Erstes Halbfinale im Eurovision Song Contest Anouk durchbricht Hollands Halbfinalfluch

Malmö · Die Menschen in der Malmö-Arena wollten Anouk und sie bekamen Anouk. Die Niederlande mussten erst einen ihrer größten Stars zum Eurovision Song Contest schicken, um erstmals seit 2004 wieder das große Finale am Samstagabend zu erreichen. Beim 1. Halbfinale am Dienstagabend mussten Anouk und ihr Team auf diese Botschaft aber bis zum letzten Umschlag warten.

ESC in Malmö - im ersten Halbfinale glänzen erste Favoriten
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ESC in Malmö - im ersten Halbfinale glänzen erste Favoriten

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Dementsprechend groß war die Freude bei der gewohnt reisefreudigen, orangefarbenen kostümierte Fankolonie, die in Scharen mit ihren Wohnwagen über die Öresundbrücke gekommen ist. Bei ihrer getragenen, aber irgendwie außergewöhnlich klingenden Ballade "Birds", für die Anouk im Vorfeld keinerlei Werbung betrieb und sich als Musikvideo sogar mit einem selbstgedrehten YouTube-Clip begnügte, hatte die Niederländerin im Gegensatz zu vielen ihrer Mitstreiter auf jeglichen Klamauk verzichtet. Keine Astronautenanzüge wie bei Montenegro, keine unter Feuerwerk aufspringende Discokugel wie bei Weißrussland — Anouk überzeugte mit Gesang.

Anouk, die mit "Nobody's Wife" im Jahr 1997 auf in Deutschland einen Charterfolg verbuchen konnte, war der Rummel um ihre Person eher peinlich und verlor sich auf eine erfrischende und sympathische Art und Weise nicht in den gewohnten Phrasen wie 'Ich habe für mein Land gesungen' oder 'Europa, ich liebe euch alle'.

Die Glücksgöttin spielt mit

"Es klingt vielleicht arrogant. Aber als Umschlag neun geöffnet wurde, wusste ich, es gibt noch den zehnten Umschlag. Und weil der Kameramann die ganze Zeit um mich herumgelaufen war, dachte ich mir schon, dass ich dort drin sein würde", sagte die 38-Jährige auf der anschließenden Pressekonferenz der Qualifizierten. Auch die Startreihenfolge im Finale lässt Anouk kalt: "Wenn ein Künstler in Hälfte zwei gelost wird, freut er sich und wenn es die erste Hälfte wird, freut er sich auch."

In diesem Jahr wird die Startreihenfolge der einzelnen Shows vom Produzententeam bestimmt, nur in welcher Hälfte der Künstler auftritt, entscheidet Glücksgöttin Fortuna. So freute sich Anouk auch über ihre Startnummer in der ersten Hälfte. Dort dürfte sie eher eine untergeordnete Rolle spielen, denn am Dienstag unterstrich ein anderes Land seinen haushohen Favoritenstatus: Dänemark.

Mit Pauken und Flöten

Emmelie de Forest und ihr eingängiger Popsong mit Ethno-Elementen "Only Teardrops" zogen mit Pauken und Flöten (nicht Trompeten!) nicht nur unter großem Jubel der dänischen Fans ins Finale ein. Die 20-Jährige lag bereits im Vorfeld des Contests bei sämtlichen Fanumfragen vorne und spuckt auch bei den Buchmachern die niedrigste Gewinnquote aus. Mehr Geld würden Zocker für einen Sieg der schwangeren Birgit Oigemeel aus Estland mit ihrer Ballade "Et Uus Saaks Alguse", ihres litauischen Sangeskollegen Andrius Ponjavis mit seiner "Killers"-Kopie "Something" oder für Moldawiens Aliona Moon ("O mie") und ihrer Kombination auf Kleid und Kinoleinwand bekommen. Alle drei tauchten mehr oder weniger überraschend in einem der zehn Umschläge der strahlenden Sieger auf.

