Eröffnung der Konzertreihe Kraftwerk — die Heimkehr

Düsseldorf · Mehr als 40 Jahre nach ihrer Gründung kehrt die Musikgruppe zurück nach Düsseldorf. Die Eröffnung ihrer Konzertreihe in der Kunstsammlung NRW geriet triumphal.

Bilder vom Kraftwerk-Auftritt in Düsseldorf
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Foto: dpa, Oliver Berg

Das geht nun jeden Tag so, das Schlangestehen vor der Kunstsammlung NRW, die Begegnungen im Foyer und die irren Geschichten, die man dort erfährt. Ein Mann aus dem niedersächsischen Dinklage muss neidischen Fankollegen berichten, wie er an Karten für alle zehn Konzerte der Gruppe Kraftwerk in dem Düsseldorfer Museum gekommen ist. Nun fährt er allabendlich 250 Kilometer hin und 250 Kilometer zurück. Fotokünstler Andreas Gursky steht in der Nähe von Tote-Hosen-Manager Jochen Hülder. Ein Paar hat seinen fünfjährigen Sohn dabei, er trägt den klobigen Gehörschutz von Arbeitern auf einer Baustelle, und die Eltern sagen, dass sie dem Jungen unbedingt diesen phänomenalen Einstieg in die musikalische Biografie bieten wollten. Der Kunst-Sammler Christian Boros umarmt jeden, und mittendrin stehen eine Handvoll Belgier, die sich rote Hemden und schwarze Krawatten angezogen haben — ganz, wie es das Cover der LP "Mensch-Maschine" vorgibt. Alle wirken leicht aufgekratzt, ein Hauch von Stonehenge kurz vor der Sommersonnenwende. Hier passiert Magisches.

Kraftwerk ist die einflussreichste Musikgruppe aus Deutschland, und am zweiten Januar-Wochenende 2013 kehrt sie in ihre Heimatstadt zurück: Es wird ein Triumphzug. Plattenläden haben die berühmten Albenhüllen ins Schaufenster gestellt, ein wissenschaftlicher Kongress findet zu Ehren der Raumflugpioniere des Pop statt, und in den vergangenen Wochen hörte man an jedem Tag in jeder Kneipe wenigstens einmal diesen Satz: "Und, hast du Karten?" Die Musiker um das letzte verbliebene Gründungsmitglied Ralf Hütter wollen an jedem der folgenden Tage ein anderes ihrer acht maßgeblichen Alben aufführen.

Eröffnung mit "Autobahn"

Und sie eröffnen den Reigen mit "Autobahn" von 1974. Sie bringen den Titeltrack und die vier Stücke von Seite 2 in stark verkürzten Versionen, sie pointieren die alten Kompositionen, und sie illustrieren sie mit 3D-Projektionen, die hinter den stoisch an Keyboards stehenden Musikern über eine mächtige Leinwand laufen. Das Publikum schaut sich das durch Spezialbrillen an, die am Eingang verteilt wurden. Die Szenerie hat etwas von verstaubter Science Fiction, und als Kraftwerk zu "Kometenmelodie" eine Notenlinien-Milchstraße durch ein stilisiertes Weltall führt, gibt es Szenenapplaus. Später werden sich einige wegducken, weil die Antenne des Satelliten in "Spacelab" die Zuschauer aufzuspießen droht.

Überhaupt die Atmosphäre. Düsseldorf umarmt die Gruppe geradezu, jedes Lied wird noch in den ersten Takten beklatscht, da bricht sich etwas Bahn, so viel Emotion kennt man sonst nicht aus Kraftwerk-Konzerten, die im Allgemeinen als Coolness-Events gelten. Vielleicht liegt es auch daran, dass Hütter und Co. das Programm bereits in New York aufführten und im Februar damit nach London gehen - das sind Städte, mit denen sich Düsseldorf gern als Drilling sieht. Das Gros der Zuschauer ist deutlich über 40 an diesem Abend, viele werden nachträglich befriedigt darüber gewesen sein, mit welch stilbildender Musik sie aufwachsen durften.

