Neue Platte In Altöl gebadet: Guns n’ Roses

Düsseldorf (RP). Mitten in Lied eins gibt es eine Stelle, da keifen sich die Gitarren derart bissig an, dass einem die Backenzähne wehtun. Sie schwingen sich auf in irre Höhen, es pfeift ganz fies, sie wollen Hass säen. Von irgendwo da unten kommt eine Stimme dazu, sie wirkt vertraut.

 Axl Rose reagiert bisweilen ein wenig extrem. Zuletzt randalierte er in Stockholm.

Axl Rose reagiert bisweilen ein wenig extrem. Zuletzt randalierte er in Stockholm.

Foto: AP, AP

Sie bellt sich allmählich ein, sie gehört ganz offenbar einem Mann, der alleine lebt in einer verwachsenen und sehr staubigen Landschaft, der Starkstrom futtert und in Altöl badet und seit Jahren die Wirklichkeit nicht mehr oder doch nur noch verzerrt wahrnimmt. Als dieser Mann in Rage gerät und wie ein rasender Hammerschwinger den Song nach seinen abwegigen Vorstellungen von Schönheit und Perfektion behaut, schreckt sogar das wuchtig und hochfrequent austeilende Schlagzeug zurück. Endlich erkennt man die Stimme: Sie gehört Axl Rose.

Jetzt ist also passiert, was noch vor wenigen Wochen niemand glauben mochte: "Chinese Democracy" ist erschienen, das neue Album der Band Guns n' Roses. Wenn es angesichts dieser Art von Musik nicht so abwegig wäre, könnte man von einem Märchen sprechen. Mitte der 90er Jahre war die Gruppe die bestverkaufende der Welt. "Paradise City", "November Rain", so hießen ihre Hits.

Zwei Doppelalben brachte sie zu Hochzeiten an einem Tag auf den Markt. Und beide führten Kopf an Kopf die Hitparaden der Welt an. Die Jungs schufen sich eine eigene Wirklichkeit, in der Frauen Mädchen hießen und als Models arbeiteten. Männer trugen Lederjacken und tranken Whisky aus der Flasche. Ewige Landschulheim-Fantasie. Irgendwann aber änderte sich die Welt, die Menschen fanden dieses Breitbeinige nicht mehr so toll, und die Band zerfiel. Es blieb nur Axl Rose.

Das war die Zeit, als Arnold Schwarzenegger noch nicht Gouverneur von Kalifornien, sondern Hauptdarsteller von "Terminator 2" war. Damals beschloss Axl Rose, die maßgebliche Platte zu schaffen, eine Platte, die die populäre Musik an ein Ende führen sollte. Vor 14 Jahren begann er mit der Produktion. Ungezählte Male wurde das Werk angekündigt, nichts folgte darauf.

"Chinese Democracy" wurde zum längsten Running Gag der Musikgeschichte, Rose zur Witzfigur. Der Brause-Hersteller Dr. Pepper versprach noch im Mai jedem Amerikaner eine Dose Sprudel, falls die CD 2008 erscheinen sollte. Keiner glaubte an Axl Rose. Sie hatten ihn unterschätzt. Einen Mann, der es geschafft hat, der Plattenfirma 16 Millionen Dollar abzuringen — ohne einen einzigen Takt vorzulegen.

Wer sich das Album mit dieser Geschichte im Hinterkopf anhört, rätselt zwar weiterhin, wo all das schöne Geld geblieben ist. Aber er hat doch sein Vergnügen an 14 vertrackt strukturierten Liedern, die so unzeitgemäß, so überkandidelt und ironiefrei geraten sind, dass es eine helle Freude ist. "Chinese Democracy" ist tatsächlich ein Witz, aber einer mit gelungener Pointe.

In Zeiten, da die Urform des Heavy Metal eine Renaissance feiert, das Eins-Zwei-Drei-Druff nämlich, wirkt die Alternative, die Axl Rose anbietet, wie ein beherzt beschrittener Ausweg in die Zukunft. Unbewusster Retrofuturismus, sozusagen. Er verstellt seine Stimme, wenn es nicht sein muss, und wenn man denkt, jetzt kann man nichts mehr reinpacken in diesen Song, kommt ganz sicher von irgendwo ein Streicher-Ensemble her. Wahnsinn, kaum zu fassen, faszinierend. Begreift man erst in vielen Jahren.

Die Auslieferung der Getränke-Dosen soll im Februar abgeschlossen sein, heißt es auf der Dr.-Pepper-Homepage.

(RP)
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