an Albernheit.

Nun also das Museum. Es beglaubigt die Vision Kraftwerks, dass jede menschliche Intelligenz von der maschinell-technoiden verdrängt werde. Wer eine der raren Karten für die Konzerte bekommen hat, wird Zeitlosigkeit bewundern dürfen, die ein ästhetischer Wert an sich ist. Das Künstlerkollektiv findet sich in einer Gegenwart wieder, die es selbst in Schwung gebracht hat. Nun, da Kraftwerk unter keinem musikalischen Evolutionsdruck mehr steht — seit 1986 erschien kein wirklich neues Material mehr —, betreibt Ralf Hütter die Reprogrammierung in Richtung Performancekunst.

Es ist wie in der Geschichte mit dem Hasen und dem Igel: Die Zeit rast, aber Kraftwerk ist längst da, wenn die Zukunft beginnt.

(RP/pst/sap)
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