Rocklegende im Alter von 71 Jahren gestorben Lou Reed — mehr als nur ein Musiker

New York · Vor wenigen Wochen, da war es noch Sommer, veröffentlichte Lou Reed einen langen Text auf der Internet-Plattform "The Talkhouse". Er besprach das neue Album des Rappers Kanye West, und der 71-jährige Reed redete sich geradezu in Rage, so gut fand er die "Yeezus" betitelte Platte des halb so alten Kollegen.

Lou Reed - eine Musiklegende ist tot
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Reed hatte gerade eine Lebertransplantation überstanden, und die in ihrer Düsternis und Brutalität unschlagbar konsequenten Songs von Kanye West schienen ihn zu beflügeln. "Majestätisch" nannte er sie und "inspirierend". Diese Musik fordere die aktive Partizipation des Hörers, damit sie ihre Wirkung erreichen könne. Sie sei wie ein Roman aufgebaut, und genau so müsse maßgebliche Musik dargereicht werden.

Man kann den Text als Vermächtnis lesen, denn er beschreibt all das, was auch Lou Reed ausgezeichnet hat. Reed studierte Kreatives Schreiben an der Syracuse University, und der Dichter Delmore Schwartz war sein Lehrer. Reed verehrte ihn, er übernahm von ihm den unbedingten Glauben an die Macht des Wortes. Es hatten die 60er Jahre begonnen. Lou Reed sah zu, wie in New York die klassische Kultur von der Moderne abgelöst wurde, wie Genregrenzen eingerissen und Sparten aufgelöst wurden und die Popkultur entstand.

Warhol wurde zum Paten von Velvet Underground

Man darf nicht den Fehler machen, Lou Reed als Musiker zu bezeichnen — er war viel mehr als das. Als er 1966 mit dem Waliser John Cale die Band Velvet Underground gründete, erhob er den Krach zur Kunstform, was natürlich Andy Warhol als einem der ersten gefiel. Warhol wurde zum Paten von Velvet Underground, seine Factory zu ihrem Hauptquartier, und gestaltete das berühmte Cover mit der Banane für das Debütalbum seiner Schützlinge.

Reed schrieb die Texte, er führte neue Themen in den Rock 'n' Roll ein: In "Venus In Furs" sang er in Anlehnung an Leopold von Sacher-Masoch über Sadomasochismus, in "White Light White Heat" über Heroin. Sein berühmtester Solo-Hit "Walk On The Wild Side" von 1972 handelt von einem Transvestiten, der aus Miami nach New York kommt, sich die Beine rasiert und es krachen lässt. Lou Reed brachte die Nacht in den Rock, die Gosse und die Perversion, und als Songschreiber ist er ebenso einflussreich wie der indes völlig anders geartete Bob Dylan.

Reed stammte aus jüdischem Elternhaus, die Familie Rabinowitz war strenggläubig. Reed wurde früh psychiatrisch behandelt, einmal mit Elektroschocks, und ein Beispiel für den galligen Humor Reeds ist der Kommentar, den er bei Veröffentlichung des 75er-Albums "Metal Machine Music" abgab: Es sei seine Rache für die Misshandlungen damals. Die Platte enthielt viel lange Instrumentalstücke mit infernalischen Gitarrenfeedbacks.

Sein Gesang war eher ein Sprechen

Reed schrieb wunderbare Lieder wie das unsterbliche "Perfect Day", aber er war nicht an Hits interessiert, sondern eher am Dornigen, am Fordernden, an Performance. Das verband ihn mit seiner Ehefrau Laurie Anderson. Das ließ ihn auch einige arg schwierige Alben veröffentlichen wie zuletzt "Lulu" mit den Kollegen von Metallica.

Aber Reed verlor nie die Liebe zu den Worten. Er vertonte und bebilderte gemeinsam mit Robert Wilson Texte von Poe und H.G. Wells. Und sein Gesang war ja eher ein Sprechen. Er schien vor dem Singen zurückzuschrecken, vielleicht aus Respekt vor den Worten, aus Ehrfurcht. Man höre sich noch einmal "Coney Island, Baby" aus dem Jahr 1976 an, Einen seiner besten Songs: Da lutscht er die Wörter, jedes lässt er zu seinem Recht kommen, er klaubt sie sich von den Lippen und reiht sie vor sich auf, um sie zärtlich zu betrachten.

Lou Reed hat die zeitgenössische Kultur miterfunden. Am Sonntag ist er gestorben. Und nicht nur New York ist traurig.

(hol)
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