Interview mit Jan Delay "Mein Kind soll im Dreck spielen"

Düsseldorf · Jan Delay startete mit den "Beginnern" und setzte sich später als Solokünstler durch. Vor kurzem ist der 37-Jährige Vater geworden. Der Hamburger Musiker spricht über seine Kindheit, seine Tochter, seine Inspiration und sein Leben während einer Tournee.

Jan Delay - Absolute Beginner-Sänger und Echo-Gewinner
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Das ist Jan Delay

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Foto: dpa, cAS bsc kde

Ihre Mutter ist Kunst-Professorin, Ihr Vater Saxophonist. Was haben Sie als Kind mit Ihren Eltern gehört?

Jan Delay: Ich habe Eltern mit einem, besonders für die damalige Zeit, coolen Musikgeschmack und einer großen Plattensammlung. Vor allem aber habe ich das große Glück gehabt, dass meine Mama und mein Papa gesagt haben, du darfst da drangehen. Im Alter von vier oder fünf Jahren konnte ich damit umgehen. Dann habe ich mir immer meine eigenen Sachen aufgelegt. Meine Eltern haben mich immer unterstützt, damit ich meinen eigenen Geschmack herausfinde.

Und was waren Ihre Lieblinge?

Delay: Meine Lieblingsplatten waren die Dexys Midnight Runners, die Talking Heads, lustigerweise auch "Road to Ruin" von den Ramones. Ich weiß gar nicht, wie die Platte bei meinen Eltern in den Schrank gekommen ist. (lacht) Ich mochte auch die erste Platte von Nina Hagen und viel Soul. Es musste immer knallen und fetzen. Und irgendwann ist man so weit, dass man Taschengeld spart und sich selbst eine eigene Platte kauft. Meine erste selbst gekaufte Platte war von Udo Lindenberg "Sündenknall". Meine Eltern und ich haben viel zusammen gehört, vor allem im Auto. Und ich durfte immer DJ sein, das fand ich super.

Fanden Ihre Eltern das auch super, oder hat sie das gestört?

Delay: Nein, im Gegenteil. Sie haben mich darin extrem unterstützt, dass ich selbst der DJ bin und die Musik aussuchen darf. Auch später — als ich selbst Fan wurde, viel Popmusik gehört habe und Madonna für mich entdeckt habe — haben meine Eltern das nicht verflucht. Da durfte ich dann im Auto Madonna auflegen.

Haben Sie mit Ihren Eltern auch zusammen Musik gemacht?

Delay: Ja, sehr viel sogar. Mein Vater ist ja Saxophonist, damals war es noch mehr als heute. Wenn er mit befreundeten Musikern draußen gespielt hat, durfte ich dann mitmachen an den Percussions.

War Ihr Talent als Kind bereits erkennbar?

Delay: Das hat mein Vater damals schon gecheckt und gesagt: "Der Junge hat so ein Rhythmusgefühl, der muss Schlagzeug- oder Percussionsunterricht bekommen." Zu Klavierunterricht hat er mich von Anfang an verdonnert. Aber das hat mir einfach nicht gefallen, es war nicht mein Ding. Ich hatte sechs Jahre Klavierunterricht von sechs bis zwölf Jahren, aber ich kann nichts mehr davon, weil es mich einfach nicht interessiert hat. Ich habe auch selten geübt. Jetzt verfluche ich mich natürlich selbst dafür. Mein Vater hat damals auch immer gesagt: "Du wirst es mir danken." Und jetzt weiß ich, er hatte recht. Aber jetzt ist es zu spät. (lacht)

Wie war das mit Büchern bei Ihnen zu Hause? Welche Bücher standen im Regal?

Delay: Als Kind mochte ich die Klassiker, Tom Sawyer und Huckleberry Finn, Karlsson vom Dach, die gängigen Dinger halt. Oliver Twist fand ich auch sehr gut, aber schon ziemlich brutal für ein kleines Kind.

Was war Ihren Eltern bei der Erziehung wichtig?

Delay: Gerade weil ich Anfang des Jahres Vater geworden bin, merke ich, worum es auch mir geht. Mir ist wichtig, und so war es bei ihnen auch, mein Kind zu unterstützen. Es soll das machen können, worauf es Bock hat. Und wenn man dann merkt, mein Kind hat einen anderen Musikgeschmack als ich, dann ist das gut. Es soll seinen eigenen individuellen Geschmack entfalten und seinen eigenen Weg. Dabei muss es alle Unterstützung und Liebe bekommen. Und ich finde, dass es nicht nur nach der Masse schreien sollte.

Sie versuchen also, Ihre Tochter so zu erziehen, wie Ihre Eltern Sie erzogen haben?

Delay: Ja, auf jeden Fall. Ich werde das ähnlich machen wie meine Mutter und mein Vater.

Wie sieht Ihre Erziehung dann konkret aus?

Delay: Meine Mutter hat mich zu einer krass selbstständigen Person erzogen, das hat sie von meiner Oma. Es geht einfach darum, dass das Kind so früh wie möglich fähig ist, alleine zu sein, ohne Mist zu bauen. Und das schon lange, bevor man zu Hause auszieht. Das ist eine tolle Sache. Ich wurde mit 18 liebevoll zu Hause rausgeschmissen. Das fördert extrem dein Selbstbild, deine Selbstsicherheit und alle deine Automatismen, dein Leben alleine in den Griff zu bekommen.

Inwiefern hat sich Ihr Leben seit der Geburt Ihrer Tochter verändert?

Delay: Es ist jetzt nicht dieses Ding, dass jetzt alles komplett anders ist. Für meine Freundin ist das natürlich ein bisschen mehr als für mich, ich bin ja viel unterwegs. Ich kann meinen Job noch immer so machen wie früher, weil meine Freundin 24 Stunden bei der Kleinen ist. Es ist etwas ganz Tolles dazugekommen, was manchmal auch echt anstrengend ist, gerade für meine Freundin. Es hat so viele tolle Aspekte. Es ist cool, dass ein Kind das Leben auf den Kopf stellt. Aber es darf nicht die eigene Person umkrempeln.

Sind Sie durch Ihre Tochter spießiger geworden?

Delay: Es kommt stark darauf an, wie man spießig definiert. Ich habe mit 14 ganz andere Sachen spießig gefunden als jetzt mit fast 38. Ich weiß jetzt einfach, dass manche Dinge nicht spießig sind, sondern notwendig. Ich habe übrigens keine zwei Zahnbürsten, das finde ich nämlich immer noch spießig. (lacht)

Und spießig im Sinne von Verzicht, weil jetzt einfach andere Dinge Priorität haben?

Delay: Das ist definitiv so. Du kannst kein Kind bekommen und denken, alles läuft komplett wie immer. Man kann das alles arrangieren, aber ein Kind bedeutet Verzicht. Da ist ohne Verzicht nichts zu machen.

Sie haben mal gesagt, dass Sie Angst haben, dass alle Kinder Weicheier werden. Wie versuchen Sieeine solche Entwicklung bei Ihrer Tochter zu verhindern?

Delay: Mir ist einfach aufgefallen, dass alle Kinder zur Schule und zum Sport gefahren und wieder abgeholt werden. Sie dürfen gar nicht mehr alleine auf die Straße gehen. Meine Generation ist früher auf die Straße gegangen und hat sich die Knie blutig geschlagen, ist von Bäumen runtergefallen. Und wir wurden von der Polizei nach Hause gebracht. Man muss doch einfach auf die Schnauze fallen, um zu lernen, dass das weh tut und wie das Leben ist. Meine Tochter soll so aufwachsen wie ich, sie soll im Dreck spielen und ihre Erfahrungen machen.

Wie würden Sie reagieren, wenn Ihre Tochter Rockstar werden würde?

