Eurovision-Urgestein Peter Urban „Ich hätte viele Gewinner auch nicht vorhergesagt“

Interview | Hamburg · Der deutsche ESC-Kommentator Peter Urban spricht über Lenas Sieg 2010, seine Favoriten für dieses Jahr, die deutschen Chancen und warum seine Showvorbereitung stark vom Hamburger SV abhängt.

 Peter Urban ist der dienstälteste unter allen TV-Kommentatoren beim ESC.

Peter Urban ist der dienstälteste unter allen TV-Kommentatoren beim ESC.

Foto: dpa/Andreas Arnold

Herr Urban, seit 1997 kommentieren Sie für das deutsche Fernsehen den ESC. Wird das nicht irgendwann langweilig?

Peter Urban Nein, langweilig wird das nicht. Aus mehreren Gründen: Es ist immer in einer anderen Stadt, es gibt immer andere Künstler und es ist immer schön, die ganzen Kollegen einmal im Jahr wiederzutreffen. Für acht bis zehn Tage im Jahr kann man das machen.

Nun kann der ESC nach einem Jahr Pause wieder stattfinden. Wie wirkt sich die Corona-Pandemie auf Ihre Arbeit aus?

Urban Wir haben kurzfristig entscheiden, dass ich diesmal den ESC ausnahmsweise aus Hamburg kommentiere. Auf ärztlichen Rat hin, mein Impfschutz ist noch nicht ausreichend. Aber unser Team ist natürlich vor Ort und liefert mir aus der Halle zu. Die niederländischen Gastgeber haben diesen besonderen ESC großartig organisiert, aber das geht nur mit sehr strengen Regeln. Nur Aufenthalt im Hotel, nur mit bestimmten Bussen oder Autos zur Halle fahren, mindestens alle zwei Tage testen. Nicht schön, aber notwendig, um Risiken zu vermeiden.

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Foto: dpa/Peter Kneffel

Was macht für Sie die Faszination aus, dass Sie auch mit 73 Jahren noch dabei sind?

Urban Ich bin damals dazu gekommen, wie die Jungfrau zum Kind. Die Sendungen, die ich im Radio mache, sind eigentlich geprägt von anderer Musik. Mich hat es gereizt, ein Fernsehereignis zu kommentieren, das international ist und einen sportlichen Spiel-Charakter hat. Als alter Sportfan habe ich die Gelegenheit genutzt. Und es hat wirklich sehr viel Spaß gemacht. Mittlerweile hat sich auch die Qualität der Musik extrem verbessert. Die Hauptsache ist aber der Live-Charakter, das Spannende, das Ungewisse und dass man auch mal sehr skurrile und lustige Sachen kommentieren kann. Seitdem es die Halbfinals gibt, lässt der Spaß im Finale leider ein bisschen nach. Dann sind die schrägen Beiträge bereits ausgeschieden. Das heißt, der normale Fernsehzuschauer, der nur samstags das Finale sieht, hat die wirklich verrückten Sachen gar nicht gesehen. Das ist wirklich schade.

Aber es ist trotzdem oft nicht die Musik, die Sie privat hören?

Urban Privat höre ich für meine Sendung neue Musik verschiedenster Stilarten. Ich spiele da aber auch mal ESC-Titel, beispielsweise aus diesem Jahr einen Hardrock-Titel aus Italien, eine Soul-Ballade aus Portugal. Der Begriff ESC-Musik ist schwierig, den gibt es gar nicht mehr. Es gibt jetzt RnB-Titel, Rock, Singer-Songwriter. Alle möglichen verschiedenen Stile. Wenn man nur in Schubladen denkt, dann ist man schon auf verlorenem Posten.

Was war in all den ESC-Jahren Ihr persönlicher Höhepunkt?

Urban Sicherlich Oslo 2010, Lenas Gewinn war schon die absolute Ausnahme. Ich war damals relativ frisch an der Hüfte operiert und musste nach der Show durch ein Fußballstadion über Tribünen und Logen zur Bühne eilen und da hochgezogen werden, damit ich überhaupt auf die Bühne kam. Ich war außer Atem. Und Lena sagte bloß: Peter, was ist denn los mit dir? Es war natürlich aber auch pure Freude. Mich persönlich hat der Sieg von Salvador Sobral 2017 sehr beeindruckt. Das war ein portugiesischer Jazz-Sänger, der ein ganz sanftes Lied sang. Vollkommen untypisch für den Wettbewerb, das hatte es zuvor noch nie gegeben.

Sie haben Lenas Sieg erwähnt. Es gibt aber auch viele deutsche Misserfolge, die Sie in den letzten Jahrzehnten miterlebt haben. Gibt es dafür einen Grund?

Urban Ich weiß gar nicht, ob das schlimmer ist als bei anderen Ländern. Auch wir hatten unsere Highlights. Es gab nicht nur Lena, sondern beispielsweise auch Michael Schulte mit seinem vierten Platz 2018. Es gab Misserfolge, weil eine Zeit lang die Auswahl der Songs nicht so glücklich geregelt war. Man hat sich auf die Schallplattenfirmen verlassen, die oft nur die zweite oder dritte Ware angeliefert haben. Das ist besser geworden, als man das selbst in die Hand genommen hat. Teilweise hatten wir auch Pech. Denken Sie an Andreas Kümmert, der 2015 den Vorentscheid gewonnen hatte und dann auf der Bühne gesagt hat, ich kann nicht dahinfahren. Mit seinem Titel und seiner Stimme wären wir unter die ersten Fünf gekommen, garantiert. Was sind wir geworden? Letzte. Es ist aber auch ein Spaßwettbewerb, es ist Unterhaltung, Show. Man muss das alles ein bisschen entspannter sehen.

