Helene Fischer, Andrea Berg, Peter Maffay Schlager dominieren deutsche Charts

Düsseldorf · Acht deutschsprachige Alben stehen in den Top 10. Sie sind Symbol für den Boom der Musik mit deutschen Texten.

Erfolgreiche Schlagerstars und ihre Hits
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Erfolgreiche Schlagerstars und ihre Hits

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Foto: dpa, Patrick Seeger

Nehmen wir nur mal die Band Kraftklub. Das sind fünf Jungs von Mitte 20, und sie haben eines der besten Liebeslieder der vergangenen Jahre geschrieben — wobei sie es nie als solches bezeichnen würden, Kitschverdacht, deshalb heißt es sicherheitshalber "Kein Liebeslied". Es handelt davon, dass ein Junge einem Mädchen sagen möchte, dass er es gern hat. Es gelingt ihm aber nicht: "Viel zu viele Adjektive und miese Vergleiche", singt der Junge, "die Geigen klingen schief". So geht das über drei Minuten: Gejammer, Klage, Koketterie. Aber dann klappt es doch, und alles läuft auf diese Zeilen hinaus: "Was soll ich sagen, ich mag dich. So ganz allgemein / Ich mag, wie du gehst und hasse es, wenn du gehst."

Deutschsprachige Musik klang vielleicht nie so gut wie heute, es hat sich viel getan in den vergangenen zehn Jahren, und so populär wie zur Zeit war sie auch lange nicht mehr. In den Top 10 der deutschen Albumcharts stehen in dieser Woche neun heimische Produktionen, acht von ihnen arbeiten mit deutschen Texten. Die meisten würde man dem Genre Schlager zuordnen, Wolfgang Petry, Helene Fischer und Peter Maffay zumal, aber obwohl sich gerade diese Musik nur langsam entwickelt, lassen sich sogar dort Veränderungen nachweisen. "Auch der Schlager reagiert allmählich auf den gesellschaftlichen Wandel", sagt der Germanist Rainer Moritz, der das Literaturhaus Hamburg leitet. "Andrea Berg hat ihn für andere Themen geöffnet, sie singt ganz selbstverständlich von Trennungen und Scheidungen, das gab es zuvor nur selten." Bergs Kollegin Helene Fischer hob schließlich das Keuschheitsgebot im Schlager auf, "Lust pulsiert auf meiner Haut", singt sie in ihrem Hit "Atemlos durch die Nacht", und auch dafür hätte man noch vor Kurzem unverfänglichere Umschreibungen gefunden.

"Der Schlager wird freizügiger und wendet sich der Gegenwart zu", sagt Moritz. Dadurch wird er interessant für Hörerkreise, die dieses Genre bisher ablehnten. "Wer früher zu Take That und Robbie Williams ging, kauft sich heute eine Karte für Helene Fischer", sagt Dieter Falk. Der Düsseldorfer Produzent betreute in den 90ern Künstler wie Pur und Pe Werner, und ihm ist aufgefallen, dass deutsche Künstler inzwischen weniger im Allgemeinen fischen, sondern stark auf die Lebensumstände eingehen und pointiert Wirklichkeit beschreiben. Früher wurden Szenen geschildert: Mann und Frau am Fluss, Hand in Hand am Abgrund. Nun stehen Geschichten im Vordergrund — "der Sänger wird zum Storyteller, der mit der ersten Strophe Lust macht auf die zweite", sagt Falk. Ein Beispiel ist die Band Revolverheld; deren aktuelles Lied trägt den Titel "Ich lass' das Licht für dich an", und die erste Strophe geht so: "Wenn wir nachts nach Hause gehen, die Lippen blau vom Rotwein / Und wir uns bis vorne an der Ecke meine große Jacke teilen / Der Himmel wird schon morgenrot, doch du willst noch nicht schlafen / Ich hole uns die alten Räder, und wir fahren zum Hafen."

Der Literaturwissenschaftler Moritz Baßler aus Münster glaubt, der neuartige Umgang mit deutscher Poplyrik sei dem Selbstbewusstsein der Hörer geschuldet. "Die Leute wollen verstehen, was da gesungen wird, sie wollen sich damit identifizieren." Es hat sich in den vergangenen Jahren eine eigenständige deutschsprachige Popkultur entwickelt. Sprache wurde in allen Abteilungen dieser Kultur als Teil der Lebenswelt erprobt, in HipHop und Punk ebenso wie in Liebeslied und Folk-Ballade. Der hohe Ton wurde zunächst mit dem Mittel der Ironie bekämpft und dann ganz abgeschafft. Das reinigte die Liedsprache. Hinzu kam ein anderer Zugang zum Schreiben durch die vom Internet beförderten Textsorten. Was heute im Mainstream möglich ist, zeigt der Künstler Marteria, der am aktuellen Album der Toten Hosen mitschrieb und mit seiner Solo-Platte "Zum Glück in die Zukunft II" Ende Februar Platz eins der Album-Charts besetzte: "Jeder glücklich Zweiter, keiner mehr Verlierer / Alle ziehen aufs Land, in die große Stadt nie wieder / Silbernes Besteck, Goldener Retriever / Keiner macht mehr Malle, alle fahren nach Schweden / Die kleinen Träume verbrennen die großen Pläne."

Vielleicht kann man es so sagen: Deutsche Texte sind wirkungsvoller und origineller als vor Jahren, wagemutiger und vielleicht sogar klüger. Adel Tawil erzählt in seinem Song "Lieder" eine bundesrepublikanische Jugend ausschließlich durch direkt und abgewandelt zitierte Songtitel, und sie fügen sich tatsächlich zu einer Geschichte: "Ich ging wie ein Ägypter, hab' mit Tauben geweint / War ein Voodookind, wie ein rollender Stein / Im Dornenwald sang Maria für mich / Ich starb in deinen Armen, Bochum '84 / Ich ließ die Sonne nie untergehen / In meiner wundervollen Welt."

Jedenfalls: Es macht wieder Spaß, deutsche Musik zu hören, langweilig gibt es nicht, und wenn man sich kleinere Bands ansieht wie Messer, Die Heiterkeit und Die Nerven, dann freut man sich noch mehr. "Ich bin ausgezogen in Sachen Liebe und Hass / Ich kann nicht sagen, dass ich gut wieder heimgekommen bin", singen Ja, Panik. Nicht um Rückzug geht es, sondern ums Voran. Diese Künstler sind philosophisch wie einst Blumfeld und wütend wie Tocotronic. Aber nicht angestrengt, sondern lässig, und sicher ist das hoch gegriffen und nicht ernst gemeint, aber hier passt der Satz, mit dem die Plattenfirma von Ja, Panik wirbt, sehr gut: "Das ist wie Dostojewski in der Disco".

(RP)
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