„Donda“ ist erschienen Das Phantom-Album des Kanye West

Mehr als ein Jahr nach der ersten Ankündigung veröffentlicht Kanye West sein neues Album. „Donda“ ist ein düsteres, völlig überreiztes und dennoch faszinierendes Werk von zwei Stunden Länge.

 Donda ist der Name seiner Mutter: Kanye West, 44.

Donda ist der Name seiner Mutter: Kanye West, 44.

Foto: dpa/Evan Agostini

Nun ist „Donda“ also wirklich erschienen, und der Verdacht liege nahe, dass das vielleicht sogar die größte Sensation sein könnte. Größer womöglich als die Musik selbst.

In einer Zeit, in der es darum geht, ein Album mit möglichst viel Öffentlichkeit zu inszenieren und es irgendwie hinzubekommen, die Aufmerksamkeit hoch zu halten, hat Kanye West (der nur noch Ye heißen möchte) definitiv einen Hit gelandet. Im Mai 2020 kündigte er das Album erstmals an, es sollte damals „God’s Country“ heißen und bald erscheinen. Im Juli desselben Jahres ließ er verlauten, es werde nun doch „Donda“ heißen, wie seine 2007 verstorbene Mutter. Am Ende des Monats sei es soweit. Es kam aber nicht, und es verging ein Jahr, ohne dass jemand etwas davon hörte.

Am 22. Juli diesen Jahres veranstaltete er dann eine Pre-Listening-Show in Atlanta, bei der Stücke aus „Donda“ gespielt wurden, die unfertig klangen, zu laut abspielt wurden und von einem in der Mitte des Stadions in einer Art roter Rettungsweste hockenden Kanye West abgenommen wurden. Tage später dasselbe noch einmal, nun präsentierte West die Musik in einer schwarzen schusssicheren West mit der Aufschrift „Donda“. Das Kleidungsstück wurde später für 20.000 Dollar zum Kauf angeboten. Kanye West lebte nun sogar im Stadion, um die Platte sofort fertig zu stellen, wie es hieß. Webcam-Aufnahmen aus seinem spartanischen Zimmer dort kursierten im Web. Die Veröffentlichung wurde auf den 6. August terminiert, dann auf den 15. August und schließlich den 22. August. Zu hören bekam man: nichts.

Statt dessen gab es eine weitere Pre-Listening-Show für das Phantom-Album in Chicago. Zwölf Millionen Euro sollen West die Ticket-Verkäufe für diese Shows eingebracht haben. In Chicago kam der des Missbrauchs und häuslicher Gewalt beschuldigte Marilyn Manson auf die Bühne. Am Album, so hieß es, habe auch der Rapper DaBaby mitgearbeitet, dem homophone Ausfälle vorgeworfen wurden. Am Sonntag stand das Album dann endlich bei Apple Music zum Download: 27 Stücke, zwei Stunden Spielzeit. Noch am Abend beschwerte sich Kanye West, die Plattenfirma habe es ohne seine Erlaubnis herausgebracht.

Dass man den Zinnober überhaupt mitmacht, dass die Stadien dennoch voll werden und die Aufmerksamkeit nicht erlischt, liegt neben dem Celebrity-Faktor und der Gewissheit, dass er sicher wieder eine irre Show bieten wird, auch an der Möglichkeit, etwas Großes zu erleben. Kanye West ist ein Genie des Pop, von ihm erwarten manche den entscheidenden Hinweis auf die Richtung, in der das Neue zu finden ist. Auch wenn das immer schwieriger zu erkennen ist.

Man darf nun nicht den Fehler machen, die neue Veröffentlichung von Kanye West tatsächlich als Album im klassischen Sinne zu hören. „Donda“ ist Konzeptkunst. Während herkömmliche Pop-Alben kuratiert, x-fach geschliffen, poliert und in Form, Titelfolge und Dramaturgie zugespitzt sind, ist „Donda“ ein dorniger, konfuser und windgepeitschter Rundgang im Kopf seines Urhebers in Echtzeit.

Es geht ausschließlich um Kanye West in diesen Liedern. Um sein Verhältnis zu Jesus, dem er auf Augenhöhe begegnet. Um seine Trennung von Kim Kardashian. Um sein Genie, seine Dämonen. Es beginnt mit dem über eine Minute hinweg dutzendfach gesprochenen Namen seiner Mutter. Das ist eine intensive, nervöse, und überreizte Platte, die wirkt, als wollte sie ganz bewusst work in progress sein: nicht abgeschlossen, sondern im Fluss. Tatsächlich wurde die Titelliste nach Veröffentlichung noch einmal ergänzt um „Jail II“, das einen Gastauftritt von DaBaby beinhaltet.

Jay-Z macht auch mit, zudem The Weeknd, Ariana Grande und viele andere. Aber alle dürfen nur einzelne Verse beisteuern, Kanye duldet niemanden neben sich. Wahrscheinlich kann er sich auch gar nicht mehr so lange auf eine einzelne Person konzentrieren. Die Platte ist düster, es gibt großartige Ideen, die aber zumeist Skizzen bleiben. Es gibt überragende Auftritte wie das neun Minuten lange „Jesus Lord“. Hitpotenzial haben lediglich „Hurricane“ und „Believe What I Say“, die an frühere Werkphasen Kanye Wests erinnern. Er gospelt, rappt, singt zum Piano, über Trap-Breats und Synthie-Flächen.

„Donda“ ist im Grunde ein Werk der Bildenden Kunst. Eine Installation, zu der Vorgeschichte und Präsentation ebenso gehören wie die Lieder an sich. Was man hier geboten bekommt, ist das Prinzip des Too Much, die Überforderung, das totale Ego. Kanye West ist der Porträtmaler des HipHop. Dass er nur noch Selbstporträts schafft und in seinen Werken dennoch zunehmend verschwimmt, ist gewollt. Es macht die Sache umso spannender.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort