Böller in der Klassik Unter Donner und Blitz

Düsseldorf · In der klassischen Musik wird Lautstärke meistens sehr dosiert eingesetzt. Ausnahmen bei Verdi oder Tschaikowski bleiben allerdings unvergesslich.

 Gustav Mahlers „Symphonie der Tausend“ im Jahr 2010 in der Kraftzentrale des Landschaftsparks Duisburg.

Gustav Mahlers „Symphonie der Tausend“ im Jahr 2010 in der Kraftzentrale des Landschaftsparks Duisburg.

Foto: Manfred Vollmer / Ruhr.2010

Händel liebte es nicht, vor edlen Häuptern strammzustehen. Da konnte sogar der britische König Georg II. kommen, Händel hatte seine Prinzipien, und Streicher sollten dabei sein. Das wiederum missfiel dem König: Nein, nur Militärinstrumente! Händel fand die Lösung. Für seine „Feuerwerksmusik“ von 1749 schrieb er eine Fassung mit Streichern, die indes bei der Premiere ohne Schaden wegfallen konnten. Laut genug war es sowieso. Später waren sie immer dabei.

„Du sollst nicht lärmen!“, so formulierte der empfindliche Satiriker Robert Gernhardt einmal sein elftes Gebot. Nun, Krach um des Krachs willen hat es bei den Klassikern selten gegeben. Trotzdem mochten sie es gern laut, nicht nur zu Silvester. Monteverdi böllerte am Beginn seines „Orfeo“ ordentlich herum, hier wurde schließlich Musikgeschichte geschrieben – es war 1607 die erste richtige Oper. Und Orpheus sollte ein Entrée erster Klasse bekommen.

Ja, es gibt schon eine Menge tolle Lautstärke in der sogenannten E-Musik, auch ohne Verstärkerboxen. Bach riss in der „Matthäus-Passion“ den Abgrund auf und stürzte wütende Chorscharen hinein: „Sind Blitze und Donner“. Der Ruf „Barrabam“ fährt einem in Mark und Bein. Dagegen ist das wuchtige „Sanctus“ seiner h-Moll-Messe gottgefällige Prunkmusik.

Mozart war kein Krachschläger, obwohl es in den Finali seiner Opern gehörig abgeht. Beethoven aber schon. Er rüttelte an Fundamenten und spie gen Himmel. Etwa im Finale der Fünften, im Orchesterwerk „Wellingtons Sieg“, in der „Missa Solemnis“ oder in der Neunten. Beethoven verschaffte sich Gehör, anders als der Wandersmann Schubert, der es eher diskret und ländlich liebte.

Im 19. Jahrhundert waren Tschaikowski und Verdi mit dem Fortissimo befreundet. Tschaikowski schrieb seine drei letzten Symphonien mit manchmal durchgetretenem Gaspedal (das militante Scherzo der Sechsten); und von seiner „Ouvertüre 1812“, die den Sieg Russlands in den Napoleonischen Kriegen feiert, ist bekannt, dass manche Aufnahme selbst hochwertige Hifi-Anlagen sprengt. Sogar Kanonen werden laut Partitur abgeschossen.

Verdi dagegen machte das „Dies irae“ seines „Requiems“ zum unerhörten Fall, dass die Oper sich der Kirchenmusik bemächtigte und ihr einen fast weltlichen Anstrich gab. Wie das Orchester die Hörer sogar räumlich umzingelt, wie der Chor den Zorn ausgießt – das hatte es so apokalyptisch in den Totenmessen von Mozart, Brahms oder Schumann nicht gegeben.

Wagner wusste, dass Krach schädlich werden kann, und weil die Sänger nicht unbegrenzte Reserven haben, erfand er für den Bayreuther Graben einen riesigen Deckel. Und Mahler, der schon mal einen Hammer im Orchester einsetzte, schrieb ein Werk, bei dem die Dimensionen im Titel ersichtlich sind: die 8. Symphonie, die „Symphonie der Tausend“. Die ist an manchen Stellen ein Angriff aufs Trommelfell – was man auch von den Klangsteigerungen in Schostakowitschs 7. Symphonie, der „Leningrader“, oder in Ravels „Bolero“ sagen kann. Schiere Lautstärke ist hier wie überall in der Klassik aber kein Selbstzweck, sondern gut geplantes Ergebnis einer Entwicklung. Der Hörer wird vorbereitet und weiß dann: Jetzt muss es so sein. Auf das Niveau „Krach ohne Ursache“ wollte sich keiner der großen Meister begeben.

Wer das Thema in zwei Minuten und 49 Sekunden exemplarisch abgehandelt haben möchte, hört bei Youtube rein: Johann Strauß, Polka „Unter Donner und Blitz“, dirigiert von Carlos Kleiber aus Wien. Danach hat es sich ausgescheppert und ausgeblitzt. Prosit Neujahr!

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