„The Sum Of It All“ bei Disney+ Ed Sheeran schüttet in neuer Doku-Serie sein Herz aus

Düsseldorf · Der Aufstieg von Ed Sheeran als Doku-Serie: In „The Sum Of It All“ erzählt der 32-Jährige auch die Tiefpunkte seiner Erfolgsgeschichte. Der heimliche Star der Produktion ist allerdings seine Frau Cherry.

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Das ist Ed Sheeran

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Foto: AP/Hannah McKay

Früher wurden Popstars meist beneidet, heute werden sie oft bemitleidet. Auf diese Formel kann man die vielen Dokus bringen, die von Künstlerinnen und Künstlern erzählen und zuletzt in hoher Frequenz von den Streamingdiensten ins Programm genommen wurden. Die neueste Produktion handelt in vier Episoden von Ed Sheeran, dem erfolgreichsten Songschreiber der vergangenen zehn Jahre. Sein Hit „Shape Of You“ war das meistgestreamte Stück bei Spotify, nun steht es auf der ewigen Bestenliste immerhin noch auf Platz zwei hinter „Blinding Lights“ von The Weeknd. Glücklich ist der 32 Jahre alte Brite deshalb aber nicht, das legen die rund zwei Stunden nahe. Wobei er im Grunde zwar schon glücklich ist, aber doch nicht komplett und fortwährend, überall lauern nämlich Gefahren, deshalb ist er eher dankbar als froh. Irgendwie so.

„The Sum Of It All“ ist das Format bei Disney+ betitelt, für das Ed Sheeran sich über das Jahr 2022 hinweg mit der Kamera begleiten ließ. Und dass der Mann, der seine Alben „+“, „x“ und „÷“ betiteltet hat, ausgerechnet bei der Plattform unter Vertrag steht, die einen mathematischen Operator im Namen trägt, gehört noch zu den lustigeren Momenten der Veranstaltung. Es heißt bei solchen Gelegenheiten ja gerne, die Aufnahmen seien „ungefiltert“, aber in Wirklichkeit dienen sie dem Star natürlich dazu, seine Version der Geschichte zu erzählen und die Hoheit über seine Story zu behalten. Die Story von Ed Sheeran wird in Folge eins in bloß etwas mehr als zehn Minuten erzählt: Der rasante Aufstieg vom bebrillten Kind mit Hip-Hop-Vorliebe zum Gitarrenbarden mit Drang nach London und schließlich zum Weltstar. Sheeran kam über die Ochenstour zum Erfolg, das weiß man, und schon bald sieht man ihn in Wembley vor mehr als 60.000 Menschen spielen.

Die Bilder sind so schnell geschnitten, dass die Augen tränen, und nach 16 Minuten ist man ganz besoffen vom Glück, denn bis dahin wird auch noch die Liebesgeschichte mit seiner Frau Cherry Seaborn ausgerollt: Sie fanden einander schon in der Schule toll, knutschen aber nur, Cherry ging dann nach New York, Ed alleine in die englische Hauptstadt, und weil sie beide irgendwie heimatlos waren, kamen sie wieder zueinander: „Well, I found a girl, beautiful and sweet“, heißt es in „Perfect“, jenen Song, den Sheeran als seinen besten bezeichnet. In einer mit wackliger Handkamera gefilmten Szene singt er für Cherrys Babybauch.

Die Logik aktueller Star-Dokumentationen gibt nun vor, dass nicht nur der Aufstieg erzählt werden darf, sondern vor allem die Tiefschläge und Traumata verhandelt werden sollen. So war es bei den teils sehr beklemmenden Produktionen über Justin Bieber, Demi Lovato und Selena Gomez. Und so gibt es gegen Ende von Folge eins der Ed-Sheeran-Doku denn auch einen ziemlich krassen Bruch: Bei einer zunächst ausgelassenen Mal- und Farb-Session im Atelier eines Pariser Künstlers erzählt Cherry nebenbei, dass bei ihr Krebs diagnostiziert worden sei, während sie im sechsten Monat schwanger war. Später erfährt man, der Tumor im Arm sei gottseidank nicht so schlimm, wie zunächst vermutet. Aber am Tag nach der Hoffnung gebenden Diagnose sei Sheerans 31 Jahre alter Freund Jamal Edwards gestorben, dessen Engagement und Youtube-Kanal er seinen frühen Ruhm verdankt.

In „The Sum Of It All“ stellt sich Ed Sheeran als Jungen vor, der auf dem Boden geblieben ist, am liebsten T-Shirts trägt und seine besten Kumpel im Tournee-Management installiert hat, um sie immer bei sich zu haben. Er spricht aber auch über die Wunden, die ihm der Tod des Gefährten und die Angst vor dem Verlust seiner Familie zufügen, zu der neben Cherry auch die beiden Töchter und seine Eltern gehören. Das wird manchmal raunend vorgetragen. Cherry etwa spricht plötzlich davon, dass Ed das alles noch gar nicht verarbeitet habe. Die Traurigkeit, den Aufstieg, die Sorge. In jeder Folge werden die Schicksalsschläge neuerlich verhandelt.

Natürlich fragt man sich, warum Sheeran keine Auszeit nimmt. Aber auch darauf gibt es eine Antwort: Er ist ein Workaholic, der vor den Fährnissen des Lebens in Auftritte und Songwriting-Sessions flüchtet. Dort fühlt er sich sicher. Und so hetzt man mit ihm durch die Arenen der Welt, steht mit ihm neben Eminem und Beyoncé und lässt sich erzählen, dass er nach Cherrys Krebsdiagnose in den Keller ging und sieben Lieder in vier Stunden schrieb.

„The Sum Of It All“ (Regie: David Soutar) ist die manchmal stark redundante Erzählung eines Popstars am Vorabend des Erscheinens seines neuen Albums „Subtract“. Das hat er schon vor einiger Zeit als sein persönlichstes angekündigt, er öffne darauf die Falltüren seiner Seele, sagte er. Der heimliche Star der Serie ist allerdings nicht Ed Sheeran selbst, sondern seine Frau Cherry. Am liebsten würde man Disney+ vorschlagen, ihr ein Special zu widmen. Sie ist das Korrektiv, die Stimmungskanone. Bei ihr wirkt nichts gespielt, und wenn das Paar Anekdoten des Kennenlernens und Verliebens erzählt, löst Cherry alle Peinlichkeit und Beklommenheit mit einem Lachen auf.

Der britische Popstar Ed Sheeran.

Der britische Popstar Ed Sheeran.

Foto: AFP/ANGELA WEISS

Ed Sheeran ist also trotz allem und alles in allem ein glücklicher Mann. Er weiß das, er ahnt es zumindest, und das macht ihn schon wieder sympathisch. + ÷ - = +x+. Oder anders gesagt: „I don’t deserve this / You look perfect tonight.“

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