Musiker Thomas Battenstein Dem Krebs die Stirn gezeigt

Düsseldorf · Der Düsseldorfer Vollblutmusiker Thomas Battenstein erkrankte an Rachenkrebs und verlor seine Stimme. Doch aufgeben war für ihn nie eine Option. Der 70-Jährige hatte in seiner Frau eine treue Stütze und fand in der Liebe zur Musik einen festen Halt. Bis heute veröffentlicht er regelmäßig Platten. Sein Gitarrenspiel ist allgegenwärtig und half ihm durch die schlimmste Zeit seines Lebens.

 Der Düsseldorfer Gitarrist und Vollblutmusiker Thomas Battenstein.

Der Düsseldorfer Gitarrist und Vollblutmusiker Thomas Battenstein.

Foto: Volker Linger

Herr Battenstein, wann wussten Sie, dass Sie Musiker werden wollen?

Thomas Battenstein Mein Vater hatte in seiner Jugend ambitioniert Geige gespielt, eine Tante und eine Omi spielten sehr gut Klavier. Seit der Kindheit hatte Musik in unserer Familie ihren Platz: Klassik, Jazz und Tanzmusik war immer gegenwärtig. Ich konnte mich schon früh für die unterschiedlichsten Stile und Klänge begeistern - ich liebte Musik. Sie vermittelte mir besondere Freude, Melancholie und schwer zu beschreibende Sehnsüchte entwickeln - beeindruckend fand ich z.B. beim Jazz den spontanen Applaus nach den solistischen Einlagen der diversen Musiker. Das Doppel-Album mit dem berühmten Carnegie Concert von Benny Goodman von 1938 stand unter anderem in unserem Plattenschrank. „Muss das toll sein, so locker auf der Bühne zu stehen, zu improvisieren und das Publikum zu begeistern!“ waren sicherlich meine Gedanken dabei.

Wann haben Sie angefangen Gitarre zu spielen?

Battenstein Mit sechzehn fing ich an und brachte mir eine Menge autodidaktisch bei. Erst mit 23 nahm ich für sechs Jahre intensiv klassischen Unterricht, lernte parallel E-Gitarre und gründete während des Kunststudiums 1974 eine Politrockband. Bei Live-Auftritten sammelte ich vielfältige „besondere Momente“, die mich berauschten und motivierten, immer professioneller zu werden. In der Folgezeit entwickelte ich allmählich meinen eigenen Stil, begann zu komponieren und wurde immer mehr „Musiker“. Schon Anfang 1976 hatte ich angefangen, selber privat Gitarrenunterricht zu geben. Schülern von sechs bis siebzig Gitarre spielen beizubringen hat mich enorm selber vorangebracht - das mache ich als begeisterter Pädagoge übrigens bis heute mit großem Engagement. Das Kunstlehrer-Studium gab ich schließlich Anfang der 80er Jahre auf und lebe seitdem ausschließlich von musikalischen Aktivitäten.

2016 erkrankten Sie lebensgefährlich schwer an Rachenkrebs. Wie denken Sie zurück an diese Zeit?

Battenstein Das ist ein großes Thema in meiner Autobiographie und beginnt mit Kapitel 28 „Wie ein Tsunami - der Krebs“. Bei der ausführlichen Schilderung dieser Wochen und Monate kamen alle Erinnerungen wieder hoch und der Schrecken wieder ganz nah - meine Frau hat es kaum lesen können, was sie selber während meiner Zeit im Krankenhaus täglich abends im PC protokolliert hat. Ich habe diese Aufzeichnungen in meinen Buch-Text integriert. Das alles ist schon ziemlich harte Kost! Das erste halbe Jahr nach der OP war die schlimmste Zeit in meinem Leben. Ich war wirklich ganz unten. Die gesundheitlichen Schäden sind immer gegenwärtig: die Stimmschädigung, die Schluckstörung (ich habe einen Schwerbehinderten-Ausweis), die teilweise tiefen Narben an der rechten Halsseite, die Veränderungen der linken Gesichts- und Mundhälfte, die Tatsache seit fünf Jahren 35 Kilo weniger auf die Waage zu bringen.

Doch rumjammern gab es für Sie nicht.

