Konzert in Gelsenkirchen Ed Sheeran kann sich Seitenhieb auf Düsseldorf nicht verkneifen

Gelsenkirchen · Ed Sheeran, der größte Popstar dieser Tage, gab das erste von zwei Konzerten vor 52.000 Fans in Gelsenkirchen. Einen Seitenhieb auf die Landeshauptstadt konnte sich der Brite nicht verkneifen.

Konzert in Gelsenkirchen: Ed Sheeran begeistert seine Fans 2018
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Ed Sheeran begeistert seine Fans in Gelsenkirchen

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Foto: Christoph Reichwein (crei)

Er tritt nicht im Fortuna-Trikot auf die Bühne, und das Lied „Wärst du doch in Düsseldorf geblieben“ singt er auch nicht. Aber einen Seitenhieb darauf, dass das hier das größte Düsseldorfer Konzert ist, das nie in der Landeshauptstadt stattgefunden hat, kann er sich doch nicht verkneifen.

98 Prozent der Zuschauer hätten großen Spaß bei seinen Auftritten, sagt Ed Sheeran zwischen zwei Songs. Die übrigen zwei Prozent seien Boyfriends, die nur ihrer Freundinnen zuliebe gekommen sind, und Superdads, die ihre Töchter begleiten müssen und ständig denken: Ganz schön teure Karten, und Bäume lässt er für seine Konzerte angeblich auch fällen.

Ed Sheeran tritt vor 52.000 Fans in der Veltins Arena in Gelsenkirchen auf. Es ist das erste von zwei Konzerten. Zunächst hatte das Ereignis in Mülheim stattfinden sollen, aber das hätte der Feldlerche und dem Steinschmätzer geschadet. Dann wollte man nach Düsseldorf umziehen, aber da hätten zu viele Bäume dran glauben müssen.

Man könnte fast meinen, die Natur habe etwas gegen Sheeran. Zumal der 27-Jährige daheim auf seinem Anwesen in Suffolk eine Kapelle für die Verlobung mit seiner Jugendfreundin Cherry Seaborn nicht bauen durfte, weil das schlecht für die dort ansässigen Kamm-Molche gewesen wäre. Immerhin kann wenigstens das Konzert stattfinden, jetzt also auf Schalke.

Sheeran beeindruckt vom ersten Moment an. Er tritt ohne Band, Tänzer und Backgroundsänger auf. Er schlägt einen Beat auf den Korpus seiner Akustikgitarre, nimmt ihn mit einer Loopstation auf und spielt ihn in Dauerschleife ab, dazu Handclaps und Hintergrund-Gesang. Drei bis vier Tonspuren benutzt er und begleitet sich auf diese Weise selbst, er ist sein eigenes Orchester. „Alles live“, sagt er, das ist ihm wichtig. Er ist der Junge mit der Gitarre.

Zum Einstieg bringt er „Castle On The Hill“, das Lied über sein Heimatdorf. Die Leute sind direkt aus dem Häuschen, man spürt bemerkenswert viel Zuneigung im Stadion. Es ist, als stehe da vorne ein Freund. Das Publikum ist größtenteils weiblich und im Durchschnitt gar nicht so jung, wie mancher erwartet haben mag. Und tatsächlich sieht man hier einigen Helden des Alltags beim Großeinsatz zu: nicht nur Superdads, auch Supermoms.

Da ist der Vater, dessen Tochter ihre Espadrilles auszieht und neben sich stellt. „Das ist aber gefährlich“, warnt er, aber sie schaut nur zum Himmel, seufzt und bleibt barfuß. Da ist die Mutter, die mit dem Handy gern ein Panoramabild machen würde, aber nicht weiß, wie das geht. Die Tochter nimmt ihr wortlos das Gerät ab, wischt einmal, gibt es der Mutter zurück, dann klappt es.

Da ist die Mutter, die ihren Sohn von der Bühne wegschieben will, weil sie meint, der Sound sei weiter hinten viel besser. „Bitte, Mama!“, sagt er verzweifelt, und natürlich bleiben sie, wo sie sind. Und da ist der Vater, der der Tochter ein Fan-T-Shirt für 30 Euro kauft und mit einem schönen Satz belohnt wird: „Weißt Du, wie happy ich jetzt bin?“

Ed Sheeran lässt Projektionen über mächtige Leinwände spielen, eine Straße, das Weltall und Rosen bei „Perfect“, dem Lied über seine Verlobte. Er hat keine Angst vor Kitsch und der großen Romantik-Oper. Manchmal schmeichelt er, ab und an rappt er, und wenn er es nicht mehr aushält, hüpft er auf einen Monitor.

„Er süppelt wie ein Pferd!“, sagt eine Besucherin, und sie hat Recht, denn Sheeran greift sich nach jedem Song eine neue Flasche Wasser. Er wischt sich auch sehr oft den Schweiß aus dem Gesicht. Das hier ist Arbeit, bedeutet das. Er schließt bei Liebesliedern die Augen. Meine Gefühle sind echt, gibt er damit zu erkennen. Manchmal stampft er mit dem Fuß auf: „Sag nicht, du brauchst mich, wenn du es nicht glaubst“, singt er.

Er macht lange Ansagen. Deutschland möge er so gerne, weil es den Menschen dort um die Musik gehe und nicht um das Event. 2011 habe er das erste Konzert hierzulande gegeben, damals seien 200 Leute gekommen. Er lacht, alle lachen, und als er sagt, dass Lachen das Beste ist, was Menschen machen können, gibt es Applaus. Mancher Boyfriend guckt an dieser Stelle auf die Uhr.

Ed Sheeran ist der Popstar für alle, die eigentlich ganz zufrieden sind mit ihrer Welt. Es gibt keine Ironie bei ihm, keinen Sarkasmus und keinen Fake. Er steht für Handwerk und Ehrlichkeit, und dass das natürlich auch bloß Inszenierung ist, vergisst man bald. Wenn Rock 'n' Roll einst ein Mittel war, um sich von den Eltern abzugrenzen, ist es nun Medium der Übereinkunft.

Pop drückt hier eine Sehnsucht nach Wahrhaftigkeit aus, nach Eindeutigkeit. Und kurz denkt man, dass die Welt schöner sein könnte, wenn es überall zuginge wie auf einem Konzert von Ed Sheeran. Ein minibisschen langweiliger vielleicht, aber möglicherweise auch schöner.

Sheeran spielt einige Lieder, die auch Feldlerchen gefallen dürften. Er singt „I See Fire“ aus dem „Hobbit“-Soundtrack. Die Fans benutzen ihre Handys als Taschenlampen, elektronische Glühwürmchen, und das Ergebnis sieht toll aus: Es ist Technik, aber es rührt an. Nach rund zwei Stunden tauscht Sheeran das verschwitzte T-Shirt gegen ein Deutschland-Trikot und gibt „Shape Of You“ als Zugabe.

Ob sie bei der ganzen Filmerei überhaupt etwas vom Konzert mitbekommen habe, fragt ein Vater seine halbwüchsige Tochter beim Rausgehen. Sie stöhnt. Es wird noch ein bisschen dauern, bis sie erkennt, wer wirklich der Held dieses Abends war.

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