ESC-Kandidat Ikke Hüftgold „Da kommt verdammt viel Hass aus der ESC-Bubble“

Interview | Köln · Für die einen ist er ein Star, für die anderen der Untergang der deutschen Musik. Ikke Hüftgold tritt am Freitag beim deutschen ESC-Vorentscheid an. Ein Gespräch über Partyschlager, Hass und den Menschen hinter der Kunstfigur.

 Matthias Distel als „Ikke Hüftgold“. So will er am Freitag, 3. März beim deutschen Vorentscheid zum Eurovision Song Contest antreten.

Matthias Distel als „Ikke Hüftgold“. So will er am Freitag, 3. März beim deutschen Vorentscheid zum Eurovision Song Contest antreten.

Foto: obs/NDR Norddeutscher Rundfunk

Ikke Hüftgold ist spät dran zum Video-Interview. Er entschuldigt sich, sucht einen guten Platz für sein Handy und sich. Dann zählt er erst einmal seinen Terminplan auf. Gestern bei Kai Pflaume, Samstag Porträt im „Spiegel“, Sonntag Gast bei „Stern TV“. Genau genommen redet da Matthias Distel, der Mann hinter der Kunstfigur. Zu erkennen ist das am einfachsten auf seinem Kopf. Ikke trägt Vokuhila, Matthias nicht.

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Ist Ihr Programm eigentlich gerade doppelt anstrengend, weil Sie immer zwischen Ihrer Rolle und der Person dahinter wechseln müssen?

Ikke Hüftgold Ich bin flexibel. Ich habe in den letzten Tagen unfassbar politische Interviews gegeben. Das geht genauso wie als Ikke Hüftgold Quatsch zu machen. Es bereitet mir mega viel Spaß in verschiedene Welten zu gehen. Als Ikke kann ich mich austoben.

Macht das den Reiz der Kunstfigur für Sie aus?

Hüftgold Ich habe mir praktisch eine Ganzjahres-Karnevalsfigur geschaffen. So ein kleines Monster, dem keiner übelnimmt, wenn er mit seiner Perücke irgendeinen Blödsinn erzählt. Dann heißt es: Ikke darf das halt, der ist eine Satirefigur. Das kann ich natürlich schamlos ausnutzen, um Sachen zu sagen, die ich gerne als Matthias sagen würde.

Dennoch polarisiert Ihre Rolle sehr. Wenn Sie am 3. März beim ESC-Vorentscheid in Köln antreten, scheint es für viele Fans nur ein Ziel zu geben: Hauptsache nicht Ikke Hüftgold.

Hüftgold Ich bin eine sehr streitbare Figur. Die Partyschlager-Welt weiß, dass ich Matthias heiße, dass ich mit meinem Kollegen viele Künstler aufgebaut habe. Jetzt in der ESC-Bubble habe ich festgestellt: Wow, da kommt verdammt viel Hass. Das sind Leute, die nur Ikke Hüftgold sehen. Und der ist asozial, ein Sexist und ein Rassist, weil er sich vor zehn Jahren für ein Satire-Stück mal schwarz angemalt hat. Dass ich im wahren Leben der liberalste und weltoffenste Mensch bin, sieht man nur, wenn man es sehen will.

Hat Sie der Gegenwind aus der ESC-Community überrascht?

Hüftgold Nein, ich habe damit gerechnet. Ich muss davon ausgehen, dass diejenigen, die zum ersten Mal meiner Rolle begegnen, erstmal den Kopf schütteln. Ich würde das auch tun, mir dann aber unvoreingenommen ein paar Informationen einholen. Ich ziehe jetzt einfach durch. Wir haben trotzdem den Spaß unseres Lebens.

Wie entstand überhaupt die Idee, Ikke Hüftgold jetzt zum ESC nach Liverpool zu schicken?

Hüftgold Es muss doch das Ziel eines jeden Musikers sein, mal nach Liverpool zu fahren. Mein Hauptansporn ist es mit Jürgen Klopp in irgendeiner geilen Kneipe, in der früher mal die Beatles aufgetreten sind, ein Bierchen zu trinken. Das reicht mir schon.

