Interview Mick Jagger: Rockstar und Produzent

Berlin (RP). Auch nach 40 Jahren ist die Faszination für die Rolling Stones ungebrochen. Besonders für Mick Jagger - dem können auch seine 64 Jahre nichts anhaben. Jetzt kommt "Shine A Light" in unsere Kinos, der Konzertfilm von Martin Scorsese, der den unüberhörbaren Auftakt zur diesjährigen Berlinale gab.

 Mick Jagger ist krank.

Mick Jagger ist krank.

Foto: ddp, ddp

Während die Superstars Interviews gaben, ähnelte die zweite Etage des Hotel Regent in Berlin einer Festung: Bodyguards bevölkerten die Gänge, erst nach mehrfachen Kontrollen kam man auch nur in die Nähe von Jagger & Co. Mit einer halben Stunde Verspätung taucht Mick Jagger höchstpersönlich auf: sehr höflich, sehr freundlich - und sehr faltig.

Mick, haben Sie nach einem Konzert eigentlich Muskelkater?
Jagger Nein, überhaupt nicht!

Es ist unfassbar, mitanzuschauen, wie Sie zwei Stunden ununterbrochen hüpfen, zappeln und sich verrenken. Wie lange brauchen Sie, um sich von so einem Kraftakt wieder zu erholen?
Jagger Nun, man will am nächsten Tag nicht unbedingt viel umherlaufen, um ehrlich zu sein, dazu ist man dann doch etwas müde! Aber anstatt abzuhängen, sind wir nach dieser Show am nächsten Tag nach San Francisco geflogen.

Wer hatte eigentlich die Idee, diesen Konzertfilm zu machen?
Jagger Filmproduzent Steve Bing hat mal einen Konzertfilm mit Neil Young gemacht. Er fragte mich mal, ob wir von der "Bigger Bang"-Tour keinen Film drehen wollten. Erst war ich nicht so begeistert -- wir haben ja schon so viele DVDs und Filme gemacht! - dann dachte ich, dass es gigantisch aussehen könnte, das Konzert in Rio mit Millionen Menschen am Strand zu verfilmen. Einer der ersten Regisseure, auf den ich zuging, war Scorsese. Ich kenne ihn ja gut, er hat schon so odft Stones-Songs für seine Filme verwendet. Der lehnte meine Rio-Idee ab, aber sagte dann: "Aber Lust auf einen Konzertfilm hätte ich schon..." Und dann ging's los.

Wie haben Sie denn geschafft, so ein tolles Konzert zu geben, ohne sich der Kameras bewusst zu sein?
Jagger Das lag an Scorseses tollem Team. Es waren 16 Kameras im Einsatz -- aber ich habe auf der Bühne keine einzige gesehen. Wenn man sich dessen bewusst ist, dass man gerade für einen Kinofilm angedreht wird, dann verändert man sein Verhalten sicher und wird "künstlicher". Aber so haben wir uns wirklich nur auf die Show konzentriert und ein echtes Konzert abgegeben. Außerdem war der Saal umwerfend, dieses Beacon-Theater in New York. Man kann genau sehen, was die Band für eine innige Beziehung zu einander hat.

Und wie das Publikum auf Sie reagiert: der Enthusiasmus und die Energie im Saal sind geradezu greifbar. Ist es diese Atmosphäre, nach der man in Ihrem Job süchtig wird?
Jagger Natürlich macht das süchtig! Weil es faszinierend ist, dass das nach all den Jahren noch immer funktioniert! Alle Performer werden bestätigen, dass eine Art Fegefeuer ist, auf der Bühne zu stehen. Aber trotz aller Leidenschaft muss man als Künstler vorsichtig sein.

Dass man sich nicht verausgabt?
Jagger Nein. Dass man nicht übertreibt. Man will es doch nicht wirklich die ganze Zeit tun! Ich meine nur, man muss eben auch mal ein normales Leben führen. Sie wollen doch nicht ernsthaft, dass ich im Restaurant auf dem Tisch steige und singe, nur weil ich ein Performer bin!

Wenn es eine gute Show ist...
Jagger Ich finde, wenn Du mal einen Abend nicht auf der Bühne stehst, musst Du nicht beunruhigt sein. Das ist völlig in Ordnung, auch mal mit Freunden abends essen zu gehen. Es gibt zwar Leute, bei denen das so ist! Eine Menge Schauspieler zum Beispiel. Sie lieben es, acht Tage die Woche auf der Bühne zu stehen, alles andere empfinden sie nicht als lebenswert. Ähnlich ist es bei Comedians, wenn Du mit denen zum Dinner gehst, erzählen sie dir dauernd ihre Witze.