"Ich glaube an meinen Song und seine Botschaft. Als ich die vielen Fahnen im Publikum sah, konnte ich gar nicht aufhören zu grinsen", sagte die favorisierte Dänin. Die 11.000 Zuschauer waren in der Tat die eigentlichen Stars eines abwechslungsreichen Abends. Mit leuchteten Armbändern wurden sie in zahlreiche Choreographien miteinbezogen. Die Landesfahnen sämtlicher Teilnehmer- und Nicht-Teilnehmerländer rundeten trotz schwacher Akustik in der Halle das stimmungsvolle Bild ab.

Ein Riese trägt Zlata Ognevich auf die Bühne

Wenig überraschte der Einzug der Stammfinalteilnehmer Russland und Ukraine. Die Russin Dina Garipova dürfte mit ihrer emotionalen Weltverbesserungsnummer "What If", dessen Performance stark an Werbespots eines bekannten Mobilfunkbetreibers erinnert, auch im Finale ein gewichtiges Wörtchen mitreden. Ein Leichtgewicht ist die Ukrainerin Zlata Ognevich. Zu Beginn ihres Disney-tauglichen Liedchens "Gravity" wurde die gutaussehende 27-Jährige vom 2,43 Meter großen, als Riese verkleideten Igor Vovkovinskiy, seines Zeichens einer der größten Menschen der Welt, auf eine Art Felsen getragen. Im Finale dürfte Zlata ihrer Rolle als Mitfavoritin aber nicht gerecht werden. Vielleicht ist der Ire Ryan Dolan mit seiner Tanznummer "Only Love Survives" dort für eine Überraschung gut. Die Tatöwierungen der oberkörperfreien Trommler sind übrigens nur aufgemalt.

Viel ausrechnen tut sich traditionell Weißrussland. Alyona Lanskaya tischte bei ihrem potenziellen Sommerhit "Solayoh" groß auf. Die sogenannte letzte Diktatur Europas würde nur zu gerne den nächsten ESC ausrichten. Auf die Frage einer Journalistin nach mehr Offenheit und einer Demokratie im Land bei einem Sieg im Gesangsduell wich Lanskaya gekonnt aus: "Ich liebe mein Mutterland und bin stolz es hier zu vertreten." Aha.

Die Balkan-Connection scheint erkaltet

Der wohl glücklichste Mensch des Abends war aber der Belgier Roberto Bellarosa. Der erst 18 Jahre alte und noch jünger wirkende "The Voice Belgique"-Gewinner hatte beim Halbfinale für die Jurys am Vorabend noch bei seinem Song "Love Kills" mit enormen technischen Problemen zu kämpfen und durfte seinen Auftritt sogar wiederholen. Nachdem er dies geschafft hatte, fiel er seinen Background-Tänzerinnen mehr als erleichtert um den Hals. Nun muss Bellarosa eine Wettschuld einlösen und sich seine Haare abschneiden lassen — jedoch nach dem Finale.

Die einst so heiße Balkan-Connection, die sich über Jahre hinweg regelmäßig Punkte zugeschustert hatte, scheint hingegen erkaltet. Die Staaten des ehemaligen Jugoslawiens Slowenien, Kroatien, Montenegro und Serbien schieden mit den unterschiedlichsten Musikrichtungen von Tenören über Dubstep bis hin zum leichten Mädchenpop in Landessprache allesamt im Halbfinale aus. Auch mit der Österreicherin Natalia Kelly und mit Despina Olympiou aus Zypern gibt es im Finale leider kein Wiedersehen.

Die Schweden um Moderatorin Petra Mede lieferten eine im Großen und Ganzen unterhaltsame Show ohne größere Pannen ab, indem man sich selbst vor Europa nicht ganz so ernst nahm. Dafür liegt Schilda, die legendäre Heimat der Schildbürger, wohl doch in Schweden. Erst nachdem sich am Vortag beim Einlass eine rund 250 Meter lange Schlange aus geduldig wartenden Menschen am einzigen geöffneten Eingang der Halle gebildet hatte, wurden zwei weitere Wege ins Innere geöffnet. Ausgiebige Sicherheitskontrollen gab es aber nur an einem der drei Eingänge…

(pst/csi)
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