Der Einstieg in die elektronische Musik

Früher empfahlen die Eltern ihren Gymnasiasten-Kindern, sie mögen doch Latein lernen, dann sei es leichter, sich andere Sprachen anzueignen. Ähnlich läuft es hier, wer schon früh Kraftwerk begegnete, wird sich in anderen elektronischen Musiken rasch heimisch fühlen: "Trans Europa Express" und sein Appendix "Metall auf Metall" etwa bereiteten Techno vor, da stimmt jeder Ton, man kann das nicht mehr verbessern, remixen oder umarbeiten, und wer die Zahlen erkennt, die zu "Nummern" über die Leinwand rasseln, darf dem Quellcode der musikalischen Zukunft beim Tanzen zusehen.

Diese Zukunft ist längst Gegenwart, dennoch klingt das alles nicht veraltet. Kraftwerk bringt nach den Stücken des "Autobahn"-Albums ein Best-of-Programm, dessen Titel in sachte modernisierten Versionen dargereicht werden. Der Jingle zur Expo 2000 kommt im brettharten Remix des Detroiter Technokollektivs Underground Resistance, "Radioaktivität" erhält ein auf Japanisch gesungenes Intro, und neben Tschernobyl, Sellafield und Harrisburg wird neuerdings auch Fukushima genannt.

Man hat das Gefühl, das Mensch-Maschine-Konzept werde an diesem Abend nicht gar so streng ausgelegt, womöglich hat einem der akademische Kongress auch nur die Sinne geschärft für die humoristischen Aspekte von Kraftwerk. Es ist lustig, dass sich Ralf Hütter mit 66 Jahren in einen Einteiler mit floureszierenden Rallyestreifen zwängt und darin wie Paul Maars Kinderbuchfigur Sams aussieht. Dass die Teilnehmer des Kongresses durch Notausgänge herausgeschleust werden mussten, weil die Kraftwerker bereits im Foyer standen und um ihre Anonymität fürchteten. Dass die 3D-Projektionen zutiefst nostalgisch wirken. Und dass Roboter offenbar von elektronischen Schafen träumen — zumindest, wenn sie aus dem Rheinland stammen: Kraftwerk lässt die wehmütigen Leuchtreklamen von "Klosterfrau", "Hotel Cristallo" und "4711" auf die Leinwand projiziert.

Die Spezialanlage zelebriert Surroundsound

Wer in der Mitte des Konzertsaales steht, erlebt den unbedingt zeitgemäßen Surroundsound einer Spezialanlage. Einzelne Töne wandern von der Bühne an den Wänden ins Auditorium und wieder zurück. Den Höhepunkt indes spart sich Kraftwerk bis zum Schluss auf, da wird einem schlagartig bewusst, was die Leistung dieser Künstlergemeinschaft ist und warum das Museum der Gegenwart der exakt passende Ort für ihr Werk ist. Es läuft "Musique Non Stop" von 1986, eine der letzten "neuen" Kompositionen von Kraftwerk. Nacheinander verlassen die Musiker ihre Positionen und gehen ab. Schließlich steht nur mehr Ralf Hütter da. Dann sagt er "Guten Abend" und verschwindet. Die Musik läuft minutenlang weiter. Die Ingenieure haben das Mobile angestoßen, nun bleibt es in Bewegung, es braucht seine Schöpfer nicht mehr. "Es wird ewig weitergehen", lautet eine Zeile in "Musique Non Stop", und es dürfte einem in 50 Jahren egal sein, wer die Programmierer dieser Sounds waren — so, wie es dem Betrachter einer Arbeit von Jackson Pollock heute gleichgültig sein kann, wer Jackson Pollock war. Es gilt die Hervorbringung an sich. Und die macht weiter staunen.

Kraftwerk übergibt sein Werk an diesem Abend endgültig der Zeitlosigkeit. Große Kunst. Willkommen daheim.

(RP/felt/sap/rm)
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