Fürchten Sie den Tag, an dem Sie nicht mehr so fit und fidel sind wie jetzt?
Jagger Aber sicher! Aber zum Glück ist das noch nicht passiert bisher. Wollen wir hoffen, dass uns noch ein paar gute Tage bevorstehen. Warum soll man die Wolken von morgen fürchten, wenn man sich am Sonnenschein von heute erfreuen kann?

Keith Richards behauptet, dass die Rolling Stones immer besser werden. Wie schaffen Sie es, dass sich Ihre Musik auch nach 40 Jahren immer noch frisch anhört?
Jagger Das Publikum hält einen bei der Stange! Wenn man Gefahr läuft, zynisch zu werden oder es anfängt einen zu langweilen... nach dem Motto "Oh Mann, schon wieder eine Show..." Es gibt eben Tage, da ist man irgendwie down. Aber dann geht man da raus - und auf einmal geht es wieder. Man sieht das Publikum, ihre enthusiastische Erwartung und will ihnen das zurückgeben. Das ist der Sinn, ein Performer zu sein.

Sie haben auch schon in Filmen wie "Freejack" oder "The Man from Elysian Fields" mitgespielt. Wie wählen Sie diese Rollen aus -- denn allzu oft sind Sie ja doch nicht auf der Leinwand zu sehen...
Jagger Manchmal werden mir Dinge angeboten, die mir aber nicht gefallen, manchmal habe ich einfach keine Zeit -- denn meistens hab' ich ja mit den "Stones" alle Hände voll zu tun. Manchmal werden mir kleine, schrullige Rollen angeboten. Wenn mir die Idee gefällt und ich mich gut damit fühle, dann mache ich das!

Wo sehen Sie die größten Unterschiede zwischen dem Spiel vor einer Kamera und der Show auf einer Bühne?
Jagger Ach, beides ist ganz klar Performance! Bei diesem Konzertfilm liegt es natürlich nah beieinander, bei einem Spielfilm ist das anders. Aber es gibt viel Ähnlichkeit, denn wir müssen bei einem Konzert auch vieles beachten, was beim Film wichtig ist: Timing, Dramaturgie, Spannung beachten, um eine Stimmung zu schaffen, also es gibt da viele Parallelen.

Sie haben sich aber auch schon als Filmproduzent versucht, z.B. bei "Enigma" oder demnächst bei "The Women" und "Ruby Tuesday". Was für neue Erkenntnisse hat Ihnen diese Arbeit beschert?
Jagger (lacht) Dass der Beruf des Produzenten ganz schön zeitaufwändig ist. Und: einen Film zu produzieren ist ganz ähnlich wie eine Bühnenshow für die "Stones" auf die Beine zu stellen.

Wie verhalten Sie sich als Produzent? Sind Sie dauernd am Set?
Jagger Ja, ich bin oft beim Drehen dabei. Ich muss ja die Schauspieler unterstützen und ermutigen...

Wie bekommen Sie das hin?
Jagger Man muss ihnen Sachen sagen wie "Mein Gott, Du siehst... Du siehst ja umwerfend aus!" Oder: "Das war irrsinnig toll gespielt, wow!!!" Und denkt aber: "Verdammt noch mal, was hat der da bloß zusammengespielt?" (lacht laut) Es ist ganz einfach, man muss nur demonstrieren, dass man hinter den Schauspielern steht. Die meisten Schauspieler sind ja total unsicher! Also erzähle ich ihnen, dass sie ihre Arbeit toll machen, schon werden sie viel selbstsicherer. (wiehert)

Klingt wie ein Kinderspiel.
Jagger Man muss mit allen Beteiligten reden und dafür sorgen, dass sich niemand zu sehr in die Haare kriegt. Es gibt ja immer Zank. Da streitet mal die Kostümabteilung mit dem Regisseur, der Regisseur mit dem Kamerateam - es gibt also immer was zu tun! Dann führe ich sie zum Essen aus und sorge dafür, dass sie genug guten Wein trinken, um ihren Ärger zu vergessen.

Wer hat die schlimmeren Allüren: Schauspieler oder Rockstars?
Jagger (lacht) Ach, in diesem Punkt unterscheiden sie sich nicht groß...

Die Stones sind mittlerweile die weisen alten Männer des Musikgeschäfts geworden. Was ist an dieser Band so großartig, warum ist sie noch immer so populär und längst legendär?
Jagger Es macht einfach riesigen Spaß, wenn wir zusammen spielen! Sonst könnten wir das nicht dauernd machen, wenn wir nicht tief in uns diese Liebe dazu hätten. Und zu den Jungs, mit denen wir spielen.

Sie haben in jedem Fall geschafft, die Berlinale zum Rocken zu bringen!
Jagger Nun, wie Keith Richards sagt: jetzt habt Ihr uns auch noch als talentierte Schauspieler auf'm Hals. Gott schütze uns alle!

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