250 Jahre Ludwig van Beethoven Götterfunken und das unruhige Leben eines Genies

Bonn · Vor 250 Jahren wurde in Bonn Ludwig van Beethoven geboren. Er war ein Himmelsstürmer, der an seinen tönenden Visionen hart arbeiten musste. Sein Leben? Nervenaufreibend und oft einsam.

 Lächelnde Beethoven-Statuen - ein Kunstwerk des  Konzeptkünstlers und Bildhauers Ottmar Hörl, im Mai 2019 auf dem Münsterplatz.

Lächelnde Beethoven-Statuen - ein Kunstwerk des Konzeptkünstlers und Bildhauers Ottmar Hörl, im Mai 2019 auf dem Münsterplatz.

Foto: dpa/Rolf Vennenbernd

Im März des Jahres 1800 konnte Ludwig van Beethoven seine Wiener Etagenwohnung nicht verlassen. Auf dem Plakat für sein nächstes Konzert stand zu lesen, dass man die Eintrittsbilletts beim Komponisten selbst kaufen solle. Ein Genie in bizarrer Mission: Es musste kassieren, Plätze zuweisen, Honneurs machen. Beethoven hasste diese Tage. Sollte er, der Inbegriff des neuen, freien und selbstständigen Künstlers, als Kalfaktor Karriere machen müssen?

Beethoven, so zeigt diese Episode, hatte keine andere Wahl. Zwar sah er zu, dass er seine Werke meistbietend an Verlage und Zuhörer verkaufte, doch in Krisenmomenten musste er den Demütigen geben. Das erstaunt uns angebliche Kenner seiner Biografie: Hatte Beethoven nicht lebenslang Gönner in höchsten Kreisen, standen ihm Türen nicht jederzeit offen, flog ihm die Sympathie des Publikums nicht frontal zu? Nein, keineswegs – und alle modernen Biografien informieren detailreich über das mühsame, labile, aufreibende, mitunter krawallige Leben des Komponisten.

Beethovens Vita ist uns bruchstückhaft präsent: Bonn, wo er im Dezember 1770 zur Welt kam, und Wien, wo er 1827 starb, unruhige Lebensbahnen, häufige Umzüge, aber wachsender Erfolg, schweres Gehörleiden, aufsässiger Charakter, Junggesellentum, Vereinsamung – das sind die wenigen Morsezeichen, die aus der Erinnerung an ein offenbar unvorteilhaftes, spaßfreies, einzig für höhere Zwecke bestimmtes Leben zu uns dringen.

Auch aus seinem Alltag ergibt sich das Psychogramm eines verwirrenden Künstlers. Beethoven war das Gegenteil des Duckmäusers, ein zorniger Rebell, unbeugsam bis zur Sturheit – und diese Haltung brachte ihn mehr als einmal in Schwierigkeiten. Aber er besaß gegenüber seinen Vertragspartnern eine Form von Chuzpe, die sie ahnen ließ, dass dieser Mann den Rang seiner Kunst möglicherweise am besten zu taxieren wusste. Nun, Beethoven schrieb seinem Lehrer Neefe aus Wien einen Brief mit dem gönnerhaft-selbstbewussten Finalsatz: „Werde ich einst ein großer Mann, so haben auch Sie Teil daran.“ Trotzdem musste selbst dieser große Beethoven immer bei Respektabilitäten aus Adel und Kirche katzbuckeln und sich Wohlwollen mit schleimigen Komplimenten erbitten.

Beethoven war nur begrenzt lernfähig. Beispielsweise nahm er keinerlei Notiz von den spieltechnischen Begrenztheiten der Wiener Musiker. Der Musikforscher Jan Caeyers findet dafür das treffende Wort von der „Orchester-Paranoia“, die Beethoven entwickelte. Man konnte es ihm nur schwer recht machen. Andererseits zitiert Caeyers auch jenen Bericht seines Klavierschülers Ferdinand Ries, der sich verwundert über Beethovens Großzügigkeit äußerte, wenn er mal schwer danebengegriffen hatte. Ries schrieb: „Nur wenn ich am Ausdruck oder am Charakter des Stücks etwas mangeln ließ, wurde er aufgebracht, weil, wie er sagte, das Erstere Zufall, das Andere Mangel an Kenntnis, an Gefühl oder an Achtsamkeit sei.“ Gegenüber Ries, einem weiteren Bonner in Wien, war Beethoven alles andere als knickerig: Er gab ihm kostenlos Klavierunterricht und lieh ihm Geld, ohne es zurückzufordern.

