TV-Kritik zur Premiere Enttäuschte Fans und ein jubelnder Nico Santos – so lief der erste „Free ESC“

Köln · Beim ersten „Free ESC“ auf ProSieben war einiges ähnlich gegenüber dem Original, aber auch vieles anders. Am Ende gewann Nico Santos für Spanien an einem soliden TV-Samstagabend ohne große musikalische Highlights – dafür mit anderen Überraschungen.

Free ESC 2021 Platzierungen: Ergebnisse und Punkte aller Teilnehmer
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Alle Platzierungen, alle Kandidaten beim „Free ESC“ 2021

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Foto: ProSieben/Willi Weber

Um 22.12 Uhr wurde das Geheimnis endlich gelüftet, wer der deutsche Vertreter bei der ersten Auflage des „Free European Song Contest“, kurz „Free ESC“, ist. Bis unmittelbar vor dem Auftritt wurde dies noch geheim gehalten – und damit wohl auch etliche Hoffnungen geschürt, es könnte sich tatsächlich um ein TV-Comeback von Stefan Raab handeln. Darauf hatten viele Fans spekuliert, schließlich stammt die Idee des „Free ESC“ von ihm. Doch es war Helge Schneider, der mit seinem Corona-Song „Forever at Home“ den ersten Teil des Abends beendete – und damit viele Fans traurig zurückließ.

Denn Stefan Raab und europäische Musikwettbewerbe – das passt einfach. Beim Eurovision Song Contest war der Kölner Entertainer, der im Jahr 2015 seine langjährige TV-Karriere für beendet erklärt hatte, sechs Mal an einem deutschen Beitrag beteiligt, und jedes Mal stand am Ende mindestens ein Platz in den ersten zehn zu Buche. Vor 20 Jahren trat er mit dem Song „Wadde hadde dudde da?“ selbst an und erreichte den fünften Platz. Das Highlight war ohne Frage der Contest 2010 in Oslo, als Lena Meyer-Landrut zum bislang letzten Mal für Deutschland gewann.

Da der ESC, der in diesem Jahr in Rotterdam hätte stattfinden sollen, wie so viele Großveranstaltungen aufgrund der Corona-Pandemie abgesagt wurde, riefen Raab und ProSieben den „Free European Song Contest“ ins Leben. Parallel gab es auch eine Ersatzshow in der ARD mit einem nationalen Wettbewerb – unsere Nachlese dazu lesen Sie hier.

Das war die ESC-Ersatz-Show von Stefan Raab auf Pro7
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Das war die ESC-Ersatz-Show von Stefan Raab

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Foto: dpa/Willi Weber

Moderiert wurde der Abend auf ProSieben von Steven Gätjen und Conchita Wurst, die den ESC 2014 gewonnen hatte. Letztere eröffnete den Abend mit einem Medley aus drei Siegersongs und präsentierte im weiteren Verlauf noch einen neuen Song. Die Hygienemaßnahmen wurden auch im Kölner Studio eingehalten und umgesetzt, wann immer es nötig war. Wenn die beiden Moderatoren nebeneinander standen und den nächsten Künstler ankündigten, waren sie stets durch eine Glaswand voneinander getrennt.

Der verbindende Gedanke, der den Eurovision Song Contest seit jeher begleitet, wurde auch bei der Alternative von ProSieben weiter getragen. 15 Länder nahmen teil, zwar weit weniger als beim richtigen ESC, doch auch der „Free ESC“ schaltete im zweiten Teil der Sendung quer durch die Teilnehmerländer, um die Punkte abzufragen.

Während beim Original für den Großteil der deutschen Zuschauer die meisten Künstlerinnen und Künstler unbekannt sind, dürften die meisten Musiker beim „Free ESC“ geläufig gewesen sein. Stefanie Heinzmann für die Schweiz, Sarah Lombardi für Italien, Glasperlenspiel für Polen, Eko Fresh für die Türkei und Nico Santos für Spanien sind in der deutschen Pop-Landschaft durchaus etabliert. So gab es keine wirklichen Underdogs, es kam aber auch nicht zu großen Überraschungen. Ein solider Samstagabend, ohne große musikalische Highlights.