Battenstein Ich habe nie gehadert und von Anfang an versucht, mein Schicksal anzunehmen und das Beste daraus zu machen. Meine Frau Carola stand an meiner Seite - welch ein Glück! „Jetzt erst recht“ wurde die Devise, aus der sich auch das Buchthema „Einfach weitermachen“ entwickelt hat. Ich wundere mich selber, mit welcher Gelassenheit ich auch heute noch damit umgehe. Immerhin wurden im September 2020 erneut Metastasen an den Bronchien entdeckt, die mit 32 Bestrahlungen von Dezember bis Januar 2021 behandelt wurden - Gott sei Dank mit Erfolg! In diese Zeit fielen meine Buchveröffentlichung Anfang Dezember und die Vorbereitungen zum Doppel-Album „Soundtrack Of My Life“, das im Februar 2021 veröffentlicht wurde.

„Einfach weitermachen“ ist einer der besten Therapeuten-Ratschläge überhaupt. Woher nehmen Sie diesen eisernen Willen?

Battenstein In der Schilderung meiner Lebensgeschichte leite ich das zum Teil aus der Herkunft ab und schildere das auch ausführlich: Die Überwindung der schweren Kriegs- und Nachkriegsjahre haben unsere Familie nachhaltig geprägt. Meine persönliche Entwicklung in der Kindheit und Jugend war sehr individuell – selten habe ich den einfachsten Weg genommen - bin mehr als einmal Umwege gegangen, die zu ganz neuen Zielen geführt haben. Diverse Rückschläge habe ich gelernt wegzustecken und daraus neue Energien entwickelt.
Der lapidare Satz meines Vaters „Beharrlichkeit führt zum Ziel“ sitzt tief - auch sein oft zitiertes „carpe diem“, das mich als Jugendlicher oft nervte, habe ich viel mehr verinnerlicht, als ich lange nicht wahrhaben wollte. Dass „Einfach weitermachen“ oft gar nicht so „einfach“ ist, liegt auf der Hand. Es ist wie ein „Überlebensautomatismus“, der unmittelbar einsetzt und verhindert, groß darüber nachzudenken und mit Grübeln anzufangen – das Licht am Ende des Tunnels ist näher als man denkt. „Just continue“ sagt der Engländer – Kontinuität ist auch etwas sehr Überlebenswichtiges. Und „Carry On“ hat mein hochverehrter J.J. Cale schon gesungen.

Sie können seitdem nicht mehr singen, sondern nur noch Gitarre spielen. Wie hat Sie das als Künstler verändert?

Battenstein Mir fehlt natürlich das emotionale Ventil, zu singen und mich damit unmittelbar auszudrücken, an allen Ecken und Enden. Mein Repertoire an Songs - von Oldies über Jazz und Folk war gewaltig und bediente alle Stimmungen. Damit habe ich zudem auch ganz gut Geld verdienen können und auch im Gitarrenunterricht einsetzen können. Künstlerisch gibt es trotzdem eine Menge Möglichkeiten - Gitarre rein instrumental ist ein weites Feld, und ich habe einiges Material auf Halde liegen, das realisiert werden will.

Der Blick auf Ihr Leben hat sich seitdem völlig verändert. In welcher Form?

Battenstein „Völlig verändert“ würde ich nicht unbedingt sagen. Ich möchte als Antwort Teile meines Epilogs von Seite 1112 zitieren: „Welche Gedanken begleiten mich auf diesen letzten Seiten meiner Autobiographie? Schon im Prolog zog ich ein erstes positives „Resümee meines Lebens“. Heute kommt es mir fast so vor, als wäre ich nun nach einer ganz langen Reise durch viele Länder, Städte und Landschaften nach Hause zurückgekehrt - eine Reise durch 114 Jahre Familiengeschichte mit allen nur denkbaren Ereignissen und Eindrücken, die mich oft in Atem gehalten, aber auch wiederholt sehr nachdenklich gemacht haben.

Klingt aber total spannend...

