Porträt Johannes Oerding - smartes Energiebündel

Hamburg · Johannes Oerding (32) ging vom Niederrhein nach Hamburg, um als Musiker durchzustarten. Anfang 2015 erscheint sein viertes Album. Udo Lindenberg attestiert dem Lebensgefährten von Ina Müller "eine Kehle aus Gold".

Porträt: Johannes Oerding - smartes Energiebündel
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Die Haare sind nass vom Schweiß. Das Gesicht ist etwas ausgezehrt, aber trotzdem voller Energie. Die Kleidung dreckig. Johannes Oerding hat die Augen geschlossen — und singt. So wie er das in diesen Momenten immer macht.

Alle hören ihm zu und freuen sich über das private Konzert. Seine Bühne ist die Kabine von Arminia Kapellen-Hamb, seine Fans sind seine Mitspieler. Nach den Partien und nach dem Training des Fußball-Kreisligisten aus dem Gelderland läuft der Lockenkopf noch einmal zur Höchstform auf, wenn alle anderen geschlaucht sind. Er kann nicht anders. So ist er.

Diese kleinen, spontanen Konzerte liegen mehr als zehn Jahre zurück. Inzwischen hat sich Oerding, 32, von einem Dorf- und Hobbymusiker in der deutschsprachigen Musikszene zu einem renommierten Sänger gewandelt. Anfang 2015 bringt er sein viertes Album raus. Speziell in seiner Wahlheimat Hamburg und am Niederrhein ist er sehr populär. Doch bis zum Erfolg war es ein langer Weg.

Oerding ist in Münster geboren und in Geldern-Kapellen am Niederrhein in einer Großfamilie mit zwei Brüdern und zwei Schwestern aufgewachsen. Schon in den Urlauben und im Pfadfinderlager singt der Musiker — mit seiner Familie, mit Kindern, alleine. "Ich war mir schon immer sicher, dass ich auf der Bühne stehen möchte", sagt er. Er spricht von einem "Kindheitstraum".

1999 spielt er mit seiner Schülerband "Groovekeller" auf einem Stadtfest und wird entdeckt. Mit 17 singt er in einem Hamburger Studio. "Damit fing das Elend an", sagt er lachend. Oerding fährt zunächst zweigleisig, studiert nach dem Abitur in Düsseldorf und in den Niederlanden BWL, pendelt nach Hamburg und sammelt Erfahrung bei vielen kleinen Auftritten. Er schließt das Studium zwar ab, aber es ist zweitrangig. Oerding ist Musiker, nichts anderes. Aber er braucht Geduld. Erst 2007 findet er das passende Label, 2009 kommt sein erstes Album "Erste Wahl" auf den Markt. Seine Tournee ist ausverkauft. Es ist wie ein Startschuss.

Beim Eurovision Song Contest sitzt er 2010 in der deutschen Jury. Es folgen viele Auftritte sowie zwei weitere Alben. "Boxer" schafft es bis auf Platz elf der deutschen Album-Charts. "Für immer ab jetzt" landet sogar auf Rang vier und gibt der Bekanntheit des charismatischen Künstlers einen Schub. Mit seiner Single "Nichts geht mehr" verpasst Oerding beim Bundesvision Song Contest nur ganz knapp den Titel. "Man braucht viel Fleiß und muss ein Gespür dafür haben, welchen Weg man einschlagen muss", sagt der Musiker. 50 Prozent des Erfolgs seien Glück, die anderen 50 Prozent müsse man mit harter Arbeit erzwingen.

Oerding macht Pop-Musik. Häufig verwendet er auch Elemente von Soul und Rock'n'Roll. Er singt über Gefühle, Sehnsucht, Liebe, über Ehrgeiz, das Leben und Fehler, manchmal aber auch über Banalitäten wie eine Flasche Bier. Seine Songs sind autobiografisch. "Eine kostenlose Therapiestunde", wie er sagt. Er singt Gute-Laune-Lieder wie "Morgen" oder "Erste Wahl", gibt sich wie bei "Einfach nur weg" aber auch nachdenklich. Seine Stimme ist sanft, leicht rauchig. Altrocker Udo Lindenberg attestierte Oerding eine "Kehle aus Gold". "Das ist ein großes Kompliment und für mich ein Ritterschlag", sagt der Gelobte.

Der Wahl-Hamburger ist nicht der klassische Singer-Songwriter wie ein Philipp Poisel. Für ihn gibt es mehr als nur seine Gitarre und seine Stimme. Oerding ist gemacht für die Bühne. Er ist süchtig nach dem Klatschen und Jubeln von Zuschauern, nach dem Adrenalin. Er ist auch ein bisschen ein Klassenclown, hat immer einen lustigen Spruch auf den Lippen, bringt einen zum Schmunzeln. Er ist extrovertiert, er möchte entertainen. Er springt auf der Bühne, hüpft, rennt, animiert. "Für mich zählt, die Leute mit handgemachter Musik zu begeistern", sagt er. Oerding ist ein Energiebündel. Selbst Balladen wie "So tun als ob", "Engel" und "Nichts geht mehr" haben mitreißende Passagen. Er singt dann höher und mit mehr Power. So kommen seine Stimme und seine Energie besonders zur Geltung.

Im Vorprogramm von Ich + Ich, Joe Cocker und Simply Red sowie als Gast der Scorpions stand er bereits in großen Hallen und Arenen auf der Bühne. Sein Traum sei es, irgendwann selbst einmal eine der großen Arenen zu füllen und vor 50 000 Zuschauern zu spielen.

Seit 2009 ist er mit der Sängerin und Moderatorin Ina Müller (49) liiert. Sie ist seine engste Vertraute. Beide komponieren mitunter auch gemeinsam. Unbewusst stecke viel von ihr in seinen Liedern, sagt Oerding. Kritikern, die ihn lediglich auf seine prominente Partnerin reduzieren, entgegnet er: "Ich habe schon abseits unserer Beziehung häufig genug gezeigt, was ich kann." Ein gemeinsames Album ist vorerst nicht geplant. "Wir machen beide unser eigenes Ding." Gemeinsame Auftritte hatten sie jedoch bereits.

Auf seinem neuen Album "Alles brennt" werde er noch mehr Geschichten erzählen als auf den Vorgängeralben, sagt er. Moderne Beats treffen dabei auf ein Orchester und Streicher. Im März startet dann seine Deutschlandtour. "Ich habe mich seit dem vergangenen Album weiterentwickelt", meint Oerding.

Er ist reifer geworden. Aber erwachsen ist er noch nicht. Er wird es vielleicht auch nie werden. Er ist immer noch der smarte Typ, der einst nach dem Fußball in der Kabine und unter der Dusche für seine Mitspieler gesungen hat. Nur seine Bühnen sind jetzt andere.

(rm)
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