Das Management seiner Karriere gelang so gut, weil Beethoven die eigene Begabung schon früh sehr zutreffend als ungewöhnlich einstufte. Allerdings durften keine Fehler unterlaufen. Einmal fiel Beethoven in einer Komposition versehentlich ein Mozart-Zitat auf. Wie zur Selbstgeißelung machte er am Rand des Notenblatts auf das vermeintliche Plagiat aufmerksam: „Diese ganze Stelle ist gestohlen aus der Mozartschen Sinfonie in c.“ In Wirklichkeit unterlag Beethoven einer Selbsttäuschung – es gibt keinen einzigen Takt bei Mozart, der für die Stelle auch nur annähernd als Leihgeber infrage kommt.

Bei Beethoven scheint es angeraten, ihn und seine Kunst gleichzeitig aus der Nähe und aus der Vogelperspektive zu betrachten. So lässt sich die streng gemauerte Dreiteilung der Perioden (frühe, mittlere, späte Phase) aufrechterhalten und zugleich quasi osmotisch durch die Schaffensprozesse hindurchreisen. Dabei helfen uns seine chronologisch sortierten Skizzenbücher, in denen Beethoven jeden musikalischen Geistesblitz, der ihm kam, vor der Vergänglichkeit bewahrte. Die Skizzen zeigen, dass sogar mancher Gedanke aus Bonn noch sehr spät in Wien ankommen konnte. Hermetisch voneinander getrennt waren die Schaffensphasen mitnichten. Allerdings wuchs die Kunst mit der Zeit – durch die zunehmende Komplexität der Strukturen, der Gedanken, des rhythmischen Willens. Einen so tief auf den Meeresgrund führenden, langsamen Satz wie den der „Hammerklavier-Sonate“ hätte Beethoven schwerlich früher schreiben können.

Der Extremist Beethoven arbeitete hart an seinen Visionen. Sie waren Kraftakte, seine Partituren sehen mitunter aus wie nach einem Bombenangriff. Doch tobt da nichts Äußeres, sondern nur ein Selektionsprozess; Beethoven war ein gnadenloser Optimierer, geschult an den Größten seiner Zeit, denn er glaubte, „Mozarts Geist aus Haydns Händen“ empfangen zu haben. Diese Ausgießung von Kompetenz empfing der junge Anarchist Beethoven ebenso aufrecht wie jammernd. Tadeln oder von höheren Mächten regieren ließ er sich ja ungern. Dünnhäutigkeit war in jedem Fall eine Spezialität Beethovens, wie auch sonst, wenn einer von jungen Jahren an über merkliche gesundheitliche Störungen klagen musste – vor allem über seinen Hörverlust, der bis ins Alter wie ein Zersetzungsprozess verlief und den Komponisten vollständig in die Sphäre rein innerer Wahrnehmung trieb. Visionen einzig aus Fantasie und Vorstellung: Ob Beethoven ähnlich radikal komponiert hätte, wäre sein Hörvermögen erhalten geblieben?

Trotzdem gab es für Beethoven neben diesen ästhetischen Erwägungen noch andere Herzenswünsche. Während er nämlich seine utopische Kunst vorantrieb, lastete ein Druck auf ihm: die Sehnsucht nach einem weiblichen Wesen, das ihm Geleit gab, Nähe, Zuflucht, Wärme. Beethoven hatte selbst keine präzisen Vorstellungen, wie die Frau an seiner Seite beschaffen sein sollte; dass sein Temperament schon früh an hübschen jungen Dingern hängen blieb, ist bekannt. Nur, wer war seine (in einem sagenumwobenen Brief anonym adressierte) „unsterbliche Geliebte“?