Wie beim Original-ESC wurden auch bei der Raab-Variante die einzelnen Länder in einem kurzen Video vorgestellt. Allerdings ohne die treffenden Sprüche von ESC-Kommentatoren-Legende Peter Urban, dafür in altbekannter TV-Total-Manier mit lustigen Clips, die teilweise aber auch über die Stränge schlugen. Etwa die Bulgaren im Einspieler als pupsendes Volk darzustellen, war einfach daneben.

Ein weiterer Unterschied zum Eurovision Song Contest war dann auch die Prozedur der Punktevergabe. Während die Musikfans aus Deutschland, Österreich und der Schweiz per Anruf und SMS für ihre jeweiligen Favoriten abstimmen konnten, erfolgte die Vergabe aus den übrigen Ländern durch nur eine Person, die nach dem eigenen Geschmack wählen durfte. Mit dabei waren unter anderem Angelo Kelly, der niederländische Vorjahressieger Duncan Laurence, Ex-Spice-Girl Melanie C, aber auch der Profimusik eher Fremde wie Lukas Podolski durften die Punkte vergeben. Da war es natürlich keine große Überraschung, dass der in Antalya lebende Podolski die Maximalpunktzahl von zwölf Punkten für Polen an die Türkei vergab.

Ein Highlight war definitiv die Schalte „zum Mond“. Weil Max Mutzke als Astronaut aus der Show „The Masked Singer“ für den Mond als Special Guest ebenfalls auftrat, durfte auch von oben abgestimmt werden. Am anderen Ende der Leitung meldete sich Michael „Bully“ Herbig in seiner Rolle als „Spucki“ aus dem Film „(T)Raumschiff Suprise – Periode 1“. So kamen auch Comedy-Fans der 2000er-Jahre zumindest kurzzeitig auf ihre Kosten. Neben typischen Gesten und Sprüchen aus seiner Rolle brachte der Komiker durch mehrmaliges Verschwinden aus dem Bild auch die Moderatoren etwas aus dem Konzept. Auch, weil „Spucki“ darauf beharrte, die zwölf Punkte dem Astronauten geben zu wollen, was das Reglement allerdings untersagt.

Für eine große Samstagabendshow schaffte es der Sender sogar beinahe, die Zeit nicht zu überziehen. Da die Punkte aus des deutschen Publikums aber von Heidi Klum und Tom Kaulitz von deren Terrasse in den USA verkündet wurden und an dieser Stelle nochmal groß die Werbetrommel für das Finale von „Germanys next Topmodel“ am kommenden Donnerstag gerührt werden musste, bei dem die arme Heidi leider nicht selbst vor Ort sein kann, dauerte das Prozedere dann doch etwas länger. Leidtragende dieser Extraminuten waren Ilse DeLange aus den Niederlanden und Nico Santos, zwischen denen sich der Abend entscheiden sollte. Die Anspannung stieg, und am Ende durfte der auf Mallorca aufgewachsene Santos jubeln. „Das ist der erste Preis, den ich überhaupt gewinne“, rief er freudestrahlend. Helge Schneider landete auf dem vierten Platz.

Ob Santos seinen Titel im kommenden Jahr verteidigen darf, steht noch in den Sternen. Raabs ESC-Variante soll aber eine dauerhafte Einrichtung werden, hatte ProSieben-Chef Daniel Rosemann im Vorfeld verkündet. „Wir haben immer gesagt, wir gründen den ‚FreeESC‘ – man gründet nichts für einmal, man gründet für immer“, sagte er. Bei der zweiten Auflage werden dann aber alle Fans soweit vorbereitet sein, dass sich niemand mehr Hoffnungen um ein TV-Comeback von Stefan Raab machen dürfte – und so auch niemand mehr enttäuscht wird.

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