Erstes Halbfinale beim Eurovision Song Contest Unerwartete Sympathien für Russland, Aus für finnische Punks

Wien · Mit einer derartigen Sympathiewelle hatte Polina Gagarina nicht gerechnet. Die ausdrückliche Bitte der Veranstalter im Vorfeld hatte gefruchtet: Beim ersten Halbfinale des 60. Eurovision Song Contest in Wien gab es am Dienstagabend nicht wie im vergangenen Jahr Buh-Rufe gegen das russische Putin-Regime, sondern großen Beifall für einen großen Song. Passend zum Titel ihrer Weltverbesserungs-Ballade "A Million Voices" stimmte sogar ein gehöriger Teil der knapp 10.000 Besucher mit ein.

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Foto: dpa/Ilia Yefimovich

"Es waren Gefühle wie bei einer Geburt", sagte die russische Sängerin, die Schlagerikone Helene Fischer ähnelt, nach ihrem Finaleinzug zu Tränen gerührt. Spätestens durch den Startplatz im hinteren Teil des Finalstarterfeldes gehört Russland zu den ernstzunehmenden Siegeskandidaten. Es bleibt aber abzuwarten, ob Jurys und Zuschauer in Resteuropa die politische Situation am Samstag ausklammern können.

Die Begleiterscheinung des finnischen Beitrags konnten sie am Abend sehr wohl ausklammern. Die Punkband Pertti Kurikan Nimipäivät mit seinen vier geistig behinderten Mitgliedern und dem nicht eingängigen 86-Sekunden-Quickie "Aina Mun Pitää" schied nämlich überraschend aus. Ist Inklusion womöglich doch noch nicht in Europa angekommen? Vermutlich spielen beim ESC die Lieder doch eine größere Rolle als das Gesamtkunstwerk auf der Bühne…

Gigantische Bühne

Bei dieser hatte sich der ORF besondere Mühe gegeben. In mehrwöchiger Aufbauarbeit hatten die Bühnenarbeiter aus 1288 Stelen ein großes Auge geformt, die gigantische LED-Wand im Hintergrund ließ jeden Künstler in der sonst eher abgelebten Stadthalle individuell scheinen — ob nun mit einer sich drehenden Weltkugel oder mit einem Baum, der aus Waffen erwächst.

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Während drinnen die frühere Pro-7-Dailytalkerin Arabella Kiesbauer mit Dauerwelle neben Mirjam Weichselbraun und Alice Tumler nach vielen Jahren wieder im deutschen Fernsehen zu sehen war, wurde draußen aufmerksam gewacht. Um vor möglichen Anschläge oder einem ähnlichen Fiasko wie beim Finale von Germany's Next Topmodel zu schützen, verwandelten 400 Securityleute sowie 300 Polizisten das Gelände um die Halle herum zu einem Hochsicherheitsareal.

Die westlichen Länder tun sich schwer

Als absoluter Topfavorit kristallisiert sich in Wien nach und nach der Gastbeitrag Australien heraus, obwohl Sänger Guy Sebastian gar nicht auf der Bühne stand. Mit dem mittlerweile obligatorischen Video "Down under beim ESC" und einem Interview mit dem diesjährigen ESC-Vertreter wurde der Neuling mehr als ausreichend promotet. Angeblich dürfte Australien nur noch im Siegesfall beim ESC teilnehmen. Ein Schelm, der Böses dabei denkt… Am anderen Ende der Welt durfte Ortszeit 6:30 Uhr am Mittwochmorgen übrigens das erste Mal abgestimmt werden.

In der von osteuropäischen Ländern dominierten Veranstaltung hatten es die westlichen Länder erwartungsgemäß schwer. Nach zuletzt guten Ergebnissen ereilte dem niederländischen Star Trijntje Oosterhuis mit ihrem Klagelied "Walk Along" ebenso das Aus wie den dänischen Newcomern von Anti Social Media mit ihrem Schunkelretrosound "The Way You Are". Und auch der belgische Publikumsliebling Loïc Nottet mit seiner charakteristisch hohen Stimme und dem modernen "Rhythm Inside" sah sich womöglich schon im Flieger nach Hause sitzen.

"Natürlich war ich nervös", sagt der 19-Jährige mit leiser Stimme, dessen zurückhaltendes und schüchternes Auftreten im Umgang mit Menschen überhaupt nicht zur Rampensau passt, die er auf der Bühne darstellt. Mit einer Roboter-Performance hatte der Zweitplatzierte von "The Voice Belgique" verdientermaßen den Einzug ins Finale geschafft, aber bis zur Verkündung des letzten Landes warten müssen. Im Finale dürfte er seine ersten Punkte schneller erhalten.

Eine Serbin mit der Bestwertung

Mehr Applaus als der Belgier erhielt nur die überaus korpulente Serbin Bojana Stamenov mit "Beauty Never Lies", ihrer schmissigen Disco-Hymne für mehr Toleranz. Der sonst so extrovertierten Sängerin fehlten nach dem Weiterkommen die Worte. Ebenfalls den Weg ins Finale fand die georgische Feministin-Kriegerin Nina Sublatti mit "Warrior" sowie die estnischen Mitfavoriten Elina Born und Stig Rästa mit ihrem Country-Popsong "Goodbye To Yesterday".

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Stammgäste im Finale sind seit Jahren neben den Armeniern, die Nachkommen von Auswanderern aus fünf Kontinenten in der Gruppe Genealogy ("Face The Shadow") vereinen, und auch die Griechen. Maria Elena Kiriakou darf ihre Ballade "One Last Breath" am Samstag noch einmal singen. Ob Griechenland trotz Finanzkrise den ESC im nächsten Jahr austragen könne? "Wir würden es definitiv tun", sagte die Blondine. Soweit wird es auch nicht kommen. Überraschend weiter dagegen ist das powervolle Soul-Allerlei der Albanerin Elhaida Dani ("I'm Alive") sowie das zurückhaltend inszenierte Friedenslied der Ungarin Boggie ("Wars For Nothing"). Beide Frauen werden im Finale in der zweiten Hälfte singen.

Stimmungsvolles Intro mit Udo Jürgens und Falco

Ihre Botschaft im Finale in die Welt hinaus tragen darf auch die rumänische Band Voltaj. "De la capat" soll auf das Problem aufmerksam machen, dass viele Rumänen im Ausland den Unterhalt für ihre Familie verdienen müssen und dabei ihre Kinder allein lassen. Das Gesicht der Kampagne, ein kleiner Junge, durfte nach 23 Uhr zum Ende der Show zum Feiern auf die Bühne. Das Jugendschutzgesetz gilt in Österreich wohl nicht…

Zu noch nicht ganz so später Stunde war das Hallenpublikum mit Hits der leider verstorbenen österreichischen Idole Udo Jürgens und Falco eingeheizt worden. Vorjahressiegerin Conchita Wurst hatte den Abend danach mit ihrem Gewinnersong "Rise Like A Phoenix" von einem Orchester begleitet standesgemäß eröffnet.

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