Battenstein Noch nie in meinem ohnehin schon so prall vollen Leben habe ich so viel Bemerkenswertes unter neuen Aspekten nacherleben, sehen und fühlen können wie beim Verfassen dieser 33 Kapitel - dazu die vielen so emotional erfüllten Fotos voller Erinnerungen aus all den Jahren. So ganz kann ich selber noch nicht begreifen, was hier seit September 2019 entstanden ist. Bei diesem Zieleinlauf auf Seite 1112 fühle ich mich entspannt, bereichert, zufrieden und bin dabei auch noch voller Dankbarkeit, meine Herkunft, mein Leben und meine Musik in eine für hoffentlich viele Leser nachvollziehbare Form gebracht zu haben. Das tägliche Schreiben hat mir unendlich viel gegeben und mir wie in einem selbst verordneten, psychoanalytischen Prozess einen klareren Blick verschafft, mir mein gelebtes Leben mit all den menschlichen Begegnungen heranholen und begreifen zu können. Dazu kamen die durch meine Krebserkrankung neu gewonnenen Aspekte existentieller Grenzerfahrungen, die mir auch die Themen Verzicht, Vergänglichkeit, Sterben und Tod näher gebracht haben. Damit einher ging aber auch die nachhaltige Erkenntnis, wie kostbar unser Leben ist - dieses großartige Geschenk, auf der Welt sein zu können - mit der Herausforderung an jeden, das Leben bewusst zu gestalten, etwas Sinnvolles aus diesem Dasein zu machen und es so oft wie möglich mit all seinen Möglichkeiten zu genießen.

Sie haben Ihre Autobiografie geschrieben. Warum haben Sie sich dazu entschlossen?

Battenstein Schon an meinem 60. Geburtstag 2011 hatte ich erstmals von diesem Vorhaben gesprochen. Dann haben mich einige Ereignisse zunächst davon abgelenkt. Die Überwindung meiner Krankheit mit all den einhergehenden Veränderungen meiner Lebenssituation ließ mich unter neuen Vorzeichen auf meine Herkunft, auf mein Leben und auch auf meine musikalische Entwicklung blicken. Das Bedürfnis, mich mitzuteilen, wurde noch verstärkt durch meine sprachliche Behinderung. Mich schreibend auszudrücken und mir so ziemlich alles von der Seele zu schreiben war somit auch ein Befreiungsakt.

Sie haben ein eigenes Label und einen Buchverlag. Ausruhen gibt es für Sie nicht, oder?

Battenstein Mit der Gründung des Verlagslabels TOMTE MUSIC 1991 hatte ich mir die Möglichkeit verschafft, völlig unabhängig meine Musikproduktionen zu veröffentlichen. Da ich zu dem sehr erfolgreichen ersten CD-Album STILLE NACHT ein Noten- und Textbegleitbuch herausgab, war ich auch gleich im Besitz einer ISBN-Nr., die für Buchveröffentlichungen wichtig ist. Wer einmal den gesamten Entwicklungs- und Produktionsprozess einer CD-Veröffentlichung durchmacht, hat eine Menge gelernt und durchläuft mit fließenden Übergängen die Berufe Musiker, Komponist, Arrangeur, Produzent, Tontechniker, Label-Designer, Produkt- und PR-Manager mit Kontaktherstellung zu den Medien, Vertreter mit Musterkoffer, Versandmanager.

Das Wort Relaxen gibt es für Sie nicht, oder?

Battenstein (lacht) Wenn ich wie derzeit gleich zwei Veröffentlichungen am Start habe, gibt es wahrhaftig kein Ausruhen - und Corona macht alles noch schwieriger. Dazu kommen die ganz neuen Erfahrungen als Buchautor und die Konfrontation mit dem komplexen Buchmarkt. Die Kultur-Journalisten verschanzen sich im Homeoffice und die Buch- und CD-Muster liegen in den Redaktionen rum. Mal abgesehen davon, dass wöchentlich der Buch- und Musikmarkt mit aktuellen Veröffentlichungen überflutet wird und es ungeheuer schwer ist, sich als Einzelakteur Gehör zu verschaffen, der wahrhaftig alles alleine auf die Beine stellt. „Einfach weitermachen“ und dranbleiben ist auch hier die Devise - gepaart mit sehr viel Geduld!

Wie leben Sie heute? „Einfach weitermachen“ bezeichnen Sie als eine Hymne an die Liebe, das Leben, die Freunde, die Familie, die Natur und vor allem auch an die Musik.

Battenstein Wer auf www.einfach-weitermachen.de die Leserpost liest, wird nachvollziehen können, dass ich mich sehr bestärkt fühle, so teilweise geradezu schonungslos offen über mein Leben berichtet zu haben. Dazu kommen viele persönliche Gespräche und permanente E-Mail- und WhatsApp-Korrespondenz. Die Authentizität geht den Lesern nahe und sie fangen an, über ihr eigenes Leben nachzudenken und zu erzählen. Für das WIR Magazin wurde ich gebeten, einen Artikel zum Thema „Durchalten“ zu schreiben. Die positive Grundhaltung, das Leben, die Menschen, die Umwelt und die Musik als Lebenselixier zu begreifen, öffnet die Herzen.

