Miterfinder der Bossa Nova Der große João Gilberto ist tot

Rio de Janeiro · Seine Bossa Nova eroberte in den fünfziger und sechziger Jahren die Welt. Er selbst versteckte sich lieber vor seinem Weltruhm.

 João Gilberto bei einem Konzert in der New Yorker Carnegie Hall.

João Gilberto bei einem Konzert in der New Yorker Carnegie Hall.

Foto: dpa/Mary Altaffer

Es wäre viel zu wenig, ihn bloß als Musiker zu bezeichnen. Sein Lebenswerk bestand vielmehr darin, die Schönheit zu suchen. Und als wäre das nicht schon Herausforderung genug, kam bei ihm hinzu, dass er sie tatsächlich gefunden hat. Ende der 1950er Jahre zog sich João Gilberto wochenlang in das Badezimmer im Haus seiner Schwester zurück, weil er die Akustik des Raums so mochte. In Diamantina war das, im Landesinneren Brasiliens, und Gilberto spielte Gitarre, unermüdlich, er forschte nach einem neuen Rhythmus. Irgendwann hatte er ihn, ein Rhythmus ganz ohne Pathos und Drama, ein ganz leichter, zart schwingender Rhythmus. Man konnte dazu gut von Herzweh singen, und das tat er dann auch. „Chega de Saudade“ heißt sein erster Hit, er handelt von der Sehnsucht.

João Gilberto erfand die Bossa Nova, jene neue Welle brasilianischer Musik, die Samba mit Cool Jazz verband und sich an ein junges, urbanes Publikum richtete. Sie war wehmütig und schön, sie kitzelte in den Ohren und drückte ein bisschen aufs Herz. Man hörte sie in Badehose und Bikini, und am besten nach Sonnenuntergang. Zum Welterfolg wurde sie, als Gilberto mit seiner damaligen Frau Astrud, dem Freund und Komponisten Antonio Carlos Jobim und dem Saxophonisten Stan Getz im November 1962 in New Yorks Carnegie Hall auftrat. „The Girl From Ipanema“ wurde zum Hit, und das ist ja vielleicht auch das schönste Lied der Welt. Es wurde ungezählte Male gecovert, ganz fabelhaft zum Beispiel von Frank Sinatra.

An diesem Lied kann man gut erklären, worum es bei der Bossa Nova geht. Sie ist ein Lobgesang auf die Vergeblichkeit und auf das Sehnen als Selbstzweck. Das Sehnen, lehrt uns die Bossa Nova, kann ebenso erfüllend sein wie das Erreichen eines Ziels. Das Glück ist etwas Beiläufiges, es leuchtet im Vorübergehen, man muss es nur erkennen. Der Sound der Bossa Nova hat etwas Diesiges, sie klingt wie in Watte gepackt, es ist, als habe man ein Fenster auf Kipp gestellt und höre die Geräusche des Lebens von der Straße anbranden. Man nimmt teil, ohne mittendrin zu sein. Bossa Nova ist wie Hypnose. Hätte Albert Camus Musik gemacht, sie würde genau so klingen.

Gilberto beugte den Oberkörper weit über den Korpus der Gitarre. Er sang leise und sanft, ein Flüstersprechen war das, und immer wieder hörte man das Wort Saudade in diesem Strömen, das wie ein Ur-Rauschen anmutetet: Sehnsucht bedeutet es. Gilberto wollte den endgültigen Klang, er reduzierte seinen Sound auf das Allernötigste, er war ein Minimalist; die Einfachheit war sein Ideal.

Er lebte einige Jahre in New York, 1979 zog er zurück nach Rio, und um die Jahrtausendwende wurde er zur mythischen Gestalt, zu vergleichen mit Pink-Floyd-Mitbegründer Syd Barrett, dem anderen großen Verschwundenen des Pop. Gilberto trat nur selten auf, er lebe in einem Hotelzimmer, hieß es, tagsüber schlafe er, nachts spiele er Gitarre, sein Essen lasse er sich liefern. Seit 2008 hat ihn niemand mehr gesehen, er sei sehr krank, munkelte man. Die Rede war zudem von einem Rechtsstreit mit seiner Plattenfirma, die seine frühen Alben angeblich nicht gut remastert habe: Sie würden nicht mehr gut klingen, klagte Gilberto – das Schlimmste für ihn, den Perfektionisten. Über einen mächtigen Schuldenberg wurde getuschelt.

Der Journalist Marc Fisher schrieb ein wunderbares Buch über seine vergebliche Suche nach Gilberto, ein Dokumentarfilm fragte „Wo bist Du Joao Gilberto?“, doch auch er fand keine Antwort. Gilberto spielte angeblich weiter und immer weiter, er wollte das perfekte Lied, und man fragte sich, wie das denn wohl klingen möge, es gab doch schon „Chega de saudade“ und „Ho-Ba-La-La“. Er war das Phantom des Wohlklangs, verloren im Streben. Was trieb ihn an? In einem seiner seltenen Interviews lange vor seinem Verschwinden sagte er, er wolle vielleicht einfach nur zurück in die Zeit, als er ein Junge war. Wie gut man das versteht!

Nun ist João Gilberto in Rio gestorben. Er wurde 88 Jahre alt.

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