Delay: Das würde mich nur stören, wenn sie kein Talent hätte. Wenn sie das aber machen möchte und das nötige Talent hat, soll sie das ruhig machen.

Sie leihen Willi im neuen Biene-Maja-Kinofilm ihre Stimme. Schauen Sie sich den Film zusammen mit Ihrer Tochter an?

Delay: Ja, darauf freue ich mich. Ich freue mich auch aber auch auf andere Filme wie Rabe Socke.

Singen Sie für Ihre Tochter?

Delay: Ja, immer. Ich freestyle für sie.

Über das, was Ihnen gerade in den Sinn kommt?

Delay: Bei ihr rappe ich keine ganze Strophe. Ich singe freestyle mit ihr, irgendwelche Melodien. Sie findet das schön, sie liebt, wenn man für sie singt.

Inspiriert sie Sie zu neuen Texten?

Delay: Nein, die Texte, die ich ihr vorsinge sind zu simpel dafür. (lacht) Es geht zu oft um Windeln und Mäuse.

Was inspiriert Sie denn?

Delay: Das ist ganz unterschiedlich. Pro Platte gibt es zwei drei Themen, die mir wichtig sind. Da sammel ich dann über die Jahre, wenn mir ein guter Reim einfällt. Wenn ich dann die Musik dazu habe, texte ich richtig. Manchmal ist es aber auch so, dass ich neue Musik habe, und dann fliegt mir nicht nur eine Melodie zu, sondern auch eine Zeile. Das ist meist der Anfang für eine Strophe oder eine Zeile.

Haben Sie da besondere Rituale?

Delay: Ich muss alleine sein und komplett meine Ruhe haben. Und ich habe mein Rhyme Book dabei. Ich kann einfach nicht an einem Computer schreiben. Ich brauche mein Buch, in dem ich gedankenverloren herumkritzeln kann. Dann sitze ich am liebsten alleine in der Sonne und schreibe.

Sie haben Ihr Buch also immer dabei?

Delay: Ja, immer. Die Bücher stapeln sich im Schrank. Alle drei, vier Jahre kommt ein neues dazu.

Könnten Sie sich vorstellen, dass die Musik außen vor bleibt und Sie ein Buch veröffentlichen?

Delay: Eigentlich schon. Ich habe noch so viele Texte, zu der es keine Musik gibt. Ich glaube aber, das würde niemanden interessieren.

Sind Sie sicher?

Delay: Ja, mich würde es jedenfalls nicht interessierten, ein Lyrikband von meinen Lieblingsrappern zu lesen. Ich muss die Beats hören. Nur Gelesenes flasht mich nicht. Außerdem muss man beim Lesen auch selbst etwas tun. (lacht) Das ist ja bei der Musik das Tolle, man wird entertaint.

Gerade hat Ihre viermonatige Tour begonnen. Wie halten Sie vier Monate konditionell durch?

Delay: Indem du enthaltsam bist, Sport treibst, dich gut aufwärmst und vor allem viel alkoholfreie Flüssigkeit zu dir nimmst. Auf Tour ist nichts so wichtig wie gute Ernährung. Wir haben auch einen eigenen Koch dabei. Eine gute Küche ist das A und O. Und wenn wir auf Tour sind, können wir nicht groß feiern oder trinken, nur wenn am nächsten Tag frei ist.

Was unternehmen Sie, um nach einem Auftritt wieder runterzukommen?

Delay: Man kann da nicht auf einen Knopf drücken und abschalten. Ich kann auch nicht direkt aus meinen Klamotten raus. Ich sitze mit meiner Band zusammen, dann reden wir über den Auftritt, was gut war, was wir noch ändern können. Das schreibe ich mir auf. Danach gehe ich essen.

Funktioniert man während einer Tour nur noch?

Delay: Funktionieren hört sich so negativ an. Wir haben ja wirklich Spaß dabei. Wir funktionieren gerne zusammen. (lacht)

(RP)
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