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Neues Album Depeche Mode leidet ein bisschen

Düsseldorf (RP). Das düstere neue Album der Band heißt "Sounds of the Universe" und erscheint am Freitag. Es wurde perfekt produziert, verbindet Experimentelles mit bewährtem Sound und gehört zum musikalisch Avanciertesten, was das Trio je gemacht hat. Dennoch ist es eine Enttäuschung.

2006: Depeche Mode in Düsseldorf
17 Bilder

2006: Depeche Mode in Düsseldorf

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Zu den letzten Rückzugsorten der Romantik im Pop gehört die Vorfreude auf ein neues Album der Lieblingsband. Man hofft auf gute Songs und hochwertige Sounds — offiziell. Aber ganz ehrlich innendrin bloß auf das gute Gefühl. Eines, das man känguru-baby-artig in der Magentasche birgt wie damals, als nach der sechsten Stunde am Freitag das Wochenende mit seiner Verheißung aus Curaçao-Rausch, Kumpelverbundenheit, Annäherungsabsicht und gemeinsamem Sonnenaufgang Hand in Hand vor einem lag. Und wenn das auch nicht gelang — der Rausch schon, aber das mit der Gemeinsamkeit wieder nicht —, dann hatte man am Sonntagnachmittag zumindest die Lieder, in die man sich legen konnte wie in eine Wanne voller Wermutstropfen. Lieder, die "Leave in Silence" und "Somebody" heißen, "A Question of Lust", "Never let Me Down Again" oder "Enjoy the Silence" und "Personal Jesus"; je nach Jahrgang auch "Walking in My Shoes", "It's no Good" und "Home". Lieder von Depeche Mode.

Die Songs stammen aus einer Zeit, als die Band und ihre Hörer jung oder doch jünger waren. Als alles irgendwie ein Beginnen war, als man sich höchstens ein paar lässlicher Tricks und Mogeleien bedienen musste, um vor sich selbst den Status des Lebensanfängers zu behaupten. Gute Zeiten, nicht nur, weil man sich von Schmerz und Schwermut getrieben wähnte, was sich paradoxerweise schön anfühlt, sondern weil fast alle dasselbe hörten oder sich für einen Abend lang darauf einigen konnten; auf Depeche Mode ohnehin, die mochten Jungs mit schwarzen, an der Seite geschnürten Lederhosen ebenso wie Mädchen mit Perlenkette. Dieses Damals ist der Grund, warum der billigste Popsong aus dem Radio einen mitunter noch tiefer berührt als ein meisterhafter Verdi mit Sängern und Orchester.

Insofern sind die Erwartungen an neue Alben von Depeche Mode gewaltig, immer noch, nun wieder, bis übermorgen "Sounds of the Universe" erscheint. Dabei hätte man es besser wissen können. Die letzte Depeche-Mode-Platte, die der Kunstform Album als Einheit mit langem Atem und zwingendem Aufbau gerecht wurde, ist "Ultra" und liegt zwölf Jahre zurück. Das war quasi ein Comeback. Dave Gahan, der einst als Stellvertreter angehimmelte und bald als zwiegespaltene Persönlichkeit aus charismatischer Bühnen- und tumber Promotion-Existenz entlarvte Sänger, war kurz zuvor dem Leibhaftigen nach Drogenexzess von der Schippe gesprungen. Düstere Balladen sang der Mann, der für zwei Minuten als klinisch tot gegolten hatte, es schauerte einen, so wahrhaftig war diese barocke Schmerzens-Kunde von drüben. Aber schon den folgenden Produkten — als solche wollen wir die faden Veröffentlichungen "Exciter" (2001) und "Playing the Angel" (2005) mal einordnen — fehlte das Zwingende. Man hatte nicht mehr den Eindruck, dass Gahan und seine Jungs Martin L. Gore und Andy Fletcher implodieren würden, wenn sie nicht gesagt hätten, was in ihren Liedern zur Sprache kommt. Wobei es — auch das trägt zur Desillusionierung bei — eine Formulierung wie "seine Jungs" nicht mehr trifft. Denn man ahnt die Entfremdung zwischen dem intellektuell sich gebenden Schulfreunde-Duo und der nach zwei im DM-verliebten Deutschland erfolgreichen Solo-Alben zu Selbstbewusstsein gekommenen Rampensau. Man verachtet einander, spielt Stücke getrennt ein und trifft sich erst, wenn der Produzent, im aktuellen Fall Ben Hillier, den heterogenen Vorstudien und divergierenden Vorstellungen den Trademark-Sound aufbügeln muss. Depeche Mode, die den Soundtrack zur rousseauistischen Zeit des "Jeder Mensch ist gut" schrieben, leben Thomas Hobbes: "Der Mensch dem Menschen ein Wolf."

Das Problem bei den Giganten der in Bernstein eingeschlossenen Nostalgie: Sie müssen Neues machen, tragen als Geschäftsführer eines multinationalen Konzerns Verantwortung für die Mitarbeiterschaft. Die CD an sich wäre egal, aber da hängt die Tour dran, die das Geld bringt. Also legt man düsterschwarze Gewänder an, lässt analoge Maschinen pumpen und Gahan ein bisschen am Phantomschmerz der einst verirrten Seele leiden.

Dabei gehört "Sounds of the Universe" zum musikalisch Avanciertesten, was die Band je gemacht hat. Die Produktion ist fabelhaft. Schroffe Folterkammer-Beats sind da zu hören, Kraftwerk-Zitate, von Raureif gefirnisste Klangflächen und Versatzstücke aus dem 30 Jahre umfassenden Katalog der Band. Aber es wirkt, als habe man den gescheit geknüpften Klangteppich unter Gahan weggezogen. Sein Gesang fügt sich nicht in die Sounds, läuft nebenher; Perfektion verfängt nicht. Einzig die Single "Wrong", eine führerlose Dampfwalze auf wütender Fahrt, ragt hervor. Der Rest klingt saturiert. Es fehlt die Euphorie, das Geheimnis, die Notwendigkeit. Die Platte öffnet sich dem zum Schwelgen Bereiten nicht, kein Wolkenbett für Seelenwehe, kein "Aah!" oder "Jawoll!", nur: "Gut gemacht."

Und so erlebt man die Musik nicht, erkennt sie nur, obwohl man sie fühlen möchte. Am Ende steht ein Gedanke, der als Erkenntnis jede Romantik und rückwärts gewandte Gegenwartsverliebtheit zerstört — und damit Grund und Berechtigung des Pop als Erlebnis: Die sind alt geworden. Und wir auch.

(RP)
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