Die Existenz dieser fast mythischen Frauenfigur versuchten schon mehrtägige Symposien zu ergründen, und nach detektivischen Verwerfungen bleiben zwei Finalistinnen übrig. Derzeit entscheiden viele Fachleute gegen Antonie Brentano und für Josephine Brunsvik, weil zwei Joker für Brunsvik trumpfen: Dauer und Intensität der Zuneigung, und zwar über alle bürgerlichen Schranken hinweg. War sie ihm fern, war sie ihm nah, war sie verheiratet, wies sie ihn ab, waren sie zusammen – gleichviel, zwischen Beethoven und Brunsvik gab es eine lange Konstante, beide waren gewiss jenes idealische Paar, das nur im Geheimen traulich sein durfte.

Irgendwann wurde „Einsamkeit seine treueste Begleiterin“, schreibt der Beethoven-Experte Jan Caeyers. Doch einige Getreue blieben Beethoven gewogen, das Wiener Publikum war ohnedies zuverlässig, und als die 9. Sinfonie d-Moll uraufgeführt wurde, war der Applaus kein laues Lüftchen, sondern eine Gischt. Kaum waren die akute Beifallsbrandung und Beethovens eigene „Endorphinflut“ abgeebbt, trafen jedoch die ersten Rezensionen ein. Einige waren vernichtend, Beethoven kannte das bereits, schon früher hatte er gegen die Kritiker gewettert: „Wie abscheulich, wie niedrig erlaubt man sich so leicht über uns herzufallen.“

Er hatte es wahrlich nicht leicht, der große Ludwig van Beethoven, ewig molestiert von Leuten, Fristen, Umständen und Krankheiten – aber unter diesem Druck sprang seine Fantasie vermutlich erst an. Für manche Komponisten waren Qual und Entsagung die Tinte, mit der es sich besonders leicht aufs Papier schrieb.

Wie hätte er es lernen sollen? In Bonn war Beethoven in einem Haushalt ohne Frauen aufgewachsen, musste er seinen trunksüchtigen Vater Jean van Beethoven ersetzen und schon als Jüngling beträchtliche Verantwortung für die Familie übernehmen. Nie wich er ihr aus; auch in ethischen und moralischen Kategorien war Beethoven früh gefordert. Widerlegt ist allerdings die Legende vom schäbig-teilnahmslosen Vater, dessen liebevolle und – was die Ausbildung des Sohnes betrifft – hellseherische Eigenschaften klar hervortreten. Hingegen war Ludwig im Umgang mit seinem Neffen Karl ziemlich verbohrt, um dessen Erziehung er sich zu kümmern hatte, wie überhaupt der Komponist unfähig schien, in emotional schwierigen Momenten die Contenance zu wahren.

Die humanistische Neigung, Künstlerschaft für die Verbesserung der Verhältnisse einzusetzen, war am heimischen Herd gewachsen; ihr später Ausdruck ist die Neunte. Die politisch-menschliche Energie seiner Musik und seines Denkens war die dynamische Grundlage eines viel größeren Auftrags, einer prometheischen Berufung: Bereiche des Komponierens zu erschließen, in die noch keiner vorgedrungen war, und dort das Feuer zu finden, das den musikalischen Ausdruck von aller irdischen Mühsal reinigt.

Dies ist vielleicht das Resümee seiner Kunst: Sie ist radikal persönlich, empfindsam, leidenschaftlich und künstlerfeindlich. In seinen Sonaten, Sinfonien und Streichquartetten fordert er den Musikern alles ab, die Metronomangaben sind zum Teil absurd schnell, doch alles ergibt Sinn – es ist Kunst an der Grenze zur Utopie. Beethoven befand sich sozusagen auf dem Weg zu einem anderen Planeten, im Gepäck seine Musik für jenes Sternenzelt, das er in seiner 9. Sinfonie besingt.

Beethoven verleitet zum Vokabular des Gigantismus und des Absoluten. Es geht aber auch anders, wie die grandiose Beethoven-Biografie von Lewis Lockwood zeigt. Der lässt es bei Beethoven unheroisch zugehen, wie im Schlusssatz der 6. Sinfonie F-Dur, der „Pastorale“, wenn sich das Gewitter entladen hat. Man könnte hier das Rad der Dialektik drehen und über die „frohen und dankbaren Gefühle nach dem Sturm“ die Formel „Nichts ist jetzt mehr so, wie es zuvor war“ hängen. Lockwood erkennt, dass auch beim Grübler Beethoven die Dinge gelegentlich einfach waren, und benötigt zur Charakterisierung dieses Finales nur einen Satz: „Die Welt ist wieder in Ordnung.“

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