Reingehört ins neue Album "Delta Machines" Depeche Mode zelebriert die Langeweile

Düsseldorf · Die britische Band stellte am Dienstag ihr neues Album "Delta Machine" ins Internet. Es hat nichts mehr mit den Großtaten von einst gemein.

50.000 feiern Depeche Mode
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Jetzt ist die Zeit reif, dass man diese Band an ihre Verantwortung erinnert. Die Musiker dürfen nicht irgendwas abliefern frei nach dem Motto "Es muss halt wieder ein Album her", weil sie inzwischen nun mal Großgewerbekünstler sind.

Depeche Mode scheint das vergessen zu haben, jedenfalls mag man nicht glauben, dass man tatsächlich hört, was man hört, wenn man die neue Platte hört. Seit Dienstagmorgen steht sie als Datei im Internet, am Freitag kommt sie auf CD in die Läden: "Delta Machine" heißt die aktuelle Produktion einer der größten Bands der letzten 30 Jahre. Sie ist so langweilig, dass man am Ende nicht mehr pfeifen kann, weil man ständig gähnen muss.

Es zeichnete sich ja bereits 2009 ab, damals erschien der Vorgänger "Sounds Of The Universe". Die erste Single "Wrong" war noch wild und toll, der Rest tuckerte so vor sich hin; die Schule der Geläufigkeit. Depeche Mode, so lautete der Verdacht, ist nur mehr eine dieser Superstar-Gruppen, die es noch gibt, weil man mit Tourneen viel Geld verdienen kann.

Einer der charismatischsten Performer des Pop

Tatsächlich waren die Konzerte dann gewohnt großartig, grandios mitunter. Andy Fletcher stand am Keyboard wie eine Wachsfigur seiner selbst, Martin Gore glänzte silbern und strahlte die gelangweilte Duldsamkeit des Erwachsenen unter Kindern aus.

Und über allem thronte der Schmerzensmann, diese Mischung aus runtergewirtschaftetem Elvis und durchs Ohr gekniffenem Wanderheiligen. Wer Dave Gahan in Lederweste auf dem Steg knien sah, der von der Bühne ins Publikum führt, und wer dazu 50.000 Leute hörte, wie sie dem Sänger sein Lied wegnehmen und die Zeile "Words are very unncessary" aus dem Song "Enjoy The Silence" rufen, wird unterschreiben, das der 50-Jährige einer der charismatischsten Performer des Pop ist.

Nur damit das klar ist: Man regt sich über diese Band nur deshalb auf, weil man sie liebt. Was hat sie einem für wunderbare Erlebnisse beschert! Zu Beginn machten sie Synthie-Pop, beschwingt und fröhlich — "Just Can't Get Enough" hieß der erste große Hit, 1981 war das.

Danach stieg Vince Clarke aus, er gründete Yazoo und Erasure, und zu Depeche Mode gesellte sich Alan Wilder; da war Schluss mit der Heiterkeit. Depeche Mode sangen von Zweifeln und Ausgeschlossensein, ihre Stücke kündeten von den Anfechtungen des Gegenwartsmenschen, und sie malten bunte Songgemälde nur mit dem Dunkel der Finsternis.

Elektrogezwitscher und Industrieklänge, Sirenen, Hammerschläge, das war der Sound, der einen rasend machte, das hatte etwas, und obwohl sie die erfolgreichsten Vertreter des Genres waren, galten sie weiterhin als Avantgardisten.

Der Aufstieg zu Superstars gelang 1990 mit dem Album "Violator" und Kolossal-Schwelgereien wie "Personal Jesus". Nun spielten sie in jener Liga, in der U2 bereits zuhause war, Coldplay sollte folgen. Die treuesten Anhänge hatte Depeche Mode stets hierzulande, "schwarzer Schwarm" heißen sie, man sieht die Golfs mit dem Band-Schriftzug auf der Heckscheibe noch dann und wann auf der Autobahn vorbeirauschen.

Es passierte viel, der Ausstieg von Alan Wilder etwa, der Drogenmissbrauch Gahans. Er nahm Sachen, von denen man als katholisches Provinzkind gar nicht weiß, dass es sie gibt, und als er alles auf einmal einwarf, galt er zwei Minuten lang als klinisch tot. Sie mochten sich wohl auch nicht mehr so. Jedoch — und da sind wir zurück bei "Delta Machine" —: Früher mag viel Raum zwischen ihnen gewesen sein, aber heute ist da nur mehr Abstand.

Martin Gore, der kluge Kopf und Komponist der Band, der bei genauer Betrachtung ja wirklich nichts gemein hat mit der illiteraten Rampensau Gahan, bedient sich auf "Delta Machine" bei allem, was in Elektro und Techno als up to date gilt. Vielleicht hat er sich in den Clubs von Berlin und London herumgetrieben, wo man das alles hört, jedenfalls baut er mächtige Wände aus Bässen, schafft zerklüftete Klanglandschaften aus Soundflächen und Frickel-Geräuschen, und die Beats sind gebrochen und vertrackt wie zuletzt bei Radiohead.

Misslungene Dramaturgie

Leider denkt er in seiner egomanen Meisterschaft nicht an seinen Sänger, er schreibt ihm Texte, die sich um Tiefsinn bemühen, aber keinen tieferen Sinn haben. Er lässt ihn ungehemmt Selbstüberhöhung betreiben, jede Pathoschance und jeden Rühreffekt ungestört aufgreifen.

Ja, es ist so, so bitter ist das: Gahans Bariton passt stellenweise nicht mehr zu Depeche Mode. Musik und Gesang laufen nebeneinander her, finden zu keiner Einheit. Zudem ist die Songdramaturgie in den meisten Fällen misslungen: Sie bauen Spannung auf, ohne sie zu lösen.

Es gibt keine Höhepunkte, keine großen Momente. Sie schaffen Atmosphäre, erzählen aber keine Geschichten. Was fehlt, ist die Emotion, der Ausbruch. Das Leben, das Depeche Mode besingt, ist ein langer ruhiger Fluss. Ihnen ist ein Himmel voller Geigen auf den Kopf gefallen.

Der Song "My Little Universe" ragt heraus, er ist ein minimalistisches Kunstwerk. Aber der Rest? Prätentiöser Quatsch. Depeche Mode begnügt sich damit, Erinnerungsspeicher zu sein. Manchmal hört man bekannte Melodie- und Rhythmusmuster und sieht Bilder aus einem vergangenen Bromsilber-Jahrhundert aufflackern, die Szenen von früher, für die Depeche Mode den Soundtrack schrieb.

Die Herzensband. Ein misslungenes Album hätte man verziehen, ein langweiliges gehört sich nicht. So bleibt die Hoffnung auf die Konzerte im Sommer. Die Zeit überbrückt man am besten mit Best-of-CDs.

(csr)
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