Warum eigentlich Partyschlager? Sie haben früher in Rockbands gespielt, ganz andere Musik gemacht.

Hüftgold Ich musste mit 31 feststellen, dass meine musikalische Karriere in eine Sackgasse gelaufen ist. Der Traum mit der Rockmusik ist irgendwie geplatzt. Ich habe eine Familie gegründet und Kinderhörspiele geschrieben. Und während der Produktion eines Kinderhörspiels kam ein Kollege rein und sagte: „Macht doch mal was Asoziales, macht doch mal Ballermann.“ Eine Viertelstunde später stand die erste Strophe. Heute liebe ich es. Es ist einfach schön, so viele feiernde Menschen zu sehen.

Sie waren auch Mitproduzent von „Layla“. Ein Lied, das im vergangenen Jahr zu einem großen Sommerhit wurde und gleichzeitig eine große Sexismus-Debatte ausgelöst hat. Hemmt so etwas beim Schreiben?

Hüftgold Wir haben mit Sicherheit vor zehn Jahren Songs geschrieben, die wir heute nicht mehr umsetzen würden. Man muss da mit der Zeit gehen. Wir hatten die Me-Too-Debatte, die Gender-Debatte, die Gesellschaft ist empfindlicher geworden. Aber diese gesamte Gender-Diskussion findet bei uns überhaupt nicht statt. In unserer Bubble sind die Leute froh, dass sie sich noch klar als Mann und Frau definieren können. Das kann ja auch was Schönes sein. Und trotzdem nehmen wir alle in den Arm. Es braucht einfach nur Toleranz, es braucht keine neue Sprache.

Haben Sie eigentlich verstanden, warum der Shitstorm gerade „Layla“ so getroffen hat? Es gab doch schon schlimmere Partyschlager.

Hüftgold Das war vollkommener Käse. Es war wahrscheinlich der Frust von einigen Wenigen, dass Corona zwei Jahre lang das Land lahmgelegt hat. Diejenigen, die in dieser Zeit das Nörgeln für sich entdeckt haben, haben dann weitergenörgelt. Da wäre es egal gewesen, wie der Song heißt. Es war dann „Layla“, weil der gerade den größten Hype hatte. In meinen Augen Schwachsinn. In „Santa Maria“ von Roland Kaiser geht es genau genommen um ein minderjähriges Mädchen, das auf einem Schiff vergewaltigt wird und auf dem offenen Meer keine Chance auf Hilfe hat. Man kann in alles etwas reininterpretieren.

Sie treten beim ESC-Vorentscheid mit „Lied mit gutem Text“ an. Wie kam es dazu?

Hüftgold Naja, was bleibt einem Vogel wie mir übrig, wenn er Partyschlager sonst über Saufen, Titten und schönes Wetter singt? Da bleibt nur das schöne Wetter. Du musst ein Thema finden, das den ESC-Regularien entspricht und es trotzdem so verpacken, dass du dir treu bleibst. Im Prinzip verarsche ich uns selbst, spiegele das letzte Jahr und die „Layla“-Debatte nochmal wider. Außerdem ist es ein Satirestück über den ESC. Wir brauchen endlich mal ein Lied mit gutem Text, weil die letzten Beiträge nicht zu Punkten geführt haben. Ich bin beim ESC, weil ich glaube, dass die Farbe Humor in den letzten 20 Jahren dort einfach gefehlt hat.

Funktioniert denn Humor beim ESC noch? Die großen Zeiten von Guildo Horn und Stefan Raab sind eine Weile vorbei.

Hüftgold Der Partyschlager war letztes Jahr immerhin die Nummer Eins in Deutschland. Ikke Hüftgold ist auch nicht mit Guildo Horn und Stefan Raab zu vergleichen. Beides sind Vorbilder von mir. Guildo Horn auf seine menschliche Art, auch wenn er sich mittlerweile von mir distanziert hat. Stefan Raab, weil er für mich zu den größten Produzenten und Entwicklern im Show-Bereich gehört. Letztlich haben alle drei Songs eins gemeinsam: Sie sind fröhlich, vollkommen belanglos, nicht politisch und tun keinem weh.

