„The World’s A Little Blurry“ Mit Billie Eilish auf dem Sofa

Los Angeles · Die Dokumentation „The World’s A Little Blurry“ bei AppleTV+ erzählt von Billie Eilishs rasantem Aufstieg. Der Zuschauer nimmt Anteil an ihrem Familienleben daheim in Los Angeles.

 Billie Eilish (r.) mit ihrer Mutter Maggie.

Billie Eilish (r.) mit ihrer Mutter Maggie.

Foto: AppleTv+/AppleTV+

Kurz vor ihrem Auftritt beim Coachella-Festival im April 2019 kommt jemand zu Billie Eilish in den Backstage-Raum und flüstert, Katy Perry wolle sie sprechen. Die beiden Popstars umarmen einander, Perry sagt Eilish, dass sie sie toll finde, und Perrys Verlobter Orlando Bloom küsst Eilish auf die Wange. Die Szene dauert nur ein paar Sekunden. Danach flippen die Frauen aus Eilishs Team herum, „er hat Dich geküsst“, rufen sie und zeigen auf ihren Handys Fotos von Orlando Bloom in der Rolle des Will Turner in „Fluch der Karibik“. „Nein, der war das?“, fragt Eilish ungläubig. „Ich dachte, das wäre einfach Katy Perrys Mann. In Will Turner bin ich verliebt, seit ich neun bin. Er soll zurückkommen!“

„The World’s A Little Blurry“ heißt die Dokumentation über den kometenhaften Aufstieg der inzwischen 19 Jahre alten Billie Eilish zu einem der größten Popstars der Welt. Der Film ist von heute an bei AppleTV+ zu sehen, er setzt 2018 ein und und führt die Zuschauer bis ins Jahr 2020. Regie führte R. J. Cutler, der einst für seinen Film „The September Issue“ Anna Wintour bei der Produktion der legendär dicken September-Ausgabe der amerikanischen „Vogue“ begleitete.

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Das Faszinierendste an der zweieinhalb Stunden langen Doku über Billie Eilish sind die Szenen im Jugendzimmer ihres älteren Bruders Finneas. Man vergisst ja leicht, dass Eilishs Debütalbum „When We Fall Asleep, Where Do We Go?“ dort mit einem Mikro und einem Laptop produziert wurde. Eilish hockt im Schneidersitz auf dem Bett und singt Verse, die sie von ihrem iPhone abliest, Finneas frickelt am Computer. Eilish sagt, dass das nicht gut war, und Finneas sagt: „Du bist toll.“

2015 luden die beiden erste Lieder auf der Plattform Soundcloud hoch, darunter „Ocean Eyes“, das von Eilishs Jugendschwarm Justin Bieber handelt. Bereits diese Stücke erreichten ein gewaltiges Publikum, Eilish war schon lange vor Veröffentlichung ihres Debütalbums berühmt, und ziemlich schön ist die Szene, in der sie auf dem Sofa sitzt und hört, dass Justin Bieber mit ihr zusammenarbeiten wolle: „he’s fanboying you“. Er darf dann auf einem Remix des Hits „Bad Guy“ mitsingen.

Man kommt Eilish nahe, rückt ihr wegen der beengten Wohnverhältnisse ihrer Familie in L.A. regelrecht auf die Pelle. Man sieht die Striche, die die Eltern an den Türrahmen machten, wenn Eilish wieder ein Stück gewachsen war. Man erlebt die Ansprachen mit, die Eltern eben halten müssen, auch wenn die Tochter gerade die Welt regiert. Fahr vorsichtig, sagt der Vater, als sie in den schwarzen Dodge Challenge steigt, den sie zum Geburtstag bekam. Ob sie nicht noch ein paar zugänglichere Lieder auf das Album nehmen möchte, fragt die Mutter in der Küche. Und weil sie gerade in Fahrt kommt und Eilish ja ohnehin schon explodiert ist, fragt die Mutter auch noch, ob Billie es eigentlich gut finde, darüber zu singen, sich von einem Dach zu stürzen. Die Antwort: „Dass ich davon singe, hält mich davon ab, es zu tun.“

Der Film wirkt manchmal wie ein Live-Stream, Gespräche werden mitunter allzu ausführlich dokumentiert, ebenso jedes Abklatsch-Ritual nach der Fertigstellung eines Songs. Da hätte man sich eine stärker kuratierende Hand gewünscht. Andererseits: Wann bekommt man schon Popstar-Szenen wie jene zu sehen, in der ihr Bruder kurz nach Album-Veröffentlichung die Spotify-Abrufe auf dem Handy vorzeigt und Eilish ungläubig fragt: „Sind das Millionen?“ Oder das Video der zwölfjährigen Billie, die darüber philosophiert, wie schwer es für sie sein werde, einen Freund zu haben, der nicht Justin Bieber heißt, weil sie doch in Wirklichkeit nur mit Justin Bieber in love sei.

Zwischen den Bildern kommt eine Ahnung auf, wie stark die Familie daran arbeitet, Billie Eilish trotz des Wahnsinns, der um sie herum passiert, Geborgenheit zu geben. Immer wieder bauen sie die von massiven Selbstzweifeln verunsicherte Eilish auf. Und als ihr Knöchel Probleme bereitet und Eilish nur noch unter Schmerzen auftreten kann, empfangen sie sie mit Kühlpacks hinter der Bühne, massieren, umarmen und tragen sie.

„Ich bin nicht froh, warum sollte ich also über etwas singen, das ich nicht kenne“, sagt Billie Eilish. „Es ist so verrückt. Ich bin niemand, und ich weiß nicht, warum ihr mich liebt“, ruft sie ihren Fans zu. Kurz danach wird sie bei den Grammys als jüngster Mensch und erste Frau die Preise in den vier Hauptkategorien gewinnen. „Bist Du bereit für die nächste Stufe der Superstar-Berühmtheit?“, fragt eine euphorisierte Reporterin. Eilish antwortet: „No.“

Der Ruhepol in diesem Film ist Eilishs Bruder Finneas. Man spürt die besondere Beziehung der beiden, vor allem in jenen Szenen, in denen sie nach einem Konzert nachts im Hotel an ihrem Bond-Song „No Time To Die“ arbeiten. Wie nebenbei wirkt das. Er ist geduldig, verständnisvoll und heiter, und als nach dem Grammy-Triumph schon wieder Justin Bieber anruft, sagt er: „Ich kann eigentlich nicht, ich habe gerade keine Hose an.“

Gegen Ende des Films sieht man ein Mädchen, das neben dem Auto herläuft, in dem Billie Eilish sitzt. Das Mädchen ist den Tränen nahe. „Deine Musik hat mein Leben gerettet“, ruft es.

Schön, dass es Billie Eilish gibt.

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