Können Sie trotzdem runterbrechen, was einen erfolgreichen ESC-Beitrag ausmacht?

Urban Schwierig. Ich hätte viele Gewinner auch nicht vorausgesagt. Dass eine Hard-Rock-Band wie Lordi für Finnland in den 2000er-Jahren gewinnt, hätte ich nie gedacht. Dass der Portugiese mit dem Jazz-Song gewinnt, hätte ich nie gedacht. Generell ist die Regel: Du musst die Leute bewegen. Man gewinnt nicht mit einer kühlen Routine, man muss Emotionen wecken und zwar in ganz Europa. Große Sieger wie Conchita Wurst haben auch aus Osteuropa, aus Ländern, wo Homosexuelle eigentlich eher schlecht behandelt werden, 10 bis 12 Punkte bekommen.

Wie bereiten Sie sich auf ein ESC-Finale vor?

Urban Ich schaue mir erstmal alle Videos der Teilnehmer an, sammle Informationen. Das ist heute viel einfacher als vor 20 Jahren. Die wichtigste Vorbereitung ist dann die Proben anzuschauen, um herauszufinden: Wie ist der Auftritt? Ist der Song wirklich so gut, wird er wirklich so gut gesungen, wie es im Video scheint?

Halten Sie vor Ort feste Rituale ein?

Urban Eigentlich nicht. Am Nachmittag des Finales ist oft der letzte Bundesliga-Spieltag. Was für mich dann sehr schwierig ist. Ich muss mich einerseits vorbereiten, andererseits will ich auch die spannenden Entscheidungen mitbekommen. Und höre dann schonmal im Internet nebenbei die Fußballübertragung.

Sind Sie Fan von einem bestimmten Verein?

Urban Ich komme aus der Gegend von Osnabrück, also war ich früher mal VfL Osnabrück-Fan. Dann lebe ich seit über 55 Jahren in Hamburg und bin HSV-Fan. Ich habe da großartige Sachen erlebt, aber auch viel gelitten. Ich war zum Beispiel dabei, als sie 5:1 gegen Real Madrid gewonnen haben oder als sie den Europapokal der Landesmeister gewonnen haben. Jetzt muss man miterleben, wie sie wahrscheinlich grandios wieder auf dem vierten Platz landen und noch ein Jahr in der zweiten Liga bleiben.

Dafür wird es dieses Jahr sonntags spannender als samstags, da haben Sie weniger Stress in der Vorbereitung

Urban Das ist richtig, Sonntag ist der spannende Tag. Am Samstag wird nur entschieden, ob Köln wieder absteigt oder nicht.

Sie sind auch bekannt für die Sprüche, die Sie beim Kommentieren nach den Songs raushauen. Legen Sie sich die schon vorher zurecht?

Urban Nicht Tage vorher, aber schon bei den Proben. Es ist nicht unbedingt spontan. Die Pointe muss auf den Punkt kommen.

Gab es auch mal einen Spruch, der Ihnen nachher leidgetan hat?

Urban Einmal habe ich den englischen Beitrag schon vor dem Auftritt in einer negativen Bahn gesehen, das war nicht richtig. Die Leute sollen selbst entscheiden, wie sie einen Song finden. Außerdem habe ich mal einer sehr voluminösen maltesischen Sängerin angedichtet, dass das ein sehr runder Auftritt gewesen sei. Da gab es dann ein bisschen Stress.

Sind Sie nächstes Jahr wieder dabei, wissen Sie das schon?

Urban Davon gehe ich aus. Natürlich werde ich irgendwann aufhören, aber es ist ja kein Stress, das zu machen. Andere Leute haben Königshochzeiten bis ins hohe Alter kommentiert. Da werde ich das schon hinkriegen.

Wohin geht es denn nächstes Jahr, haben Sie einen Tipp?

Urban Nach Italien wäre mal ganz schön. Dann gibt es diese wunderschöne Ballade aus der Schweiz, von einem Mann, der extrem gut singen kann. Was könnte es noch sein? (schaut auf seinen Zettel) Nee, die anderen schaffen es dann doch nicht. Bei Malta bin ich mir nicht sicher. Das wäre auch mal ganz nett. Die wollen seit 40 Jahren gewinnen und haben es noch nicht geschafft.

Und wo landet Jendrik für Deutschland?

Urban Das ist schwer einzuschätzen, weil der Song sehr originell, aber auch nicht in eine Schublade zu stecken ist. Der klingt ein bisschen wie 30er-Jahre, dann ist ein Hardrock-Teil drin, ein Rap-Teil. Ein Zuschauer, der den nur hört, wird vielleicht nicht schlau daraus. Aber wenn man Jendrik sieht, der extrem charismatisch und ein wunderbarer Performer ist, dann kriegt der Song Leben. Ich glaube, der Song lebt vom Auftritt. Ich hoffe, dass es dann so ein Platz um 12 bis 15 wird. Wenn es besser wird, dann freue ich mich tierisch. Aber die Konkurrenz ist dieses Jahr sehr stark.

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