New York Die Demontage des Geigenlehrers Suzuki

New York · Shinichi Suzuki ist der legendäre Erfinder eines - umstrittenen - Geigenunterrichts, der Kinder früh beginnen lässt und sie ans Spiel in der Gruppe gewöhnt. Nun behauptet ein Blogger, der Japaner habe seine Biografie gefälscht.

"Wer von Grund aus Lehrer ist, nimmt alle Dinge nur in Bezug auf seine Schüler ernst - sogar sich selbst." Diesen Aphorismus hat Nietzsche in sein Opus "Jenseits von Gut und Böse" gestempelt, früher hing er in etlichen Lehrerzimmern, wird dort aber heute als Anleitung zur Selbstpreisgabe abgelehnt. Lehrer benötigen vor allem ein robustes Ich-Gefühl, sonst gehen sie unter im Frechgeschrei von Schülern, die nicht zu bändigen sind.

Mancher Lehrer - das lehrt die Erinnerung an die eigene Schulzeit - besaß mythische Eigenschaften; allein die Nennung seines Nachnamens genügte, dass alle Welt in Ehr und Furcht erstarrte. So einer war der japanische Geigenlehrer Shinichi Suzuki. Nach ihm ist eine eigene Methode des Lernens benannt, das auf zwei Säulen fußte: Schüler sollten sich sehr früh und fast muttersprachlich, also ohne Noten, einem Instrument nähern; zudem sollten sie im Gruppenunterricht den pädagogisch aufbauenden Wert gemeinsamen Musizierens erleben.

Aus dieser Lehre wurden später, zumal in Japan, Konzertformate abgeleitet, die eher an Massenkinderhaltung als an animierendes kindliches Teamwork denken ließen. Vergessen wurde bei aller Kritik an Suzukis Thesen oft, dass er als Übervater eines Systems durchaus auf einem philosophischen Fundament steht, das im modernen Nachvollzug vieler Suzuki-Lehrer leider oft weichgespült wird. Diese Missachtung eines Theorems hat den Meister selbst regelmäßig gequält, wobei er ausgiebig Zeit hatte, sich aufzuregen - Suzuki wurde 99 Jahre alt.

Nun kommt posthum mehr als nur eine freche Bogenspitze aus den USA auf den Meister zu. Der Geiger und Blogger Mark O'Connor behauptet, dass Shinichi Suzuki seine Biografie arg frisiert habe. Statt ein von Prominenten empfangener und von bekannten Lehrern unterrichteter Instrumentalist sei er bloß ein in Berlin abgewiesener Autodidakt gewesen - mithin ein Fälscher.

In dem Blog legt er Beweise dafür vor, dass Suzuki kein Schüler des berühmten Berliner Pädagogen Karl Klingler war, wie Suzuki selbst oft angegeben hat, sondern in Berlin beim Vorspiel sogar abgelehnt wurde. Auch einen Doktortitel, den er benutzte, habe er nie erworben. Und seine Kontakte zu Albert Einstein hätten sich darauf beschränkt, als Verkäufer von Suzuki-Geigen von ihm ein Autogramm erhalten zu haben. Zudem hätten der legendäre Cellist Pablo Casals und seine Gattin zwar tatsächlich in Japan einer Geigenklasse Suzukis einen Besuch abgestattet. Was ihnen dort vorgeführt worden sei, hätten sie allerdings "mit Schrecken" zur Kenntnis genommen.

Die international gut vernetzte Suzuki-Gemeinde hat naturgemäß mit vollorchestraler Empörung auf O'Connors Blog reagiert. Suzuki habe etliche Ehrendoktor-Titel verliehen bekommen; fraglos dürfe er sich mit "Doktor" anreden lassen. Und bei Einstein könne es sich um eine Verwechslung O'Connors handeln, denn Suzuki habe ja mehrere Brüder gehabt, die alle - wie auch der Vater - als Geigenbauer gehandelt hätten. Ohnedies solle sich O'Connor als Kritiker des Geigenpapstes zurückhalten: Er sei nur eifersüchtig, weil seine eigene Geigenschule nicht so viel Zulauf habe.

Die Kritik an den möglichen Fälschungen sollte nicht von den Fakten ablenken. Unter pädagogischen Erwägungen ist das Suzuki-Modell tatsächlich so lobens- wie tadelnswert. Es kann, wenn die Gerte aus dem Übungsraum verbannt bleibt, eine Förderung für Hochbegabte sein, die von sich aus Spaß am fleißigen Musizieren haben. Das vom Meister gelehrte Gruppenmodell mag als Disziplinierungsinstrument taugen; für intuitiv und langsam lernende Schüler kann es jedoch die Höchststrafe sein, wenn sie im Vergleich mit anderen zu versagen glauben.

Außerdem ist das Suzuki-Diktat, das tägliche Übepensum nicht zu vernachlässigen, sondern tunlichst auszubauen, mehr als zweifelhaft. Kinder gedeihen musikalisch immer noch am besten, wenn der Leistungsdruck tunlichst nicht zu hoch ist und keinesfalls auf ihnen lastet. Der kann auch hausgemacht sein: Manche Kinder neigen dazu, sich selbst zu überfordern.

Suzukis Methode wird die Debatte überleben; O'Connor kämpft ja gegen Windmühlenflügel. Der Konzern aus Millionen Geigern ist gewaltig. Aber die Suzukisten werden prüfen müssen, ob die Legende nicht doch ein Märchen war.

(RP)
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