Mehrfach-Einspielungen in der Klassik Die Kunst der Wiederholung

Düsseldorf · Herbert von Karajan, Alfred Brendel und viele andere Musiker haben einige Werke mehrfach aufgenommen. Dahinter steckte nicht nur die Lust, die Mängel früherer Einspielungen zu tilgen und gewachsene Reife zu dokumentieren. Manchmal herrscht auch nur der Markt mit seinen Gesetzen.

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Foto: ddp

Wenn Wagner-Enthusiasten zu vorgerückter Stunde den Verfall der Singkunst beklagen, zitieren sie die guten alten Zeiten, da es in Bayreuth noch echte Heldentenöre und echte hochdramatische Soprane gab. Kommt die Rede auf "Parsifal", nennen Connaisseure nur noch Jahreszahlen: "Ich bevorzuge Knappertsbusch von 1956, auch wegen der Mödl als Kundry!" Sagt der andere: "Nee, lieber Knappertsbusch von 1962, klangtechnisch sowieso und auch wegen Hotter als Gurnemanz." Kontert der Dritte: "Vergesst mir nicht Knappertsbusch von 1960! Ich sage nur: Hans Beirer in der Titelpartie!"

Sind diese und viele Bayreuther Aufnahmen die Früchte ohnedies angefertigter Mitschnitte, so öffnen sie dem Ohr die Möglichkeit zur bösesten Konkurrenz: der Künstler im Wettbewerb mit sich selbst. Wurde er über die Zeit kompetenter? Oder nahm seine Leidenschaft ab, und ihn interessierten nur noch die Kohle, der Ruhm und die Sättigung des Marktes? Was verändert sich überhaupt, wenn ein Musiker ein Werk abermals aufnimmt?

Während der gute Hans Knappertsbusch, wie er mitten im ruhigen Strom des Stücks am Pult stand, nie daran dachte, dass jemand diesen "Parsifal" mitschnitt, so dachte Herbert von Karajan im Lauf seiner Karriere an nichts anderes. Die frühe Zeit blieb von dieser Selbstkontrolle am ehesten verschont: Es gibt da eine "Eroica" aus den 40er Jahren aus Berlin oder die kompletten Beethoven-Sinfonien von 1954 mit dem Philharmonia Orchestra London, da war Karajan sündig schnell unterwegs, Sportsmann durch und durch, aber auch erglüht von der Lust am Feuer.

Karajan justierte nach

Man hörte sozusagen Chromlack, produziert von einem Mann, der nebenbei schnelle Autos liebte. Drei Mal sollte Karajan diesen Reproduktionsprozess wiederholen, 1961, 1977 und 1985 — und mit der Zeit gerieten dieselben Sinfonien immer weicher gezeichnet, atmeten den Duft erlesener Hölzer, es war zunehmend Ernte, nicht mehr Befragung. Zwar wienerte der Maestro immer noch einmal nach, bevor er Beethoven, den glühenden Kessel, vom Feuer nahm und ihm beim Dampfen zusah. Am Ende, ganz klar, steckte in dem Topf eine Art mildes Testament.

Bei Karajan wurde die notorische Neigung zur Wiederholung auch von außen reguliert: Er hatte das Label gewechselt, von der EMI zur Deutschen Grammophon, und die wollte den Meister natürlich ebenfalls mit dem sinfonischen Hauptkomponisten im Katalog haben. Später wurde die Aufnahmetechnik immer besser, und Karajan wollte seinerseits nachlegen. Dann wollten auch die Berliner Philharmoniker noch einmal kassieren. Neue musikalische Erkenntnis war allseits nachgeordnet, die Gesinnung typisiert: zügig, sinnlich, kompakt, Abwehr von Tiefe. Nur die Außenhaut des Klangs und das Mischpult modulierten sich leicht.

Das war bei dem Pianisten Alfred Brendel anders — sein Beethoven wandelte sich über drei Plattenzyklen mehrfach, und man hört noch heute die (Um-)Denkprozesse, die zwischenzeitlich vorgefallen sein müssen. Brendel ging den immer komplizierteren Weg, der ihn zum Kompliziertesten führte: zur Einfachheit. Brendels Beethoven entmaterialisierte sich, er wurde auch geistreicher, am Ende fast lakonisch. Beim ersten Durchgang hörte man noch Brendels Furcht vor diesen 32 Sonaten, und man spürte seinen Wunsch, im Reisegepäck die größte Ernsthaftigkeit seines Lebens griffbereit zu haben.

Werden die Genies im Alter langsamer?

Werden Musiker langsamer, wenn sie reifen? Sind die Hummeln ausgeflogen? Diese Frage verträgt keine kategorische Antwort. Von Glenn Gould wurden zwei Aufnahmen der "Goldberg-Variationen" berühmt: die frühe, überfallartige von 1955 und die späte, herbstliche von 1981. Yin und Yang? Davor und dazwischen gab es von Gould Hybrid-Versionen des Werks, die Tempi, Dynamik und Anschlagsdetails launig kombinierten. Manchmal erlaubte sich Gould den Spaß, ein Werk gegen den Kanon zu spielen, wie bei Brahms' 1. Klavierkonzert d-moll unter Bernstein in New York geschehen: Soooo langsam! Wenig später gab Gould das Opus daheim in Kanada, und der Mitschnitt kichert fast: Alles total normal hier!

So geraten denn viele in Konfrontation mit sich selbst; besonders Pianisten, Sänger und Dirigenten sind von der Repetitionssehnsucht befallen, um Reife zu dokumentieren. Oft ist es auch der Wunsch nach Optimierung: Wer eigenen Aufnahmen begegnet, kennt trotz perfekter Technik ihre Mängel, ihre Kleckerflecken auf dem Revers. Tief sitzt zuweilen die Gewissheit, dass beim ersten Mal die Bedingungen nicht optimal waren. Und so hat Großmeister Philippe Herreweghe soeben Bachs h-moll-Messe ein drittes Mal aufgenommen. Wie zur Renovierung hatte er zuvor ein neues Label gegründet, es heißt Phi wie Philippe — und hier, bei dieser neuen h-moll-Messe, muss man sagen: Sie hätte nicht schöner gelingen können. Vor uns steht das reine Werk, trotzdem hat es Farbe im Gesicht. Aber nie ist es Make-up.

In Zukunft werden wir zu später Stunde, wenn wir von der h-moll-Messe sprechen, mit fester Stimme sagen können: "Ganz klar, Freunde — Herreweghe von 2012!"

(RP/felt)
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