Am 3. März wird es ernst. Was erwarten Sie von Ihrem Auftritt beim ESC-Vorentscheid?

Hüftgold Ich bin nervös, ich habe im Prinzip Dauer-Durchfall. Ich bin mir auch bewusst, dass das noch einmal eine ganz andere Dimension annehmen kann. Na klar winken da Liverpool und 180 Millionen Zuschauer. Ich bin der Underdog, eigentlich unerwünscht. Ich habe aber auch das Glück, weil ich sehr stark polarisiere, dass aktuell die größte Aufmerksamkeit auf mir liegt.

Hilft es gegen Nervosität, sich vor dem Auftritt ganz in Ikke Hüftgold reinzudenken?

Hüftgold Das ist interessant. Du entwickelst da eine gewisse Schizophrenie, wenn du von einer Rolle in die andere wechselst. Ich habe darüber mal lange mit Claus Theo Gärtner gesprochen, der angepisst war, weil er auf der Straße (nach 300 Folgen der Serie „Ein Fall für zwei“; Anm. d. Red.) nur noch „Matula“ genannt wurde und dann Charakterzüge seiner eigenen Rolle angenommen hat. Bei mir ist das manchmal auch nicht so einfach, wenn ich merke, jetzt habe ich wieder Mimik und Gestik von Ikke in mein Privatleben reingeholt. Und ich muss andersherum aufpassen, dass Ikke nicht sentimental ist, weil ich das als Matthias manchmal bin. Aber ich ziehe die Perücke auf und bin zu 99 Prozent in dieser Rolle. Dann ist die Angst vorbei.

Beim ESC-Vorentscheid entscheidet halb das Publikum, halb aber auch internationale Jurys. Glauben Sie, die Jurys verstehen, was Sie da machen?

Hüftgold Wir haben eine Acht-Länder-Jury. Da sind Länder dabei wie Finnland und Großbritannien, aber auch Österreich und die Schweiz. Die verstehen auf jeden Fall, was ich da mache. Wenn ich das alles sehe, könnte ich mir vorstellen, dass ich da nicht einmal Letzter werde. Aber ich verspreche mir auch sehr wenig davon.

Das wäre auch ein Problem, wenn Sie gewinnen. Dann müssten Sie erstmal ganz Europa erklären, wer Ikke Hüftgold ist.

Hüftgold Naja, versuch mal der Welt zu erklären, wer Frida Gold ist. Ich habe in allen europäischen Ländern eine Hörerschaft. Trotzdem ist es auf den ersten Blick unwahrscheinlich, dass jemand wie ich in Liverpool die Punkte holt. Aber es kommt ja auch auf die Show und das Überraschungsmoment an und da haben wir uns einiges überlegt. Jetzt geht es erstmal um den Freitag in Köln. Ich habe natürlich den Anspruch im vorderen Drittel zu landen. Ikke Hüftgold fährt nirgendwo hin, um zu verlieren.

Ein Versöhnungsversuch mit den ESC-Fans zum Abschluss. Gibt es einen klassischen ESC-Song, der Sie geprägt hat?

Hüftgold Also mich hat ein Song begeistert: „Toy“ von Netta aus Israel. Da sehe ich mich so ein bisschen. Das war für mich die weibliche Ikkeline. Die hat mit total verrücktem Gegockel, einer unfassbar schrägen Mimik und ganz viel Humor 2018 das Ding gewonnen. Beim ESC denke ich aber vor allem an Ralph Siegel, meinen unfassbar engen Freund, mit dem ich gestern noch telefoniert habe. Eine absolute Legende. Über ihn habe ich auch tolle Künstler wie Corinna May, Münchener Freiheit und Nicole kennengelernt. Das ist schon toll, jetzt auch ein kleiner Teil dieser ESC-Geschichte zu sein.

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