„Music For Plants“ Bei Spotify boomen Playlists für Zimmerpflanzen

Immer mehr Menschen machen sich offenbar Gedanken über den Musikgeschmack ihrer Pflanzen. Über einen Trend, den Stevie Wonder bereits in den 70er-Jahren vorausgesehen hat.

 Phyto-Disco auf grünem Vinyl: Pflanze beim Musikhören.

Phyto-Disco auf grünem Vinyl: Pflanze beim Musikhören.

Foto: iStock

Vielleicht drehen sie in Hollywood ja bald einen Film, der „Plants“ heißt und von Zimmerpflanzen in New York oder Los Angeles erzählt. Die Story könnte so gehen: Die armen Pflanzen müssen tagsüber alleine klarkommen, denn ihre Besitzer gehen arbeiten oder an den Strand. Das macht den Pflanzen allerdings nichts, denn sie werden mit Musik versorgt. Man lebt schließlich nicht von der Photosynthese allein. Bevor die Besitzer die Wohnung verlassen, drehen sie also die Musik-Anlage auf und beschallen Orchideen, Palmen und Kakteen mit deren Lieblingsliedern und -künstlern. Und dann sieht man sie auf der Leinwand in der Phyto-Disco grooven, die Stengel schwingen und mit den Blütenblättern wippen zu „The Flower Of Love“ von Jennifer Rush, „You Can Grow Your Own Way“ von Fleetwood Mac und zu Ikebana & Tina Turner.

Der Markt für solch einen Film wäre zumindest da, das legt eine Umfrage der Streaming-Plattform Spotify nahe. Die Nutzer des Dienstes widmen ihren Pflanzen verstärkt Playlisten, also selbst gestaltete Zusammenstellungen von Songs, die einen passenden Soundtrack fürs Wachstum liefern. Die Pandemie hat sicher dazu beigetragen, dass viele Menschen ihren Pflanzen etwas Gutes tun möchten. Die Zugriffe auf die Zusammenstellung „Music For Plants“ sei jedenfalls in den vergangenen Monaten um 1400 Prozent gestiegen, meldet Spotify. Fast drei Millionen weitere Listen zum Thema gebe es inzwischen. Am häufigsten darauf zu finden sei der Song „New Slang“ von The Shins. Auch „Don’t Panic“ von Coldplay werde gern gespielt.

Das Thema hat Konjunktur. Wer sich im Internet unter der Wortkombination „Planzen und Musik“ umsieht, entdeckt einen Kosmos. Es werden Tipps ausgetauscht, welche Musik Pflanzen am besten stimuliert. Simply Red funktioniert demnach bei Tomaten sehr gut. Allgemein gilt, dass Pflanzenliebhaber eher nicht so gerne härteres Zeug spielen. Es gibt Blogbeiträge, die warnen, dass Metallica Pflanzen umbringen könne. Besser seien Klassik und Jazz, Rosen liebten Geigenmusik, Vivaldi und Mozart gingen ohnehin immer. Es gibt sogar ein Gerät namens „Bamboo“, das aussieht wie ein iPod im Holzgehäuse. Es soll sich mit Pflanzen verbinden und deren elektromagnetische Signale in musikalische Harmonien übersetzen können. Rhapsody in Green, gewissermaßen.

Eine Theorie besagt, dass Pflanzen auf Schwingungen reagieren, die von bestimmten Musiken übertragen werden. Das Buch „Das geheime Leben der Pflanzen“ von Peter Tompkins und Christopher Bird verschaffte dieser Annahme 1973 einige Popularität. Pflanzen werden darin als beseelte Lebewesen beschrieben: „Sie reagieren wie Menschen! Sie haben Gefühle und Erinnerungsvermögen, nehmen optische und akustische Eindrücke wahr und unterscheiden zwischen Harmonie und Dissonanzen.“

Aus dem Buch entstand ein Dokumentarfilm, zu dem Stevie Wonder den Soundtrack komponierte. Sein Album „Journey Through The Secret Life Of The Plants“ erschien 1979, und es war der Abschluss der phänomenalen Reihe von Meisterwerken, die Wonder in jenem Jahrzehnt zum Teil im Jahrestakt veröffentlichte. Es gilt nach Ry Cooders „Bob Til’ You Drop“ als zweite digitale Aufnahme überhaupt. Wonder singt von der „Power Flower“, was ziemlich schön ist. Er habe sich selbst herausfordern wollen mit allen Sachen, die er im Kopf gehabt habe; von Venusfliegenfallen bis zur Wiedergeburt als Blume, sagte er damals. Die Menschen verstanden das zunächst nicht. Die Platte war ein Flop, erst heute wird sie als Avantgarde gewürdigt.

Auch andere Künstler ließen sich von Theorien über die musikalische Affinität von Pflanzen inspirieren. Eine der schönsten Produktionen ist das Album „Mother Earth’s Plantasia“ von Mort Garson aus dem Jahr 1976. Es heißt im Untertitel „Warm Earth Music For Plants And The People Who Love Them“. Garson wollte mit dieser Musik das Wachstum der Pflanzen anregen. Akustische Schwingungen sollten den Energietransfer in den Zellen erhöhen. Er benutzte Spielzeug-Orchester und Moog-Synthesizer und arrangierte eine helle und lichte Atmosphäre. Das Album wurde Kunden mitgeben, die damals in einem Geschäft namens „Mother Earth“ in Los Angles Topfpflanzen kauften. Es geriet in Vergessenheit und wurde 2019 wiederentdeckt. Im vergangenen Jahr stiegen die Zugriffszahlen bei Spotify um 40 Prozent.

Auch einige japanische Musiker beschäftigten sich mit Pflanzen. Haruomi Hosono etwa, der mit Ryuichi Sakamoto im Yellow Magic Orchestra zusammenarbeitete, schrieb 1984 Musik für die Eröffnung des Muji-Stores in Tokio. Das ist eine traumhafte Ambient-Platte, mit der Hosono „ozeanische Gefühle“ wecken wollte. „Watering A Flower“ heißt sie, und weil sie zunächst nur als Kassette in kleiner Auflage lieferbar war, man kann sie erst seit Kurzem streamen. Bei Youtube schreibt eine Kommentatorin, diese Musik fühle sich an wie der Weihnachtsmorgen um sieben Uhr, wenn sonst niemand wach ist.

Ambient-Musik versucht ja ohnehin, die Umwelt zu verbessern. Wahrscheinlich wenden sich deshalb besonders Komponisten aus diesem Genre der Pflanze zu. Hiroshi Yoshimura etwa, dessen Album „Green“ 1985 in Tokio entstand. Auch diese Platte wurde kürzlich wiederveröffentlicht, das Interesse an Musik für Blumen ist einfach zu groß. „Green“ soll mit Hilfe des Synthesizers DX7 von Yamaha Stille stiften, wo sonst Lärm ist. Yoshimura wollte den natürlichen Kreislauf stimulieren und ein hyperreales Grün schaffen. Bei YouTube kommt die Platte auf vier Millionen Aufrufe innerhalb von vier Jahren.

Alle diese Platten sind sehr schön. „Musik For Plants“ ist ein Trend, der Gärten und Gärtner gleichermaßen glücklich machen kann. Vielleicht ist ja etwas dran an der These, dass Pflanzen wie Menschen sind.

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