Gab es auch mal Momente, in denen Sie ans Aufgeben gedacht haben? Als Künstler und als Mensch?

Battenstein Es gab auf der Intensivstation nach der 12-Stunden-OP im Februar 2016 tatsächlich solche Momente. Da schrieb ich mit krakeliger Schrift „Ich will nicht mehr“. Da hatte ich ein sogenanntes „posttraumatisches Durchgangssyndrom“. Als die Psychopharmaka auf meinen Wunsch hin abgesetzt wurden, ging es wieder aufwärts. Ich hing trotz meines grauenhaften Zustandes am Leben und wollte allein schon wegen meiner Carola nicht aufgeben und ihr beweisen, dass ich es schaffen kann, ins Leben zurückzufinden. Ich konnte nach der Rachenkrebs-OP übrigens fast ein halbes Jahr nicht sprechen. Als Künstler habe ich ebenfalls nie ans Aufgeben gedacht. In meiner Biographie gibt es ein Bild, wo ich auf dem Krankenbett sitzend sehr bald wieder Gitarre spiele. Sehr bald wurde die Türe meines Zimmers geöffnet, damit die Gitarrenklänge möglichst weit auf der Station zu hören waren.

Sie waren oft Einzelkämpfer ohne feste Partnerin. Wie sehr haben Sie darunter gelitten, gerade in der Zeit der Krankheit?

Battenstein Gelitten habe ich in meinen Single-Zeiten nicht wirklich. Ich hatte ja seit der Jugend eine Reihe Beziehungen und Erfahrungen - von allen berichte ich im Buch. Die stillen, manchmal auch einsamen Phasen meines Lebens haben zudem viel schöne Musik entstehen lassen - mit meiner Gitarre war ich nie ganz allein. Und als ich so krank wurde, war Carola mein großer Rückhalt. Das hat uns so zusammengeschweißt, dass wir eineinhalb Jahre nach der OP geheiratet haben - sogar voll Überzeugung mit kirchlicher Trauung. Da hatte ich sogar noch meinen Luftröhrenschnitt, der erst im Mai 2018 verschlossen wurde.

Sie haben seit 1991 zwanzig CDs veröffentlicht und reichlich Erfahrungen als Gitarrist sammeln können. Was bedeutet ihnen das Gitarrenspiel heute?

Battenstein Ich mache es kurz: Sehr viel. Nachdem in den letzten zwei Jahren meine Autobiographie absolut im Vordergrund stehen musste, freu ich mich jetzt auf den Sommer - mit viel Zeit zum Spielen, Üben und auch wieder Komponieren - denn Pläne habe ich immer. Die Arbeit im Winter an meiner Doppel-CD „Soundtrack Of My Life“ hat mir einmal mehr gezeigt, wie wichtig mir meine Gitarrenspiel ist und immer war. Und wer mich mit meinen Schülern im Unterricht erlebt, weiß, wie sehr ich für die Musik brenne - egal ob ich mit absoluten Anfängern oder fortgeschrittenen arbeite. „Carpe momentum“ - jede Stunde Musik ist eine Bereicherung. Sie schafft lebenslang freundschaftliche Verbindungen - ob zu Musikern, Tontechnikern, Grafikern, Fotografen, Kunden, Fans und zig Gitarrenschülern. Wer die letzten Kapitel meiner Biographie liest, wird das sehr gut nachvollziehen können.

Ihnen war immer ein eigener, individueller Weg wichtig - bei der Musik wie auch beim Schreiben. Warum war das so?

Battenstein Meine Individualität hat sich wohl schon in der Kindheit in der Abgrenzung zu meinen größeren Geschwistern entwickelt – zumal mein großer Bruder und meine Schwester eine ziemliche Nähe hatten, die bis heute angehalten hat. Ich habe mir auch immer gerne bei älteren Freunden und Bekannten Ideen, Hobbys und andere Anregungen abgeguckt und mein Ding draus gemacht. Auch hier gab es eine wiederholte Aufforderung meines Vaters: „Werde eigenständig!“ Das implizierte auch das Streben nach Unabhängigkeit und später auch die Verpflichtungen, die man mit seinen Anlagen und Möglichkeiten, aus dem Leben was zu machen, mitbekommt. An dem Spruch „Talent verpflichtet“ ist was dran – daraus erwächst im Laufe des Lebens ein innerer Auftrag, immer was schaffen zu müssen und zu wollen. Viele Künstler sind kreativ bis zu ihrem letzten Tag.

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