Kanadisches Spitzenorchester in Düsseldorf Thema verfehlt

Das Orchestre Symphonique de Montréal gastierte unter seinem Chefdirigenten Kent Nagano im Heinersdorff-Konzert der Tonhalle.

 Der Dirigent Kent Nagano ist seit dem Jahr 2006 Chefdirigent in der zweitgrößten kanadischen Stadt.

Der Dirigent Kent Nagano ist seit dem Jahr 2006 Chefdirigent in der zweitgrößten kanadischen Stadt.

Foto: Marco Campanozzi

Unter den großen Dirigenten der Gegenwart hat kaum jemand eine so ästhetisch durchgeformte, hochpräzise, punktgenaue, niemals volkstümliche Schlagtechnik wie der japanisch verwurzelte US-Amerikaner Kent Nagano. Er dient den Komponisten, nicht der Galerie. Mit seinen Armen ädert er die Luft, als entwerfe ein Architekt aus einem genialischen Gedanken vor staunenden Umstehenden ein neues Teehaus in Kyoto. Fette Bläserakkorde bereitet der Maestro so beiläufig vor, dass sie wie ein Understatement wirken. Alles Musizieren begibt sich als ökonomische Leistung, in welcher die klanglichen Ressourcen eher elegant verwaltet als stürmisch entfesselt werden.

Bei solcher Gefühlslage kommt es beim Gastkonzert des Orchestre Symphonique de Montréal immer wieder zu staunenswerten Momenten der Reduktion und Verfeinerung. Hier handelt es sich ja um ein sehr gutes, wachsames, elastisches Orchester, das seinem Chef und der Spitze seines Taktstöckchens tadellos folgt. Und schon in Claude Debussys „Jeux“ hört man, dass der Apparat nie verklumpt, sondern stets aus leuchtenden Fäden besteht, die Nagano hier und da zu Knoten zusammenzieht. Metzgerei erlebt man anderswo, das hier ist minimalinvasive Chirurgie am Klang.

Allerdings überwältigt „Jeux“ nur, wenn die kindlich-pubertären Spiele, um die es in dieser Ballettmusik geht, eine gewisse Nähe zum Ekstatischen erreichen. In der Tonhalle wirkte die Interpretation reichlich gebremst, vorsichtig gedeckt – wir erlebten unter Nagano eine nach innen gerichtete Virtuosität.

Diese brillante Form der Hemmung fährt nach der Pause auch Igor Strawinskys epochalem „Sacre du Printemps“ in die Glieder. Das Heidnische, das dieser Musik zu eigen ist, wird von Nagano schnurstracks in die Zivilisation umgesiedelt. Die Konfrontation der „feindlichen Stämme“ war alles andere als ein wütendes urzeitliches Geschehen.

Nicht dass wir uns falsch verstehen: Die Montréaler Musiker bieten das Werk großartig, auch mit famosen solistischen Leistungen, aber wir hören eher eine Anbetung des Geistes als die „Anbetung der Erde“, wie der gesamte erste Teil ja benannt ist. Immer dann, wenn Strawinsky lyrische Vorboten des Frühlings aussendet (etwa durch die bukolische Holzbläser), ist die Darbietung prächtig. Doch wenn diese archaischen Rhythmen mit ihren irregulären Akzenten losstampfen, fehlt es an Materie, an Wucht, an Biss. Dieses Frühlingsopfer ist eine spirituelle Sitzung, eine Séance, aber keine lustvoll-grausame Orgie, wie sie Strawinsky vorschwebte.

Und dann traf auch das Solokonzert des Abends ebenfalls nur mit Einschränkungen den Sinn des Stücks. Rafal Blechacz, der exzellente polnische Pianist, der 2005 den Warschauer Chopin-Wettbewerb mit weitem Abstand vor der Konkurrenz gewann, spielte Mozarts A-Dur-Klavierkonzert KV 488 mit einer Diskretion, die schnell den etwas faden Beigeschmack des Artigen annahm. Blechacz, der über eine staunenswerte Technik verfügt, kam über ein Mezzoforte nicht hinaus. Sein Mozart ist ein behütenswertes Wunderkind, das man vor den aktuellen und nahenden Sturmtiefs dieser Welt in Watte packt. Das Wunderkind selbst hat sich angepasst und wagt kein lautes Wort. Nie ist es vorwitzig, nie unwirsch.

Leider scheint es auch zu tiefen Gedanken nicht fähig. Dieses fis-Moll-Adagio, einer der seelenvollsten langsamen Sätze Mozarts, verlor das Rubinrot eines schweren Rotweins, den man allein für sich an winterlichen Abenden trinkt und dabei gleichsam der ganzen Welt ins Glas schaut. Bei Blechacz sang das Stück nicht, es strömte nicht aus Mozarts Überfülle zu uns, sondern verlor an Farben, verflachte und berührte einen nicht weiter. Unbegreiflich, wie matt Blechacz‘ linke Hand hier blieb. Als Zugabe, ebenfalls sehr freundlich und tageslichttauglich, spielte er das Scherzo aus Ludwig van Beethovens früher A-Dur-Sonate.

Also drei Mal an diesem Abend: Thema verfehlt, wenn auch auf hohem Niveau.

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