DDR Musik ließ Mauer bröckeln

Berlin (RP). Nur wenige Jugendliche sind es, die am 19. Juni 1988 an der Ostseite der Berliner Mauer stehen. Es brodelt jedoch, als stünden Tausende dort. Auf der anderen - der westlichen - Seite der Mauer, direkt vor dem Reichstag, spielt an diesem Abend Michael Jackson. Zehntausende West-Jugendliche jubeln über den König des Pop. Was die Konzertbesucher nicht wissen: Auch auf der anderen Seite der Mauer stehen Fans. Sie können Jackson hören - aber sie sehen ihn nicht. Und deshalb protestieren sie aus Wut über die Mauer, die sie von der Popkultur trennt. Der 19. Juni 1988 ist nicht der Tag, an dem die Mauer fällt. Es ist jedoch ein Tag, an dem die Mauer zumindest ein wenig bröckelt.

Popkultur, das ist in 40 Jahren Deutsche Demokratische Republik eine wechselvolle Geschichte. In der Nachkriegszeit setzt der Osten dem westlichen Starkult sozialistische Plagiate entgegen. Im kapitalistischen Ausland fetzt die Jugend zu Rock'n'Roll. Der Osten bietet derweil seiner Jugend den "Lipsi”, einen Tanzstil, den sich eine Tanzmusikkonferenz in Sachsen ausgedacht hatte - doch kaum jemand will dazu tanzen.

In den Sechzigern gesundet der Patient Popkultur in der DDR nur unwesentlich. Für Walter Ulbricht ist die neue Beatmusik nur ein Sirenengeheul, das die Jugend der DDR verblende. Vier Burschen aus Liverpool - The Beatles - kennt aber auch im Osten jeder Jugendliche. Zum Missfallen von Ulbricht. "Mit dem ,Yeah! Yeah!' muss Schluss sein", sagt Ulbricht. Seine Abneigung gegen den Pop geht gar so weit, dass in einer koordinierten Aktion der DDR-Staatsorgane 67 Jugendlichen zwangsweise die Haare abrasiert werden. Das Haupthaar ist nun gestutzt, die Unzufriedenheit wächst. Erst mit dem Wechsel an der Staatsspitze - Ulbricht geht, Honecker kommt - ändert sich der Pop-Kurs der DDR. Beatmusik wird plötzlich staatlich gefördert, um Kontrolle über sie zu erlangen.

Vom 28. Juli bis zum 5. August 1973 präsentiert sich die DDR bei den Weltfestspielen der Jugend als ein popkulturell vitales Völkchen. Acht Millionen Menschen pilgern nach Ost-Berlin. Das "rote Woodstock" wird dieses Event später genannt. Und für ein paar Tage weht tatsächlich der Wind der Freiheit durch den Osten. In dieser Zeit entstehen Bands wie Puhdys, Electra oder City, deren Hit "Am Fenster" in Griechenland sogar Goldstatus erlangt. Wer sich allerdings nicht der staatlichen Songnorm anpasst, für den kann es dumm laufen.

Die Klaus Renft Combo etwa übt sich in subtiler Systemkritik - und wird ganz einfach verboten. "Wir wollten mit unseren Themen niemanden bösartig provozieren, wir wollten nur nichts schlucken", erklärte Bandleader Klaus Renft später. Angesichts eines solchen Klimas hält es auch die spätere westdeutsche Vorzeigepunkerin Nina Hagen nicht mehr im Land. Sie flieht. Diejenigen, die bleiben, fügen sich der Diktion und werden für ihre sklavische Treue zum Regime von den Fans bestraft: Keiner will sie mehr hören.

In den Achtzigern beugt sich die DDR dem Druck, den die Popkultur ausübt. Im Rahmen der 750-Jahr-Feier von Berlin gibt es gleich mehrere Großkonzerte im Ostteil der Stadt. Es kommen mit Bob Dylan, Tom Petty und Bruce Springsteen jene amerikanischen Liedermacher, die ihrerseits auch gegen westliche Regimes protestieren. Dylan allerdings zeigt sich wortkarg, verliert keinen Ton über politische Missstände diesseits oder jenseits der Mauer. Dabei hatte sich die Jugend des Ostens ein Statement so sehnsüchtig gewünscht.

Diese Statements bleiben auch bei BAP und Udo Lindenberg aus. Deren angekündigten Konzerte müssen abgesagt werden, weil mit dem DDR-Regime keine Einigung über die Liedauswahl getroffen werden kann. Im Klima der Restriktionen finden unterdessen viele DDR-Punkbands in Kirchen Asyl. Hier dürfen sie das machen, was ihnen der Staat verbietet: ihre Musik.

Im Wendejahr ist die Popkultur wesentlich am Protest beteiligt. Viele Künstler der DDR raufen sich zusammen und verfassen eine "Rockerresolution". In der begrüßen sie im September 1989, wenige Wochen vor Ende der DDR, die basisdemokratischen Entwicklungen. Honecker verbietet die Veröffentlichung der Resolution, also nutzen Bands wie City oder Modern Soul Livekonzerte, um die Botschaft des Wandels zu verbreiten. Das trägt Früchte. Am 4. November 1989 versammeln sich 500000 Demonstranten, unter ihnen viele Rockmusiker, auf dem Berliner Alexanderplatz.

Fünf Tage danach fällt die Mauer. Yeah! Yeah! Yeah!

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